Zusammenfassung: Obwohl inzwischen fünf, teilweise
miteinander konkurrierende Tyrosinkinase-Inhibitoren zur Behandlung der chronisch
myeloischen Leukämie (CML) verfügbar sind, werden von den pharmazeutischen
Unternehmen sehr hohe - besonders in den USA steigende - Preise für diese
Wirkstoffe verlangt. In der Wirtschaft bezeichnet man ein derartiges Verhalten
als „kollektives Monopol”. Für die Behandlung der CML, aber natürlich auch für
andere Krebserkrankungen sollten sich die Preise am erzielten Nutzen für die
Patienten orientieren. Es muss unbedingt verhindert werden, dass durch
Profitmaximierung pharmazeutischer Unternehmen individuellen Patienten und der
Gesellschaft insgesamt Schaden zugefügt wird.
Die hohen Preise onkologischer Arzneimittel sind in
den letzten Jahren häufig kritisch kommentiert worden – insbesondere, da die
Therapieergebnisse mit den neuen, angeblich zielgerichteten Wirkstoffen häufig
enttäuschend sind (1, 2). So kostet beispielsweise die Behandlung mit dem
monoklonalen Antikörper Cetuximab (Erbitux®) über 18 Wochen etwa
80.000 US-$, obwohl sie das Überleben bei Patienten mit fortgeschrittenem,
nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom nur um 1,2 Monate verlängert (1).
Therapeutische Fortschritte, wie sie in der Behandlung der Philadelphia-Chromosom-positiven
(Ph+) chronischen myeloischen Leukämie (CML) mit dem Tyrosinkinase-Inhibitor
(TKI) Imatinib (Glivec®) erzielt werden, waren und sind leider die
Ausnahme (3).
Etwa 120 Experten in der Erforschung und Behandlung
der CML haben jetzt die aus ihrer Sicht nicht mehr vertretbaren, astronomischen
Preise der bei CML eingesetzten TKI scharf kritisiert. In ihrem am 25. April
2013 online in der Zeitschrift „Blood” veröffentlichten Artikel (4) diskutieren
sie auch die von pharmazeutischen Unternehmern (pU) immer wieder als Begründung
angeführten Forschungs- und Entwicklungskosten für neue onkologische Wirkstoffe
– angeblich 1 Mrd. € (5). Diese Preispolitik sei unseriös und habe
negative Konsequenzen für Patienten mit CML. Unter den Autoren dieses wichtigen
couragierten Artikels befindet sich Brian Druker, der vor etwa 25 Jahren Nicholas
Lydon, einen Wissenschaftler bei Ciba-Geigy (seit 1996 Novartis), aufmerksam
machte auf die Bedeutung der CML als Modellerkrankung für die Testung
zielgerichteter Wirkstoffe (6, 7). Der damals bereits von Ciba-Geigy
patentierte TKI STI571 wurde ihm daraufhin vom pU für präklinische
Untersuchungen und auch frühe Phasen der klinischen Forschung zur Verfügung
gestellt. Die von der Arbeitsgruppe um Brian Druker vorgelegten Ergebnisse ihrer
akademischen Forschung überzeugten letztlich auch Novartis und führten
dazu, dass STI571 seit 1995 als „lead compound” in der klinischen Forschung
untersucht und 2001 als Imatinib zur Behandlung der CML zugelassen wurde (3). Der
pU war zunächst skeptisch diesen TKI zu entwickeln wegen der Seltenheit der CML
und dem deshalb als wenig lukrativ erscheinenden Markt. Die
Jahrestherapiekosten von Imatinib betrugen 2001 in den USA etwa 30.000 US-$ und
liegen heute bei 92.000 US-$ (4). Seit seiner Zulassung hat sich Imatinib, das ursprünglich
ein „Orphan Drug” für eine seltene Erkrankung (jährliche Inzidenz der CML 1-2/100.000
Einwohner) war, rasch von einem „Orphan Nichebuster” zu einem „Blockbuster”
entwickelt. Imatinib erzielte im Jahr 2012 weltweit einen Umsatz von 4,7 Mrd.
US-$ und dies, weil der Wirkstoff neben der Behandlung der CML heute für fünf
weitere Indikationen zugelassen ist, darunter die Ph+ akute lymphatische
Leukämie (ALL) und c-Kit-positive maligne gastrointestinale Stromatumoren (8). Imatinib
als Inhibitor verschiedener TK mit onkogenem Potenzial gilt deshalb heute zu
Recht als Paradigma für die Entwicklung einer Biomarker-basierten, zielgerichteten
Therapiestrategie.
Zwölf Jahre nach Zulassung von Imatinib zur
Behandlung der CML, stehen inzwischen, auch aufgrund sehr enger Zusammenarbeit
zwischen Wissenschaftlern und pU, in den USA insgesamt fünf TKI und in
Deutschland vier TKI zur Behandlung der CML zur Verfügung. Neben Imatinib sind
dies: Dasatinib (Sprycel®), Nilotinib (Tasigna®; 9),
Bosutinib (Bosulif®) und Ponatinib (Iclusig®; positives
Votum der Europäischen Arzneimittel-Agentur vom 21. März 2013, noch keine
Zulassung in Deutschland). Im Unterschied zu Imatinib sind diese TKI nur zugelassen
zur Behandlung der Ph+ CML (alle TKI; Bosutinib jedoch erst nach Vorbehandlung
mit einem anderen TKI) sowie Ph+ ALL (Dasatinib). Die Jahrestherapiekosten der
beiden erst 2012 in den USA zugelassenen TKI, Bosutinib und Ponatinib, betragen
118.000 US-$ bzw. 138.000 US-$ (4). Die Dauer der Nachbeobachtung in klinischen
Studien für neue TKI ist noch kurz und deren Wirksamkeit (z.B. Überlebensrate
im Vergleich zu Imatinib) sowie langfristige Sicherheit kann nicht endgültig
beurteilt werden (9). Die Jahrestherapiekosten von Imatinib, Nilotinib und
Dasatinib in unterschiedlichen Ländern und Kontinenten sind in Tab. 1
dargestellt (4). Die Zahlen verdeutlichen, dass die Arzneimittelkosten stark
variieren, in den USA aber fast immer doppelt so hoch sind wie in den anderen
Ländern.
Wie erklären sich diese Preisunterschiede und die
sehr hohen Kosten für diese TKI? Die Autoren des Artikels in Blood widmen sich
ausführlich dieser Frage. Der ursprünglich für Imatinib in den USA von Novartis
verlangte Preis (30.000 US-$) orientierte sich an den Entwicklungskosten,
der erwarteten Verlängerung des Patientenüberlebens und vor allem am Preis von
Interferon-alfa, dem 2001 als Standardmedikament zur Behandlung der CML eingesetzten
Zytokin (3). Ausgehend von einer Prävalenz von etwa 30.000 Patienten mit CML in
den USA sowie einer raschen und fast vollständigen „Marktpenetration”, erwartete
der pU jährliche Einnahmen allein in den USA von etwa 900 Mio. US-$. Die
Kosten für Forschung und Entwicklung von Imatinib hätte Novartis somit
innerhalb von weniger als zwei Jahren wieder hereinbekommen. Imatinib und später
auch Dasatinib und Nilotinib entwickelten sich, was damals sicher noch nicht
abzusehen war, zu den mit Abstand erfolgreichsten Vertretern unter den
„zielgerichteten” onkologischen Wirkstoffen. Sie bewirkten, dass die jährliche
Sterblichkeit an CML von 10–20% auf 2% sank und mehr als 80% der Patienten mit
CML zehn Jahre später noch leben (4). Diese eindrucksvolle Verbesserung der
Prognose hat dazu geführt, dass sich in führenden Arzneimittelmärkten (z.B. USA,
Japan, Deutschland) die Zahl der für eine Therapie mit Imatinib oder den neueren
TKI in Frage kommenden Patienten mit Ph+ CML mehr als verdoppelt hat.
Die Prävalenz von CML weltweit beträgt heute etwa
1,2-1,5 Mio. Patienten (4). Basierend auf den Verkaufszahlen ist davon
auszugehen, dass nur etwa 235.000-250.000 Patienten und somit weniger als 20-25%
derzeit mit Imatinib behandelt werden (4). Dies bedeutet, dass vor allem infolge
der hohen Preise viel zu wenige Patienten mit CML das heute als medizinischer
Standard geltende Arzneimittel erhalten und wahrscheinlich früher an dieser
Krankheit sterben. Auch in Industrienationen wie den USA nehmen wegen der hohen
Kosten etwa 10% der Patienten mit CML keine TKI ein. Dies hat zur Folge, dass
im Unterschied zu Ländern mit sehr guter Therapieadhärenz (z.B. Schweden) die
Überlebensrate nach fünf Jahren nur 60% beträgt (4). Stark überhöhte, nicht
gerechtfertigte Preise bewirken, dass sich viele Patienten in
Gesundheitssystemen wie in den USA – dort zahlen Patienten durchschnittlich 20%
der Arzneimittelkosten aus eigener Tasche - lebenserhaltende Medikamente nicht
leisten können. Vor diesem Hintergrund sind die enormen, in erster Linie durch
Profitstreben der pU verursachten Preissteigerungen bei den TKI, vor allem in
den USA, inakzeptabel. Wie sehr Wettbewerb auf nationaler Ebene und letztlich
auch gesundheitspolitische Entscheidungen die Preise für TKI beeinflussen
können, zeigt das Beispiel Südkorea. Dort wurde von den Zulassungsbehörden mit
Radotinib ein in Südkorea entdeckter und entwickelter TKI (Jahrestherapiekosten
21.500 US-$) zugelassen. Die jährlichen Kosten für andere TKI wie
Imatinib, Dasatinib und Nilotinib betragen in Südkorea nur 21.000-28.000 US-$
(4; s. Tab. 1).
Ein weiterer von den Autoren des Artikels in „Blood” ebenfalls
zu Recht kritisierter Aspekt ist die seit langem bekannte Strategie der pU, bei
lukrativen Wirkstoffen die Einführung von Generika zu verzögern (4). Das in den
USA im Mai 2013 auslaufende Patent für Imatinib wurde vom US-Patentamt bis zum
Januar 2015 verlängert. Die Patentlaufzeit von Imatinib ist in den verschiedenen
Ländern unterschiedlich. Solche Absprachen zwischen Herstellern von
Originalpräparaten und von Generika mit dem Ziel, den Markteintritt von
Generika hinauszuschieben, müssen verhindert werden. Durch derartige Praktiken
wird sowohl den nationalen Gesundheitssystemen als auch Patienten großer
Schaden zugefügt. Der Entscheid des obersten Gerichts Indiens, Novartis kein
Patent für Glivec® zu gewähren, ist deshalb aus unserer Sicht sehr
zu begrüßen (10). Dieses aktuelle Urteil ist wegweisend für die
Gesundheitspolitik in Entwicklungsländern, denn dadurch wird weniger
Wohlhabenden der Zugang zu lebensnotwendigen Arzneimitteln zu erschwinglichen
Preisen ermöglicht. Dass dies nicht nur in Entwicklungsländern erforderlich
ist, zeigt das Beispiel USA.
Literatur
- Fojo, T., undGrady, C.: J. Natl. Cancer Inst. 2009, 101, 1044.

- Ludwig,W.-D., et al.: Der Onkologe 2009, 15, 1004.
- AMB 2001, 35,47b
. AMB 2003, 37, 28. 
- Kantarjian,H., et al.: Blood 2013; online April 25.

- Light, D.W.,und Lexchin, J.R.: BMJ 2012, 345, e4348.

- Druker, B.J.:Nat. Med. 2009, 15, 1149.

- Johnston,S.C., et al.: Nat. Med. 2011, 17, 434.

- AMB 2008, 42,73.

- AMB 2008, 42, 01
. AMB 2010, 44, 01. 
- http://www.nzz.ch/aktuell/... verschaerfter-protektionismus-indiens

- http://aapredbook.aappublications.org/

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