Die „Apothekenumschau” macht
neuerdings Werbung mit einer „App” für die individuelle Medikamentenverwaltung
(1). Das Programm kann kostenlos auf iPhone und Android-Smartphone aus dem
Internet heruntergeladen werden und richtet sich primär an Apothekenkunden. Die „App” soll nach Angaben des Anbieters, des
Wort & Bild Verlags, „leicht verständliche Informationen zu
rund 45.000 Medikamenten” bieten. Darüber hinaus können die Anwender ihre
Arzneimittel verwalten: „Fotografieren Sie die alte Packung oder geben Sie den
Namen des Präparates ein. Ist es ein rezeptpflichtiger Wirkstoff? Dann scannen
Sie das Rezept vom Arzt mit dem Mobiltelefon und schicken das Bild an die
Apotheke. Ihr Apotheker wird das Arzneimittel dann für Sie vorbestellen”.
Wir haben uns die Anwendung inhaltlich
näher angeschaut und einem virtuellen Patienten fünf Arzneimittel verordnet:
Rivaroxaban (Xarelto®) wegen Vorhofflimmern, Ticagrelor (Brilique®)
wegen akutem Koronarsyndrom, Verapamil (Isoptin®) wegen hohem
Blutdruck und Vorhofflimmern, Aliskiren (Rasilez®) wegen hohem
Blutdruck und bedarfsweise Diclofenac wegen Coxarthrose. Wie man sieht, wurde bei unserer Arzneimittel-Auswahl nicht die evidenzbasierte
Medizin zu Grunde gelegt, sondern es sollten neue und ältere Medikamente sein
und solche mit potenziellen Interaktionen.
Was erhält nun ein Patient, wenn er seine Arzneimittel
und Diagnosen in sein Smartphone eingibt? Zunächst kann er jederzeit und
überall, wenn ein Zugang zum Server besteht, Informationen zu seinen Arzneimitteln
abrufen. Das ist eine sehr gute und wichtige Funktion. Denn kommen Fragen zu
einem Arzneimittel auf, hat man selten den Beipackzettel zur Hand. Die
Arzneimittelinformationen sind in fünf Kategorien aufgearbeitet: 1. Eigenschaften,
Wirkstärken, Darreichungsformen und Anwendungsgebiete; 2. Gegenanzeigen,
Anwendungsbeschränkungen und Wechselwirkungen; 3. Art und Dauer der
Anwendung, Dosierung; 4. Nebenwirkungen; 5. Aufbewahrung. Der
hinterlegte Text gibt wortgleich die Patienteninformationen (Beipackzettel)
wieder. Bei den neueren Arzneimitteln liest sich das sehr gefällig, bei den
schon lange zugelassenen kann der Text schon einmal sehr lang und
unübersichtlich sein. Fehlend, aber sehr wünschenswert, wären - gerade aus der
Hand von Apothekern - praxisrelevante Zusatzinformationen wie Abbildungen der
Tabletten zur Wiedererkennung oder zu eventuell vorhandenen Bruchrillen.
Weiterhin bietet die „App” eine Analysefunktion zu
möglichen Neben- und Wechselwirkungen. Unserem virtuellen Patienten werden
sechs Warnungen zu Wechselwirkungen, acht Einträge zu Interaktionen mit
Nahrungs- und Genussmitteln, 29 Einträge zu Nebenwirkungen sowie sechs Einträge
zur Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit gemeldet. Es stellt sich hier
natürlich die Frage, ob dies die Therapieadhärenz fördert. Besonders wichtig erscheinen
uns Hinweise zur Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit. Dieses Thema wird
wahrscheinlich generell zu wenig beachtet (vgl. 2). In unserem
Verordnungsbeispiel soll die Verkehrstauglichkeit durch Verapamil, Diclofenac
und Ticagrelor beeinflusst werden; wer hätte das gewusst?
Bei den Wechselwirkungen mit Nahrungs-
und Genussmitteln werden Alkohol mit Verapamil und Diclofenac, Grapefruitsaft mit
Rivaroxaban, Ticagrelor, Verapamil und Aliskiren, fetthaltige Speisen mit
Aliskiren und Nahrungsmittel mit hohem Salzgehalt mit Verapamil genannt. Die Arzneimittelinteraktionen
sind in vier Risiko-Kategorien unterteilt: 1. Schwerwiegende
Wechselwirkungen, die unbedingt vermieden werden sollten: Aliskiren
und Isoptin. Für diese Warnung wird keine Begründung gegeben. Vermutlich aber soll
darauf hingewiesen werden, dass Verapamil ein Transportprotein-Hemmer ist und sowohl
die intestinale Absorption als auch die biliäre Exkretion von Aliskiren
beeinflussen kann (3). 2. Bedeutsame oder schwerwiegende
Wechselwirkungen, die vermieden werden sollten: Rivaroxaban plus Diclofenac
bzw. Ticagrelor. Eine Begründung wird nicht gegeben. Vermutlich soll darauf
hingewiesen werden, dass bei NSAID und Hemmern der Thrombozytenfunktion vermehrt
Blutungen auftreten können (4). Rivaroxaban plus Verapamil: ebenfalls keine
Begründung, vermutlich wird auf die gleiche Interaktion mit Transportprotein hingewiesen
wie bei Aliskiren plus Verapamil. 3. Wechselwirkungen, die nur in
seltenen oder manchen Fällen von Bedeutung sind: Verapamil plus Ticagrelor:
keine Begründung, möglicherweise ist an eine additive bradykardisierende Wirkung
von Ticagrelor und einigen Kalziumantagonisten gedacht. Diclofenac plus
Verapamil: Abschwächung der Blutdrucksenkung.
Für die 4. Kategorie: Wechselwirkungen, deren Bedeutung normalerweise
gering ist” wurde kein Treffer generiert.
Die möglichen Nebenwirkungen werden tabellarisch
wiedergegeben und sind nach schwerwiegende (0 Treffer), bedeutsame
(0 Treffer) und alle weiteren möglichen Nebenwirkungen (29 Treffer)
geordnet. Für die Nebenwirkungen sind in der Tabelle keine Häufigkeiten
angegeben. Neben vielen sinnvollen Informationen finden sich auch einige, für
Patienten wenig verständliche Warnungen, wie beispielsweise der Eintrag:
„erhöhtes Kreatinin” bei Aliskiren und Ticagrelor oder „Blutniederdruck” bei
Verapamil, Diclofenac und Rivaroxaban.
Insgesamt scheint uns die App „Apotheke
vor Ort” ein zukunftsweisendes Informations-Medium für Patienten zu sein, die mit
Smartphone-Technik vertraut sind. An der beworbenen „leichten Verständlichkeit”
mangelt es aber noch. Viele der Informationen sind unübersichtlich und
ungewichtet. Es stellt sich die generelle Frage, ob solch eine „App” bzw. eine
derart ausführliche Information tatsächlich zum Nutzen der Patient(inn)en ist
oder ob nicht die Therapieadhärenz und das Vertrauen in die „Verordnenden”
negativ beeinflusst werden. Ein solches Programm ist zweifelsfrei ein Eingriff
in den Therapieprozess. Daher sollte der Wert der „App” nach unserer Meinung
auch in einer kontrollierten Studie überprüft werden.
Prinzipiell müssen Patient(inn)en
umfassend informiert werden. Aber in der Medizin bedürfen solche Informationen
fast immer eines persönlichen Gesprächs. Dies kann eine „App” natürlich nicht
leisten. Daher steht auch am Ende fast jeder Seite, dass man bei seinem Arzt
oder Apotheker nachfragen soll. Wenn es mit einer solchen App gelingt, dass Patienten
wirklich mehr über ihre Arzneimittel wissen und mehr nachfragen, ist dies
positiv.
Nicht klar ist, ob und wo die eingegebenen
persönlichen Daten, speziell die Diagnosen, gespeichert werden. Laut eines
Anwenderforums ist die Arzneimittelliste nur abruf- und analysierbar, wenn der
Anwender online ist. Bedenken zur Datensicherheit sind also durchaus angebracht.
Es ist auch denkbar, dass die Anwender dieser App künftig maßgeschneidert von ihrer
Apotheke beworben werden.
Literatur
- http://www.apotheken-umschau.de/Arzneimittel-Check

- AMB 2009, 43, 89.

- http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/ document_library/EPAR_-_Product_Information/human/000780/WC500047010.pdf

- http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/EPAR_-_Product_Information/human/001241/ WC500100494.pdf

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