Zusammenfassung: Aktuelle epidemiologische Untersuchungen
unterstützen die bisher nur aus kleineren Studien abgeleiteten Signale, dass
eine antibiotische Behandlung mit Makroliden, speziell Clarithromycin und
Azithromycin, bei kardiovaskulären Risikopatienten zu bedrohlichen Komplikationen
führen kann.
Einleitung: In der Reihe der häufig verordneten
Antibiotika in Deutschland stehen die Makrolide mit 56,7 Mio. verordneten
Tagesdosen an vierter Stelle nach Aminopenicillinen (80,3 Mio.), Cefalosporinen
(68,0 Mio.) und Tetrazyklinen (59,1 Mio.; 1). Wegen der häufigen
Verordnung können auch seltene unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) in der
Praxis von Bedeutung sein. Andererseits haben vor Jahren Hoffnungen auf
zusätzliche positive Wirkungen der Makrolide rasch große Beachtung gefunden.
Einige Befunde ließen nämlich vermuten, dass Infektionen mit Chlamydia
pneumoniae die Koronarsklerose fördern und dass eine kurzzeitige
„Eradikationstherapie” mit Makroliden sich postinfarziell prognostisch günstig
auswirken könnte, speziell bei Patienten mit erhöhten IgG-Antikörpern
gegen Chlamydien (2-5). Bei einer Überprüfung fand dann aber eine randomisierte,
doppelt verblindete dänische Untersuchung mit 4.373 Patienten sogar ein
erhöhtes kardiales Risiko, wenn nach einem koronaren Ereignis eine Prophylaxe
mit Clarithromycin (CM) durchgeführt wurde (6). Makrolide verlängern mehr oder
weniger deutlich die QT-Zeit (7), und schon damals wurde vermutet, dass Rhythmusstörungen
die kardialen UAW von Makroliden verursachen. Es bestand die Sorge, dass diese
UAW auch in der Praxis eine Rolle spielt.
Im März 2013 wurde nun im Brit. Med. J.
über das kardiovaskuläre Risiko einer fünftägigen Therapie mit CM berichtet bei
Patienten mit akuten Exazerbationen einer Chronisch obstruktiven
Lungenerkrankung (COPD) und bei Patienten mit ambulant erworbener
Lungenentzündung (CAP; 8). Es wurden Daten zweier prospektiv organisierter
Registerstudien mit insgesamt etwa 3.000 Patienten ausgewertet. Kombinierter
Endpunkt war Krankenhausaufnahme infolge Akutem Koronarsyndroms, dekompensierter
Herzinsuffizienz, bedrohlichen Rhythmusstörungen oder Plötzlicher Herztod im
Verlauf des Jahres nach der akuten Therapie. Die Verum-Patienten wurden
multivariat verglichen mit Kontroll-Patienten, die nicht mit CM, sondern
anderen Antibiotika behandelt worden waren, aber bezüglich Schweregrad der
Erkrankung, Alter, Geschlecht, Anamnese und Begleittherapie den CM-Patienten
entsprachen (Propensity score matching).
Ergebnisse (vgl. Tab. 1): Bei Patienten mit COPD wurden im
Verlauf des ersten Jahres nach der Therapie insgesamt 268 bedrohliche
kardiovaskuläre Ereignisse registriert (kombinierter Endpunkt). Sie waren bei
den mit CM Behandelten signifikant häufiger als bei den Kontrollen. Auch das
Akute Koronarsyndrom war in der CM-Gruppe häufiger und die kardiale Letalität
höher.
Bei den insgesamt jüngeren und weniger polymorbiden Patienten
mit CAP war der kombinierte Endpunkt zwar insgesamt seltener, aber auch bei den
mit CM Behandelten – wie bei COPD – häufiger. Dies betraf jedoch nicht das Akute
Koronarsyndrom und die kardiale Letalität. In einer Analyse von Subgruppen
waren die herzkranken Patienten je nach Schweregrad häufiger betroffen als die
herzgesunden. Entsprechend der langen Wirkdauer von CM, sind die UAW nicht auf
die Zeit während der Therapie beschränkt. Die Autoren berechnen hinsichtlich
zusätzlicher kardiovaskulärer UAW insgesamt eine Number needed to harm (NNH)
bei COPD von 8 und bei CAP von 11.
Die kardiovaskulären UAW von Azithromycin (AM) sind insgesamt
seltener. Auch zu diesem Makrolidantibiotikum gibt es zwei aktuelle, sehr große
und sorgfältig multivariat adjustierte Registerstudien (Propensity score matching).
Eine haben wir im vorigen Jahr referiert (9). Es wurden die Daten von etwa
3 Mio. Patienten aus dem Tennessee Medicaid Programm ausgewertet. Das
Risiko, nach fünftägiger Therapie mit AM an einem kardiovaskulären Ereignis zu
sterben, war insgesamt gering (85,2/1 Mio.), aber dennoch signifikant
höher im Vergleich zu den Kontrollen (29,8/1 Mio.) und zu den mit Amoxicillin
behandelten Patienten (31,5/1 Mio.). Die zusätzlichen Todesfälle nach AM
waren ganz überwiegend plötzliche Ereignisse.
Im Mai 2013 wurde im N. Engl. J. Med. eine Registerstudie
aus Dänemark zu UAW von AM veröffentlicht, die zu etwas anderen Ergebnissen kam
(10). Die zentrale digitale Datensammlung zu Therapie und Verlauf von
Erkrankungen in Dänemark macht es möglich, große Teile der Bevölkerung
retrospektiv zu analysieren. In dieser Untersuchung wurden von allen 4.732.876
Dänen zwischen 16 und 64 Jahren in den Jahren 1997-2010 die Verordnungen der
Medikamente, die kardiovaskuläre Letalität sowie mehr als sechzig Daten zu
Diagnostik und Therapie multivariat adjustiert ausgewertet (Propensity score
matching). Verglichen wurde die kardiovaskuläre Letalität während (Tag 1-5)
und bis 35 Tage nach 1.102.050 AM-Behandlungsperioden mit der von gleich vielen
Kontrollen ohne antibiotische Therapie und 7.364.292 Patienten, die während der
13-jährigen Beobachtungszeit z.T. mehrfach Penicillin V erhalten hatten.
Ergebnisse (vgl. Tab. 2): Während der
Behandlungsphasen mit AM war die kardiovaskuläre Letalität signifikant höher
als bei den nicht antibiotisch behandelten Kontrollen. Ein signifikantes
Zusatzrisiko der AM-Therapie gegenüber der Penicillin-V-Therapie war aber nicht
erkennbar.
Die kardiovaskulären UAW von AM unterschieden sich also nicht
signifikant von denen bei Penicillin. Diese Ergebnisse scheinen auf den ersten
Blick diskrepant zu denen in Tennessee zu sein (9), denn dort war nach
Behandlung von COPD-Patienten mit AM eine signifikant höhere Letalität gefunden
worden, verglichen mit anderer antibiotischer Therapie. Aber die
Patientengruppen in den USA und Dänemark unterschieden sich deutlich in ihren demographischen
Daten. Die Dänen waren im Mittel um neun Jahre jünger und hatten entsprechend
seltener kardiovaskuläre Vorerkrankungen. Wurden nur die kränkeren dänischen
Patienten analysiert, ergab sich eine insgesamt höhere Letalität als in der
Gesamtkohorte. Außerdem fand sich, wie in Tennessee, eine zwar
nicht-signifikante, aber doch im Trend höhere Letalität bei den mit AM
behandelten Patienten (Letalität AM: 9,7/1000 Patientenjahre vs. Letalität Penicillin:
8,0/1000 Patientenjahre). Diese Befunde gehen in die gleiche Richtung wie in
Tennessee: Je höher das kardiovaskuläre Ausgangsrisiko desto deutlicher die
Gefahr.
Ein begleitendes Editorial in der Rubrik „Perspective” im
selben Heft des N. Engl. J. Med. ist von Mitarbeitern der FDA verfasst (11).
Sie erinnern zunächst daran, dass Ergebnisse selbst aus großen Registern generell
anfällig sind für nicht oder nicht ohne weiteres zu erkennende Unterschiede in
den verglichenen Gruppen (Bias). Auch aufwändige adjustierende Methoden sind in
diesem Fall keine Abhilfe. Daher müssen so erhobene Befunde bestätigt werden.
Trotzdem nehmen die Autoren die Daten aus den Registern sehr ernst. Sie leiten schon
jetzt Empfehlungen ab, z.B. dass vor der Verordnung von Makroliden daran
gedacht werden soll, dass diese das QT-Intervall verlängern und daher speziell
bei Risikopatienten nachweislich bedrohliche und tödliche Rhythmusstörungen
auslösen können. Die dänische und die US-amerikanische Untersuchung widersprechen
sich in diesem Punkt nicht, sie ergänzen sich.
Literatur
- Schwabe, U., und Paffrath,D.: Arzneiverordnungs-Report 2012. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg, 2012.
- AMB 1997, 31,75b.

- Gupta, S., etal.: Circulation 1997, 96, 404.

- Gurfinkel,E., et al. (ROXIS = Randomized trial of ROXIthromycin in non-Q-wavecoronary Syndromes): Lancet 1997, 350, 404.

- Andraws, R., etal.: JAMA 2005, 293, 2641.

- Jespersen, C.M., et al. (CLARICOR = CLARIthromycinin patients with CORonary artery disease): BMJ 2006, 332, 22.
Erratum:BMJ 2006, 332, 151. AMB 2006, 40, 28a. 
- AMB 2004, 38,49.

- Schermbri, S., et al.: BMJ 2013, 346, f1235.

- Ray, W.A., et al.: N. Engl. J. Med. 2012,366, 1881
. AMB 2012, 46, 45a. 
- Svanström, H., et al.: N. Engl. J. Med. 2013, 368, 1704.

- Mosholder, A.D., et al.: N. Engl. J. Med. 2013, 368, 1665.

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