Die Verordnung von Generika ist seit vielen
Jahren in Deutschland eine wichtige Maßnahme zur Dämpfung der
Arzneimittelausgaben. Im Gesamtmarkt der Arzneimittel ist der Verordnungsanteil
der Generika von 36,5% im Jahr 1991 auf 72,9% im Jahr 2011 gestiegen und hat
sich in diesem Zeitraum somit in etwa verdoppelt (1). Pharmazeutische
Unternehmer (pU) von häufig verordneten, umsatzstarken Wirkstoffen versuchen
seit langem durch unterschiedliche Strategien, die negativen ökonomischen Auswirkungen
der Beendigung des Patentschutzes für ihre Medikamente zu umgehen
(vgl. 2, 3). Hierzu zählen vor allem: (a) die Verlängerung des Patentschutzes
durch Beantragung neuer Anwendungsgebiete, z.B. für die Pädiatrie; (b) „Evergreening”-Strategien
wie die Beantragung neuer Patente für Medikamente mit nur geringfügig veränderten
chemischen Eigenschaften, z.B. Esomeprazol als aktivem S-Enantiomer von
Omeprazol oder Metabolite – sog. Analog- oder „Me-too”-Präparate – oder für
eine andere (z.B. retardierte) Arzneiform des Originalpräparats; (c) die
Verhinderung des Markteintritts preisgünstiger Generika, beispielsweise durch
illegale Zahlungen an Hersteller von Generika („Pay for Delay”; 4-6). Sehr
häufig sind Analogpräparate oder Medikamente mit veränderter Arzneiform (im
Folgenden als Nachfolgemedikamente bezeichnet) Scheininnovationen, deren
Verordnung von pU mit theoretischen Gründen, aber nicht mit guter klinischer
Evidenz beworben wird (5). Dabei handelt es sich um Medikamente, die
pharmakologisch ähnliche oder gleichartige Wirkungen haben, aber für Patienten hinsichtlich
Wirksamkeit und/oder Sicherheit keinen relevanten Zusatznutzen besitzen gegenüber
dem Originalpräparat oder dem Generikum.
Einen guten Überblick über die
„Evergreening”-Strategien, mit denen pU versuchen, die Marktexklusivität ihrer Medikamente
zu verlängern und den Marktanteil von Generika klein zu halten, gibt eine
Publikation von britischen Pharmakologen und Herausgebern des Drug and Therapeutics
Bulletin (5). Damit diese Nachfolgemedikamente von Ärzten anstelle von Generika
verordnet werden, bedarf es intensiver Marketingstrategien. In den USA sind
diese Maßnahmen durchaus erfolgreich, wie auch eine kürzlich publizierte
Untersuchung von Eric G. Campbell et al. gezeigt hat (7). Das Verschreibungsverhalten
von 1.891 Ärzten aus sieben unterschiedlichen Fachdisziplinen wurde durch
kostenslose Snacks, Getränke und Arzneimittelmuster von pU beeinflusst. Etwa 40%
der befragten Ärzte mit Kontakten zu pU verschrieben gelegentlich oder häufig
Originalpräparate, obwohl geeignete Generika zur Verfügung standen. Eine Publikation
nordamerikanischer Pharmakologen hat bereits 2006 am Beispiel von Omeprazol,
Amoxicillin/Clavulansäure und Metformin auf die ökonomischen Konsequenzen von „Evergreening”-Strategien
bzw. der gezielten Verzögerung des Markeintritts von Generika hingewiesen (8). Arzneimittelausgaben
in Höhe von etwa 1,5 Mrd. US-$ hätte Medicaid – eine US-amerikanische
Krankenversicherung für Patienten mit geringem Einkommen – einsparen können,
wenn anstelle von patentierten Medikamenten Generika verordnet worden wären.
Eine Arbeitsgruppe um die Pharmazeutin Nathalie
Vernaz hat jetzt untersucht, welche zusätzlichen Kosten für das
Gesundheitssystem durch „Evergreening”-Strategien im Kanton Genf verursacht werden
und inwieweit die Arzneimittelliste der Genfer Universitätsklinik Arzneimittelverordnungen
von ambulant tätigen Ärzten in der Region Genf beeinflusst (9). Beteiligt an
dieser Untersuchung waren neben Pharmazeuten der Genfer Universitätsklinik auch
klinische Pharmakologen, Epidemiologen und Gesundheitsökonomen. Insgesamt
wurden acht Wirkstoffe untersucht, für die es im Zeitraum der Auswertung (2000-2008)
sowohl Originalpräparate und/oder Nachfolgemedikamente als auch Generika gab.
Für drei der acht untersuchten Wirkstoffe wurde als Nachfolgemedikament ein
aktives Isomer vermarktet (Levocetirizin für Cetirizin, Escitalopram für
Citalopram, Esomeprazol für Omeprazol), für einen Wirkstoff ein aktiver
Metabolit (Desloratadin für Loratadin), für zwei Kombinationspräparate (Alendronsäure
kombiniert mit Colecalciferol für Alendronsäure alleine bzw. Simvastatin
kombiniert mit Ezetimib für Simvastatin alleine) und jeweils für ein Medikament
eine den Wirkstoff langsam freisetzende Arzneiform (Zolpidem „extended
release”) und einen in der Struktur analogen Wirkstoff (Pregabalin für
Gabapentin). Die aus den o.g. „Evergreening”-Strategien resultierenden Kosten
wurden monatlich anhand eines Scores ermittelt, der prozentual den Marktanteil
der Nachfolgemedikamente (in Defined Daily Doses = DDD) berechnete – bezogen
auf alle Verordnungen der Nachfolgemedikamente, Generika und Originalpräparate
in der jeweiligen Kategorie. Datenquellen waren die administrativen Angaben aus
der Universitätsklinik Genf, die Verordnungszahlen der Krankenhausapotheke und
eine Datenbank der Schweizer öffentlichen Apotheken. Zusätzliche Kosten wurden
anhand von drei unterschiedlichen Szenarios berechnet: 1. Ersatz aller
Originalpräparate durch Generika, 2. Ersatz aller Nachfolgemedikamente
durch Generika, 3. Ersatz aller Originalpräparate und Nachfolgemedikamente
durch Generika.
Für die Interpretation der Ergebnisse und deren
Übertragbarkeit auf andere Länder sind die Rahmenbedingungen im Kanton Genf von
Bedeutung. Es gibt dort nur ein Krankenhaus (Universitätsklinik Genf), das für
die stationäre Versorgung von 464.000 Einwohnern (2010) – etwa 5% aller
Einwohner der Schweiz – zuständig ist und über 2000 Betten (2008) verfügt. Um
die Verschreibung von Generika zu steigern, wurden in der Schweiz von der
Politik seit 2001 zwei Verordnungen verabschiedet. Bereits seit 2001 dürfen
Apotheker Originalpräparate durch Generika ersetzen (10), und seit 2006 müssen
Patienten eine Zuzahlung von 20% anstelle von 10% leisten, wenn sie die
Substitution durch das Generikum in der Apotheke nicht wünschen (9).
Während des Untersuchungszeitraums stieg
die Zahl der Patienten, die entweder das Originalpräparat weiter erhielten oder
denen ein Nachfolgemedikament verordnet wurde, von 56.686 Patienten im Jahr
2001 auf 131.193 Patienten im Jahr 2008. Die Gesamtkosten für alle untersuchten
Arzneimittel lagen bei 171,5 Mio. €, von denen 103,2 Mio. €
für Originalpräparate, 41,1 Mio. € für Nachfolgemedikamente und 27,2 Mio. €
für Generika ausgegeben wurden. Bei konsequenter Umsetzung von Szenario 1
hätten Arzneimittelausgaben in Höhe von 15,9 Mio. € eingespart werden
können, von Szenario 2 14,4 Mio. € und von Szenario 3 30,3 Mio. €.
Die Untersuchung aus dem Kanton Genf verdeutlicht auch die finanziellen Auswirkungen
der für den stationären Bereich etablierten Arzneimittelliste der Genfer
Universitätsklinik auf die Verordnungen im ambulanten Bereich (sog. „Spillover”-Effekt).
Die Weiterführung der während des stationären Aufenthaltes verordneten
Arzneimittel im ambulanten Bereich – entsprechend Arzneimittelliste der Genfer
Universitätsklinik – verursachte am Beispiel von Esomeprazol und Escitalopram Extrakosten
in Höhe von 503.600 €, wohingegen die ambulante Verordnung eines in der
Klinik gelisteten Generikums (Cetirizin) zu Kosteneinsparungen von 7.700 €
führte (9, 11).
Diese Ergebnisse sind aufgrund der
Unterschiede im Gesundheitssystem, in den Preisen für Arzneimittel und in der Erstattung
durch Krankenversicherungen nicht ohne Weiteres auf Deutschland übertragbar.
Sie zeigen jedoch, wie erfolgreich es pU von Originalpräparaten und
Nachfolgemedikamenten mit „Evergreening”-Strategien gelingt, mit Generika zu
konkurrieren und deren Marktanteil zu verringern. Arzneimittelkommissionen in
Krankenhäusern können durch die Listung von geeigneten Medikamenten – mit adäquater
Berücksichtigung von Generika und Meidung von Nachfolgemedikamenten – einen
wichtigen Beitrag für eine rationale, aber auch kostenbewusste
Arzneimitteltherapie leisten.
Fazit: Am Beispiel von acht Medikamenten (Gesamtkosten
171,5 Mio. €) haben Pharmazeuten im Kanton Genf gezeigt, dass durch unterschiedliche
„Evergreening”-Strategien mehr als 30 Mio. € zusätzliche Kosten im
Zeitraum 2001-2008 für das Gesundheitssystem in der Schweiz verursacht wurden. Tipps,
wie Ärzte „Evergreening”-Strategien erkennen und ihnen bei der Verordnung von
Arzneimitteln entgegenwirken können, sind in Tab. 1 zusammengefasst. Gleichzeitig
verdeutlicht die Untersuchung aus der Schweiz die Einsparmöglichkeiten, die von
einer restriktiv zusammengestellten Arzneimittelliste in Krankenhäusern ausgehen
können. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass nicht unkritisch
Nachfolgemedikamente wie Esomeprazol und Escitalopram, sondern entsprechende
Generika gelistet werden.
Tabelle 1
Woran Ärzte „Evergreening”-Strategien
erkennen und vermeiden, dass durch sie ihre Verordnung neuer Arzneimittel
beeinflusst wird (mod. nach 5)
- Es (das neue Arzneimittel) wird beschrieben als: Isomer/Enantiomer (Vorsilben: Lev-, Dex- oder Es-), aktiver Metabolit oder Analogpräparat.
- Es ist eine veränderte Arzneiform (z.B. den Wirkstoff langsam freisetzend) oder ein Kombinationspräparat.
- Es wird vermarktet mit theoretischen Vorteilen gegenüber dem Originalpräparat und evtl. auch mit nicht-klinischen Daten – aber nie begründet mit guter Evidenz aus klinischen Studien.
- Es wird vermarktet als ein Arzneimittel, das weniger kostet als das Arzneimittel, das es ersetzen soll. Der Preisunterschied berücksichtigt jedoch nicht die unterschiedlichen Laufzeiten der Patente – die Laufzeit des zu ersetzenden Arzneimittels ist meistens nur noch sehr kurz, häufig ≤ 1-2 Jahre.
Literatur
- Schwabe,U., und Paffrath, D.: Arzneiverordnungs-Report 2012. Springer-Verlag BerlinHeidelberg, 2012.
- Kapczynski,A., et al.: PLoS ONE 2012, 7, e49470.

- Kapczynski,A.: N. Engl. J. Med. 2013, 369, 497.

- Kesselheim,A.S., et al.: N. Engl. J. Med. 2011, 365, 1439.

- Hichtings,A.W., et al.: BMJ 2012, 345, e7941.

- http://www.euractiv.com/ health/pharma-firms-face-eu-fines- delay-news-528278

- Campbell,E.G., et al.: JAMA Intern. Med. 2013, 173, 237.

- Kesselheim, A.S., et al.: Health Aff. 2006, 25, 1637.

- Vernaz,N., et al.: PLoS Med. 2013, 10, e1001460.

- AMB 2009, 43, 40
und 56b. 
- Kesselheim,A.S.: PLoS Med. 2013, 10, e1001461.

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