Gerade ist die 29. Ausgabe des alljährlich herausgegebenen
Arzneiverordnungs-Reports (AVR) erschienen (1). Darin werden 716 Mio. Rezepte
von 143.066 Vertragsärzten ausgewertet. Die Angaben zu den ambulanten
Verordnungen in Deutschland basieren auf den Daten des GKV-Arzneimittelindexes
des Jahres 2012. Der Report enthält erstmals auch Angaben zu
Rezepturarzneimitteln und zu Verordnungen von 60.533 Zahnärzten. Dieses
gigantische Zahlenwerk mag zunächst verwirren, es ist jedoch unter mehreren
Aspekten (allgemeine Verordnungs- und Marktentwicklung; Verordnungen nach Indikations-,
Arzt- und Patientengruppen; umfangreiches Schlagwortregister) gut gegliedert
und enthält viele übersichtliche Tabellen. Allen Ärzt(inn)en, die im Krankenhaus
oder in der Praxis Arzneimittel verschreiben, kann dieses Buch als persönliche
Orientierungshilfe für eine rationale und wirtschaftliche Pharmakotherapie sehr
empfohlen werden. Schon immer war es das Ziel der Herausgeber und der anderen Autoren
des AVR, nicht nur Verordnungszahlen zu präsentieren, sondern auch alte und
neue Arzneimittel zu bewerten. Dies soll einen Beitrag zur Senkung der Arzneimittelkosten
leisten, ohne Einbußen in der Behandlungsqualität zu riskieren. Dieser wichtige
ökonomische Aspekt wird auch im neuen AVR gründlich analysiert. An Hand
zahlreicher nationaler und internationaler Preisvergleiche sowie durch
gedankliche Substitution von umsatzstarken Analogpräparaten ohne Zusatznutzen
durch Generika werden erhebliche Wirtschaftlichkeitsreserven errechnet. Patentgeschützte
Arzneimittel sind auf dem deutschen Markt – verglichen mit europäischen
Standards – immer noch teurer. Einige uns wichtig erscheinende Ergebnisse wollen
wir besprechen.
Arzneimittelausgaben insgesamt: Im Jahr 2012 sind die Arzneimittelausgaben
der GKV trotz Herstellerrabatt und Preismoratorium für
Nichtfestbetragsarzneimittel insgesamt um 2,6% auf insgesamt
30,6 Mrd. € gestiegen. Im Jahr zuvor (2011) waren die Kosten
rückläufig. Der Anstieg wird als moderat beurteilt, wobei sich das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz
(AMNOG) mit der frühen Nutzenbewertung neuer Arzneimittel durch den gemeinsamen
Bundesausschuss (G-BA) bereits kostendämpfend ausgewirkt hat (vgl. 2). Bei
neuen Arzneimitteln wurden durch die Bewertung „Wirkstoff ohne Zusatznutzen“
und die Festbetragsregelung 120 Mio. € eingespart. Das im AMNOG
angestrebte Einsparziel von 2,0 Mrd. € konnte erwartungsgemäß Ende
2012 noch nicht erreicht werden. Seit 2012 werden vom G-BA auch Arzneimittel
des „Bestandsmarkts“ - Arzneimittel, die vor dem 1. Januar 2011 auf dem Markt
gekommen sind - aufgerufen und bewertet, vor allem Analogpräpararate.
Wahrscheinlich sind in diesem Bereich größere Einsparungen möglich. Arzneimittel
ohne gesicherte Wirksamkeit, sogenannte umstrittene Arzneimittel, sind seit
1992, als sie noch einen Verordnungsanteil von 40% hatten, bereits bis 2004 auf
4% und einen Umsatz von 0,9 Mrd. € zurückgegangen. Sie spielen derzeit
somit keine wesentliche Rolle mehr. Für 2014 werden erhebliche Mehrkosten
prognostiziert, denn Ende 2013 läuft der 16%ige Herstellerrabatt und das
Preismoratorium für Nichtfestbetragsarzneimittel aus. Allein dadurch werden im
Jahr 2014 den Krankenkassen Mehrausgaben von 1,3 Mrd. € entstehen.
Der Vorstand des AOK-Bundesverbandes schlägt deshalb eine zweijährige
Verlängerung dieser gesetzlichen Regelung vor.
Generika: Die
Verordnung von Generika ist seit vielen Jahren in Deutschland eine
wichtige Maßnahme, die Arzneimittelkosten ohne Einbußen in der
Behandlungsqualität zu senken. Der Anteil der Generika-Verordnungen ist laut
AVR 2013 von 41,6% im Jahr 1993 auf 74,6% im Jahr 2012 gestiegen und hat erheblich
zur Kostendämpfung beigetragen. Die Herausgeber des AVR 2013 sehen aber weiterhin
hohe nominale Einsparpotenziale im deutschen Arzneimittelmarkt. Ohne Einbußen
in der Versorgungsqualität könnten die gesetzlichen Krankenkassen nominal knapp
4,6 Mrd. € weniger für Arzneimittel ausgeben, wenn noch konsequenter
preiswerte Generika verordnet sowie auf teure patentgeschützte Analogpräparate und
Arzneimittel mit umstrittenem Nutzen verzichtet würde. Fast die Hälfte des
Gesamtumsatzes für Arzneimittel entfällt auf patentgeschützte Fertigarzneimittel.
Es sind 13,4 Mrd. €, obwohl der Verordnungsanteil nur 9,0% ausmacht.
Verordnungen patentgeschützter Arzneimittel sind somit rein rechnerisch im
Durchschnitt zehnmal teurer als Generika (235,60 € versus 23,64 €). Pharmazeutische
Unternehmer (pU) versuchen – teils sehr erfolgreich - mit vielerlei Mitteln,
den Umsatz ihrer Originalpräparate hochzuhalten. Über zweifelhafte
„Evergreening“-Strategien (z.B. Pregabalin®) sowie
Marketingstrategien für Kombinationspräparate ohne therapeutischen Zusatznutzen
(z.B. Targin®) und die unnötigen Kosten im dreistelligen
Millionenbereich, haben wir berichtet (3).
Biopharmazeutika: Biopharmazeutika sind aufgrund der in den letzten Jahren erzielten Umsätze
für pU ein sehr attraktiver, aber auch kompetitiver Markt. Sie werden vorwiegend
in der Hämatologie/Onkologie, aber z.B. auch bei schweren
chronisch-entzündlichen Erkrankungen eingesetzt. Wegen ihrer hohen Preise haben
sie die Kosten im Gesundheitssystem erheblich gesteigert. Biosimilare Nachfolgeprodukte
(Biosimilars) nach Ablauf des Patentschutzes von Originalpräparaten sind
deshalb eine Option, diese neuartigen Therapien allen Patienten kostengünstiger
zur Verfügung zu stellen (4). Im Gegensatz zu Generika werden für die Zulassung
biosimilarer Wirkstoffe Ergebnisse aus pharmakologisch-toxikologischen und
klinischen Untersuchungen sowie randomisierte kontrollierte Studien im direkten
Vergleich mit dem Referenzarzneimittel gefordert. Derzeit ist – anders als bei Generika
- das Einsparpotenzial durch Biosimilars laut AVR 2013 mit ca.
39 Mio. € noch gering – vor allem, weil bisher nur wenige Wirkstoffe verfügbar
sind (Epoetine, Filgrastim, Somatropin). In den nächsten Jahren läuft aber der
Patentschutz von weiteren Biopharmazeutika ab, darunter auch für
kostenintensive, in der Onkologie verordnete monoklonale Antikörper. Es ist zu
hoffen, dass neue Biosimilars den Preiswettbewerb fördern und somit die Arzneimittelkosten
im Gesundheitswesen reduzieren. Ähnlich wie bei beim Wettbewerb Generika gelingt
es pU inzwischen durch geschickte juristische Maßnahmen, z.B. durch Patentverlängerung,
die Einführung von kostengünstigeren Biosimilars zu verhindern bzw.
hinauszuzögern. Im November 2011 gab der pU Amgen bekannt, dass er in den USA ein
neues Patent für den Wirkstoff Etanercept (Enbrel®) erhalten hat.
Wie in den vergangenen Jahren steht dieses Arzneimittel in Deutschland, das vor
allem bei rheumatologischen Erkrankungen und bei Schuppenflechte eingesetzt
wird, bei den Nettokosten an der Spitze der 30 umsatzstärksten patentgeschützten
Arzneimittel (AVR 2013: Platz 2 mit Nettokosten von 399,54 Mio. €).
Das Patent für Etanercept wäre in den USA eigentlich im Jahr 2012 ausgelaufen,
schützt aber jetzt für weitere 17 Jahre vor einem Wettbewerb mit Biosimilars (5).
Dadurch wird das Gesundheitssystem in den USA durch Kosten in Millionen-, wenn
nicht Milliardenhöhe belastet. In Europa läuft der Patentschutz für Etanercept
noch bis 2015. Man darf gespannt sein, ob auch hier der pU durch geschickte
Strategien verhindert, dass Biosimilars zeitnah auf den Markt kommen.
Rezepturarzneimittel: Rezepturarzneimittel sind Arzneimittel, die in der
Apotheke aufgrund einer Verschreibung für eine einzelne Person und nicht im
Voraus hergestellt werden. Diese Arzneimittel haben in den letzten sechs Jahren
die Umsatzdynamik der Nichtfertigarzneimittel bestimmt. Der größte Anstieg war
in den Jahren von 2005 bis 2009 zu verzeichnen (1,601 Mrd. €). 2012
lag der Umsatz bei 2,803 Mrd. €. Die starke Zunahme der Rezepturarzneimittel
ist fast ausschließlich durch individuell hergestellte parenterale Lösungen und
Zytostatikazubereitungen bedingt. Aufgrund der neuen Bestimmungen zur
Auskunftspflicht der Apotheken über verarbeitete Fertigarzneimittel kann jetzt erstmals
im AVR 2013 ein vollständiger, sehr informativer Überblick gegeben werden über
das Verordnungsspektrum sowie die Kosten der Zytostatikazubereitungen und der
individuell hergestellten parenteralen Infusionslösungen mit monoklonalen
Antikörpern. Unter den klassischen Zytostatikazubereitungen haben
Antimetabolite (5-Fluorouracil und Folinsäure, Gemcitabin, Azacitidin und
Fludarabin) mit deutlichem Abstand das höchste Verordnungsvolumen. Diese
Wirkstoffe werden insbesondere in der adjuvanten und palliativen Therapie
gastrointestinaler Tumore, aber auch anderer fortgeschrittener solider Tumore
und hämatologischer Neoplasien eingesetzt. Fünf in der Hämatologie/Onkologie
eingesetzte monoklonale Antikörper, die mit 8,26 Mio. DDD nur einen
Anteil von 18% am Verordnungsvolumen der parenteralen Rezepturarzneimittel
haben, erzielten einen Umsatz von 1,152 Mrd. € und somit mehr als
alle Zytostatikazubereitungen (1,141 Mrd. €). Dabei stehen die hohen
jährlichen Behandlungskosten dieser monoklonalen Antikörper (Trastuzumab, Bevacizumab,
Rituximab, Cetuximab und Panitumumab) mit etwa 41.000-68.000 € pro Patient
häufig in keiner Relation zu ihrem eher geringen Nutzen, vor allem beim Einsatz
in der palliativen Therapie fortgeschrittener solider Tumore.
Rabattverträge: Aus Rabattverträgen haben die gesetzlichen Krankenkassen im Jahr 2012 –
hauptsächlich aus dem Marktsegment Generika – fast 2,1 Mrd. € erlöst.
Dies zeigt, dass sogar bei den jeweils preisgünstigsten Generika offenbar
weitere Preisnachlässe möglich sind.
Literatur
- Schwabe, U., undPaffrath, D.: Arzneiverordnungs-Report 2013. Springer-Verlag Berlin HeidelbergNew York, 2013.
- AMB 2010, 44,89.

- Vernaz, N.,et al.: PLoS Med. 2013, 10, e1001460
. AMB 2013, 47, 64DB01 . AMB 2011, 45, 65. 
- AMB 2009, 43,09
. AMB 2012, 46, 05. 
- http://www.gabionline.net/Biosimilars/General/ US-67-billion-worth-of-biosimilar-patents- expiring-before-2020/(highlight)/enbrel

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