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Neues onkologisches Arzneimittel: Enzalutamid bei metastasiertem, kastrationsresistentem Prostatakarzinom

Seit 2011 sind mit Abirateron (Zytiga®) und Cabazitaxel (Jevtana®) zwei Wirkstoffe für die Zweitlinientherapie des metastasierten, kastrationsresistenten Prostatakarzinoms (mCRPC) verfügbar, die in den Zulassungsstudien im Vergleich mit Plazebo bzw. Mitoxantron ein um wenige Monate verlängertes Gesamtüberleben gezeigt haben (vgl. 1). Abirateron ist inzwischen in Kombination mit Prednison oder Prednisolon auch zur Erstlinientherapie zugelassen. In verschiedenen Leitlinien zum Prostatakarzinom wird empfohlen, Patienten auf die Möglichkeit einer Therapie mit diesen Wirkstoffen hinzuweisen (2-4).

Im Juni 2013 wurde mit Enzalutamid (Xtandi®) ein weiterer Wirkstoff zur Behandlung erwachsener Männer mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakarzinom zugelassen, deren Erkrankung während oder nach einer Chemotherapie mit Docetaxel fortschreitet (5, 6).

Das Prostatakarzinom ist ein androgensensitiver Tumor, der auf eine Hemmung des Androgenrezeptors anspricht (vgl. 7). Trotz niedriger bzw. nicht mehr nachweisbarer Konzentrationen der Androgene im Serum schreitet die Krankheit über den Androgenrezeptor-Signalweg fort. Enzalutamid ist ein Inhibitor des Androgenrezeptor-Signalwegs, wobei mehrere Schritte blockiert werden: Es hemmt kompetitiv die Bindung der Androgene an den Androgenrezeptor, unterbindet die Translokation aktivierter Rezeptoren in den Nukleus und hemmt die Bindung an die DNA (5, 8).

Für die Zulassung von Enzalutamid legte der pharmazeutische Unternehmer (pU) eine randomisierte, plazebokontrollierte, multizentrische Phase-III-Studie vor (AFFIRM; 9). Eingeschlossen wurden 1199 Patienten mit metastasiertem, kastrationsresistentem Prostatakarzinom, die vorher mit Docetaxel behandelt worden waren und ein Gonadotropin-Releasing-Hormon-(GnRH-)-Analogon erhielten oder sich bereits einer Orchiektomie unterzogen hatten. Die Patienten wurden nach Allgemeinzustand und Schmerzintensität stratifiziert im Verhältnis 2:1 randomisiert und erhielten entweder Enzalutamid 160 mg oral einmal täglich (n = 800) oder einmal täglich Plazebo (n = 399). Die Einnahme von Prednison war erlaubt, aber nicht vorgeschrieben (Tageshöchstdosis: 10 mg Prednison oder Äquivalent). Ausschlusskriterien waren unter anderem ZNS-Metastasen, Krampfanfälle in der Anamnese und klinisch relevante kardiovaskuläre Erkrankungen. In beiden Gruppen wurde die Behandlung bis zum Fortschreiten der Erkrankung (definiert als szintigraphisch oder radiologisch bestätigter Progress oder als Auftreten eines skelettbezogenen Ereignisses) und Einleitung einer neuen systemischen antineoplastischen Therapie bzw. bis zu inakzeptabler Toxizität oder bis zum Studienabbruch durchgeführt. Die Behandlungsdauer mit Enzalutamid bzw. Plazebo betrug im Median 8,3 bzw. 3,0 Monate (5, 6, 9).

Das mediane Alter der Patienten betrug 69 Jahre (41-92 Jahre), die Zeit seit der Erstdiagnose im Median 70,9 Monate (5,3-284,6 Monate). 91,5% der Patienten waren in sehr gutem bzw. gutem Allgemeinzustand (ECOG-Leistungsstatus 0-1). Die meisten Patienten (91,2%) hatten Knochenmetastasen und 23,2% Lungen- und/oder Lebermetastasen. Bei Studieneintritt war bei 41% der randomisierten Patienten nur ein PSA-Progress und bei 59% der Patienten ein radiologisch bzw. szintigraphisch bestätigter Progress beobachtet worden (5).

Als primärer Endpunkt wurde das Gesamtüberleben festgelegt (Overall survival). Zu den sekundären Endpunkten gehörten die Zeit bis zum PSA-Progress, das radiologisch/szintigraphisch progressfreie Überleben, die Zeit bis zum ersten skelettbezogenen Ereignis und die Lebensqualität (5, 6, 9).

Die erst nach Studienbeginn geplante Zwischenauswertung nach 520 Todesfällen zeigte bei den Patienten unter Enzalutamid im Vergleich zu Plazebo eine statistisch signifikante Verbesserung des Gesamtüberlebens (Hazard ratio = HR: 0,63; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,53-0,75; p < 0,0001). Das mediane Gesamtüberleben betrug 18,4 Monate bei den Patienten, die mit Enzalutamid behandelt wurden und 13,6 Monate bei den Patienten unter Plazebo. Die Studie wurde daraufhin abgebrochen und den Patienten im Plazebo-Arm wurde Enzalutamid angeboten (5, 6, 9).

Auch die Zeit bis zum PSA-Progress, das radiologisch/szintigraphisch progressionsfreie Überleben und die Zeit bis zum ersten skelettbezogenen Ereignis war unter Enzalutamid statistisch signifikant verlängert (im Median um 5,3 Monate, 5,4 Monate bzw. 3,4 Monate).

Daten zur Lebensqualität wurden mit dem Fragebogen „Functional Assessment of Cancer Therapy – Prostate“ (FACT-P) erhoben. Im Enzalutamid-Arm verbesserte sich die Lebensqualität statistisch signifikant bei 43,2% der Patienten, verglichen mit 18,3% im Plazebo-Arm.

Nebenwirkungen waren in beiden Gruppen sehr häufig: bei 98% der Patienten. Schwere Nebenwirkungen (≥ Grad 3; 34% vs. 28%) und Nebenwirkungen, die zum Abbruch der Behandlung (7% vs. 5%) führten, waren im Plazebo-Arm etwas häufiger als im Enzalutamid-Arm (9). Müdigkeit, Durchfall und Hitzewallungen waren die häufigsten Nebenwirkungen unter Enzalutamid. Zu Krampfanfällen kam es bei 6 von 800 Patienten unter Enzalutamid (0,8%), dagegen bei keinem Patienten unter Plazebo (9). Hinweise auf Krampfanfälle als Nebenwirkung von Enzalutamid hatten sich schon aus vorklinischen Studien ergeben (5, 6, 9).

Enzalutamid ist ein potenter Enzyminduktor, d.h. die Wirksamkeit vieler gängiger Arzneimittel kann abgeschwächt, aber auch verstärkt werden. Zu den Arzneimittelgruppen, die beeinflusst werden können, gehören Kalziumantagonisten, Statine, Antibiotika und Analgetika (s. Fachinformation für Einzelheiten). In der Fachinformation von Enzalutamid findet sich ein schwarzes Dreieck als Zeichen dafür, dass das Arzneimittel einer zusätzlichen Überwachung unterliegt (vgl. 10).

Fazit: Bei Patienten mit metastasiertem, kastrationsresistentem Prostatakarzinom, deren Erkrankung nach oder unter Docetaxel progredient war, verlängerte Enzalutamid in der Zwischenanalyse einer Phase-III-Studie das Gesamtüberleben im Vergleich zu Plazebo um im Median 4,8 Monate. Auch sekundäre Endpunkte, darunter die Lebensqualität, fielen zugunsten von Enzalutamid aus. Krampfanfälle sind als mögliche Nebenwirkung von Enzalutamid zu beachten, ebenso wie Interaktionen mit vielen Arzneimittelgruppen. Direkte Vergleiche von Enzalutamid mit anderen Wirkstoffen wie Abirateron und Cabazitaxel fehlen bisher ebenso wie Daten zur optimalen Sequenz, zu möglichen Synergismen oder Kreuzresistenzen der antihormonell oder zytostatisch wirksamen Arzneimittel (11). Trotz Fehlens dieser Studienergebnisse wird bereits heute von einem „großen Fortschritt“ in der Therapie des metastasierten Prostatakarzinoms mit Enzalutamid gesprochen (12) und dem Wirkstoff ab 2014 ein Blockbuster-Status prophezeit – mit einem weltweiten Umsatz im Jahr 2017 von mehr als 3,5 Mrd. US-$ (13).

Literatur

  1. AMB 2012, 46,38. Link zur Quelle AMB 2013, 47, 63b. Link zur Quelle
  2. http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/043-022OLk_S3_Prostatakarzinom_2011.pdf Link zur Quelle
  3. NationalComprehensive Cancer Network Guidelines Version 2.2013. Link zur Quelle
  4. Horwich, A., et al.:Ann. Oncol. 2013, 24, 1141. Link zur Quelle
  5. AstellasPharma Europe B.V.: Xtandi 40 mg Weichkapseln. Stand: Juni 2013.
  6. http://www.ema.europa.eu/…Link zur Quelle
  7. AMB 2012, 46,82. Link zur Quelle AMB 2012, 46, 69b. Link zur Quelle AMB 2008, 42,69a. Link zur Quelle
  8. Scher, H.I., et al.:Lancet 2010, 375, 1437. Link zur Quelle
  9. Scher, H.I., et al. (AFFIRM = Astudy evaluating the efficacy and safety of the investigational drug MDV3100):N. Engl. J. Med. 2012, 367, 1187. Link zur Quelle
  10. AMB 2013, 47, 24. Link zur Quelle
  11. Breuer, J., undNachtnebel, A.: Ludwig Boltzmann Institut Health TechnologyAssessment 2013, Horizon Scanning in Oncology Nr. 37. Link zur Quelle
  12. Vogelzang, N.J.: N. Engl. J. Med. 2012, 367,1256. Link zur Quelle
  13. Mullard, A.: Nat. Rev.Drug Discov. 2013, 12, 87. Link zur Quelle