Medizinische Leitlinien sollen, ausgehend von dem aktuellen
Wissensstand, diagnostische und therapeutische Entscheidungen von Ärzt(inn)en verbessern.
Wir haben uns mehrfach dazu geäußert, wie problematisch es ist, wenn
pharmazeutische Unternehmer (pU) mit primär ökonomischen Zielen über die
Autoren von Leitlinien Einfluss auf den Inhalt nehmen (vgl. 1). Es gibt
nur wenige systematische Untersuchungen zu diesem Thema. Häufig wurde nur gezählt,
wie oft Leitlinienautoren Interessenkonflikte angeben (2). Die Auswirkungen der
Interessenkonflikte auf die Inhalte von Leitlinien wurden jedoch kaum
untersucht.
In einer aktuellen Publikation im Deutschen Ärzteblatt gehen
Autoren der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) nun an zwei
Beispielen der Frage nach, ob sich ein Einfluss pU auf Leitlinien aus
Deutschland inhaltlich nachweisen lässt (3).
Grundlage der Empfehlungen zur medikamentösen Therapie in
Leitlinien sind die Ergebnisse klinischer Arzneimittelstudien und die Meinung
der beteiligten Experten. Durch den Zugang zu internen Dokumenten im Rahmen
eines Gerichtsverfahrens bzw. -gutachtens wurden verschiedene Manipulationen in
Publikationen klinischer Studien offengelegt, die mit finanzieller
Unterstützung der pU durchgeführt wurden. Hierzu zählen unter anderem: die
selektive Auswertung von Patientendaten, die nachträgliche Veränderung des
primären Endpunkts, die angesichts der Ergebnisse zu positive Formulierung der
Zusammenfassung und die wissenschaftliche Irreführung durch Publikationsplanung
(vgl. 4). Am Beispiel von Gabapentin belegen die Autoren der AkdÄ, dass
die vom Zulassungsinhaber manipulierte Datenlage auch für Empfehlungen in
Leitlinien herangezogen wurde, die von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen
Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zur Behandlung der Migräne,
neuropathischer Schmerzen und peri- bzw. posttraumatischer Schmerzen publiziert
wurden (3). Auf der manipulierten Datenlage basierten auch Aussagen in einer
zertifizierten Fortbildung (3).
Der Einfluss von Interessenkonflikten der Autoren auf Empfehlungen
in Leitlinien wurde am Beispiel von Efalizumab zur Behandlung der Psoriasis
vulgaris untersucht (5). Es wird gezeigt, dass Efalizumab in der von der AWMF
publizierten S3-Leitlinie, deren Autoren vielfältige Interessenkonflikte
hatten, in verschiedenen Aspekten günstiger beurteilt wird als in einer
Leitlinie des National Institute of Health and Care Excellence (NICE). Das NICE
hatte bei der Erstellung ihrer Leitlinie Experten mit Interessenkonflikten
ausgeschlossen. Beispielweise wurde in der S3-Leitlinie der AWMF die Qualität
der Evidenz als gut beurteilt und der Einsatz von Efalizumab zur
Induktionstherapie der mittelschweren bis schweren Psoriasis vulgaris befürwortet.
Diese Empfehlung entsprach jedoch nicht den zugelassenen Anwendungsgebieten.
Außerdem wurde die Gabe von Efalizumab zur Kombinationstherapie sowie bei
vorbehandelten Patienten empfohlen und die Verbesserung der
gesundheitsabhängigen Lebensqualität herausgestellt, ohne adäquate Belege
hierfür anzuführen. Die positive Bewertung von Efalizumab in der S3-Leitlinie
kam den Interessen des Zulassungsinhabers eher entgegen als die Empfehlungen
der NICE-Leitlinie.
Die untersuchte Leitlinie zu Efalizumab wurde im Jahr 2006
publiziert. Die AWMF hat im April 2010 Empfehlungen zum Umgang mit
Interessenkonflikten herausgegeben, die sich orientieren an Standards des
Institute of Medicine (IOM) der National Academies in den USA (6, 7).
Aktuelle Untersuchungen zeigen jedoch, dass diese Empfehlungen der AWMF noch
nicht ausreichend umgesetzt werden und der Umgang mit deklarierten
Interessenkonflikten nicht klar geregelt ist (8, 9).
Auch in der zurzeit gültigen Version der
Psoriasis-Leitlinie, publiziert im Jahr 2011, werden die Empfehlungen der AWMF
nur unzureichend befolgt (8). So gilt eine finanzielle Verbindung mit einem pU
als Interessenkonflikt. Nach den Regeln der AWMF soll die daraus resultierende
Befangenheit von den Präsidien der entsprechenden Fachgesellschaften bzw. vom
Lenkungsgremium beurteilt werden (6). Als befangen bewertete Mitglieder sollen
nicht an der Bewertung der Evidenz und der Konsensfindung mitwirken.
In der Psoriasis-Leitlinie geben etwa die Hälfte der Autoren
zum Teil vielfältige finanzielle Verbindungen (z.B. Berater- und
Gutachtertätigkeit, Honorare für Vorträge) zu pU an (10). Sie selbst vertreten
die Meinung, dass sich daraus keine Interessenkonflikte ergeben. Als
Projektleiter der Leitlinie ist weiterhin ein Experte eingesetzt, der unter
anderem Beratertätigkeit für pU angibt. Abschließend findet sich folgende
Erklärung: „Durch die Vielfältigkeit der Zusammensetzung der Leitliniengruppe
wurde davon ausgegangen, dass sich mögliche Interessenkonflikte gegenseitig
ausbalancieren.“
Aktuell werden im
British Medical Journal Kriterien zur Beurteilung von klinischen Leitlinien
vorgestellt, von denen bekannt ist, dass sie eine Verzerrung (Bias) der
Empfehlungen verursachen können (11). Jeder einzelne Punkt sollte Leser
skeptisch werden lassen. Zu den so genannten Warnsignalen bei Leitlinien
gehören:
- Sponsor ist eine medizinische Fachgesellschaft, die erhebliche finanzielle Unterstützung von der Industrie (z.B. pU, Hersteller von Medizinprodukten) erhält;
- Sponsor ist entweder ein kommerzielles Unternehmen oder er ist nicht angegeben oder das Sponsoring erfolgt versteckt;
- der Vorsitzende der Leitlinienkommission hat finanzielle Interessenkonflikte (jegliche);
- mehrere Mitglieder der Leitliniengruppe haben finanzielle Interessenkonflikte;
- jeder Hinweis auf eine Beeinflussung der Besetzung der Leitliniengruppe, die eine Empfehlung hinsichtlich eines strittigen Punktes im Voraus festlegen würde;
- keine oder nur begrenzte Beteiligung eines in der Bewertung von Evidenz erfahrenen Methodikers;
- keine externe Überprüfung;
- keine Beteiligung von nicht-ärztlichen Fachleuten, Patientenvertretern, Vertretern des Gemeinwesens.
Das British Medical Journal wird zukünftig Zusammenfassungen
von Leitlinien nur noch publizieren, wenn sie die zuvor genannten Kriterien
erfüllen (12). Die in Deutschland für die Erstellung von Leitlinien
verantwortlichen Fachgesellschaften und Institutionen sollten diesem guten
Beispiel rasch folgen.
Literatur
- AMB 2013, 47,24DB01
. AMB 2009, 43, 60 . AMB 2002, 36, 31.
- http://www.akdae.de/Stellungnahmen/Weitere/20120123.pdf
. Vgl.auch AMB 2011, 45, 34 und AMB 2013, 47,24DB01.
- Schott, G., et al.:Dtsch. Arztebl. Int. 2013,110, 575.
- AMB 2006, 40, 05
. AMB 2012, 46, 59.
- AMB 2006, 40, 02.

- http://www.awmf.org/medizin-versorgung/stellungnahmen/umgang-mit-interessenkonflikten.html

- Lo, B., und Field, M.J.(Hrsg.): Conflict of interest in medical research, education, and practice. Thenational Academies Press, Washington, 2009.
- Langer, T., et al.: Dtsch.Arztebl. Int. 2012, 109,836.

- Schmutz, S.: Angaben zuInteressenkonflikten in Leitlinien der AWMF. Weiterbildender Masterstudiengang"Master of Public Health", Berlin School of Public Health, Charité –Universitätsmedizin Berlin. Masterarbeit, vorgelegt am 31. Mai 2013 und http://www.akdae.de/Kommission/Organisation/...

- http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1610-0379.2011.07680.x/pdf

- Lenzer, J., et al.: BMJ 2013, 347, f5535.
- Chew, M.: BMJ 2013, 347, f55536.
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