Wir haben wiederholt
über die Bedeutung von Vitamin D (VD) im Hinblick auf Knochengesundheit und
Regulierung des Kalziumstoffwechsels referiert (1). VD bzw. VD-Mangel soll aber
auch bei vielen anderen Krankheiten eine Rolle spielen (Übersicht bei 2), beispielsweise
bei Störungen der neuromuskulären Balance bei alten Menschen und Verhinderung
von Stürzen (3) oder bei der Inzidenz kardiovaskulärer Erkrankungen (4). Es
gibt Konsensus-Kriterien für die Diagnose von Mangel, Insuffizienz, Suffizienz
und Intoxikationsrisiko von VD anhand der Konzentration von 25-Hydroxyvitamin D
(25-OHD) im Plasma (4).
Viele Zelltypen
haben Rezeptoren für den aktiven VD-Metaboliten, das Hormon 1,25-Dihydroxyvitamin D
(Calcitriol), so dass von pleiotropen Effekten von VD auszugehen ist. In
unzähligen Publikationen werden auch verschiedene Autoimmunkrankheiten mit
VD-Mangel in Verbindung gebracht (vgl. 5). Bei vielen Erkrankungen dieses
Formenkreises finden sich niedrige 25-OHD-Konzentrationen im Plasma. Aber nur
selten haben Interventionsversuche mit hohen Dosen VD zu überzeugenden
therapeutischen oder präventiven Effekten geführt (4).
Die Inzidenz der Multiplen
Sklerose (MS) ist in beiden Erd-Hemisphären in der Nähe des Äquators viel
geringer als in Richtung auf die Pole (im Norden z.B. in Skandinavien und in Kanada).
Die Häufigkeit korreliert invers mit der Stärke der UV-B-Strahlung (6). Viele
Querschnittsstudien haben gezeigt, dass bei Patienten mit MS die Plasma-Konzentration
von 25-OHD niedriger ist als bei Gesunden (6, 7). Das trifft sogar noch
für eine subtropische Region wie Indien zu (8).
Ascherio et al. mit
Studien-Zentrum an der Harvard Medical School in Boston berichteten kürzlich
über die Progression der MS in Beziehung zu 25-OHD-Werten in den zuvor
gemessenen Blutproben (7). Es handelte sich um einen Teil einer Interventionsstudie
mit Interferon beta-1b (Sponsor Bayer), für die multizentrisch von 2002 bis
2003 in mehreren Ländern insgesamt 468 Patient(inn)en mit ersten Symptomen
einer möglichen MS rekrutiert wurden. Das Studiendesign wurde deshalb so
gewählt, weil Patienten mit bereits etablierter MS sich möglicherweise als
Folge ihrer Behinderung seltener im Freien aufhalten, d.h. geringere
UV-B-Exposition und damit niedrigere 25-OHD-Werte haben könnten.
25-OHD wurde basal
und bei vielen Patienten erneut nach 6, 12 und 24 Monaten gemessen. Dann wurden
die Konversionsrate zu gesicherter MS, die Zahl und der Querschnitt der
MS-Plaques im Gehirn-MRT, das gesamte Gehirnvolumen und der klinische
Behinderungsgrad der Patienten (EDSS-Score) einmal im Jahr evaluiert und mit
den 25-OHD-Werten des Vorjahrs in Beziehung gesetzt.
Mit steigenden 25-OHD-Werten
(aufgeteilt in fünf Quintilen) fiel die Änderung aller Parameter günstiger aus.
Vergleicht man nur Patienten mit gemittelten 25-OHD-Werten < 50 nmol/l
(n = 251) mit denen > 50 nmol/l (n = 213), dann
ist die Assoziation höherer 25-OHD-Werte mit geringerer Krankheitsprogression
deutlich und signifikant. Hinsichtlich des klinischen Behinderungs-Scores
(EDSS) trifft das tendenziell auch zu, ist nach 24 Monaten mit einem p-Wert von
0,11 aber nicht signifikant. Die Autoren schließen aus ihren Befunden, dass der
Nachweis niedriger 25-OHD-Konzentrationen und deren Korrektur bei Verdacht auf
MS oder bei gesicherter Diagnose schon jetzt einen Platz in der Therapie der MS
haben sollte.
Salzer et al. (6)
listen in ihrem kritischen Review zu VD und MS alle zurzeit laufenden größeren
Interventionsstudien auf (VD vs. Plazebo oder Hochdosis vs. Niedrigdosis von VD).
Es sind derzeit neun. Mit Ergebnissen sei zwischen 2014 und 2017 zu rechnen.
Die Patienten der Hochdosis-Gruppen erhalten zwischen 5000 IE und
14.000 IE VD/d, was vermutlich bei vielen Patienten zu toxischen
Effekten führen wird.
Wie bei anderen
Autoimmunkrankheiten nehmen bei Frauen mit MS Progression und Häufigkeit von
Schüben während einer Schwangerschaft signifikant ab, nach der Entbindung aber
wieder zu. Auch hierzu ist derzeit in Europa eine Interventionsstudie mit 5000 IE
vs. 1000 IE VD/d oral in Planung (6). Das US-Institute of Medicine, das
die Ausweitung der Indikationen für VD kritisch sieht, hat als tolerable Höchstdosis
von VD 4000 IE/d genannt (9). Vor jeder VD-Substitution muss eine Hyperkalziämie
ausgeschlossen werden.
Fazit: Bei Patient(inn)en
mit Multipler Sklerose wurden in vielen Querschnitts-Studien niedrigere
25-OH-Vitamin-D-Werte gefunden als in den Vergleichsgruppen mit Gesunden. Die
hier referierte Studie von Ascherio et al. (7) ergab, dass 25-OHD-Werte im
Plasma von > 50 nmol/l mit einer langsameren Progression der MS
assoziiert ist. Obwohl damit nicht bewiesen ist, dass Vitamin D hierbei eine
ursächliche Rolle spielt, ist es wahrscheinlich sinnvoll, niedrige 25-OHD-Werte
bei Patienten mit Multipler Sklerose in den Bereich der Vitamin-D-„Suffizienz“
anzuheben (um 75 nmol/l; vgl. 4). Dafür sind Vitamin-D-Tagesdosen bis
3000 IE/d wahrscheinlich ausreichend und ungefährlich.
Literatur
- AMB2006, 40, 14
. AMB 2006, 40, 30b . AMB 2008, 42, 44 . AMB 2012, 46, 70 . AMB 2013, 47, 56b. 
- Autier,P., et al.: Lancet Diabetes & Endocrinology 2014, 2, 76.
- AMB2009, 43, 94b.

- AMB2010, 44, 64.

- Editorial:Lancet Diabetes & Endocrinol. 2013, 2, 1.

- Salzer,J., et al.: Expert Rev. Neurother. 2014, 14, 9.

- Ascherio,A., et al.(BENEFIT = BEtaferon in Newly Emerging multiple sclerosis ForInitial Treatment): JAMA Neurol. Published online 20. Januar 2014.

- Shahbeigi,S., et al.: Int. J. Prev. Med. 2013, 4, 585.

- NationalResearch Council. Dietary Reference Intakes for Calcium and Vitamin D.Washington, DC. The National Academies Press, 2011.
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