Ältere Männer mit
symptomatischer Benigner Prostata-Hyperplasie (BPH) werden heute meist mit dem
relativ spezifisch am Blasenhals wirkenden adrenergen Alpha-1-Rezeptorblocker
Tamsulosin (Ta) oder mit 5-alpha-Reduktasehemmern (Finasterid = Fi oder
Dutasterid = Du) behandelt. Ta vermindert die Spannung der glatten Muskulatur
am Blasenausgang, während Fi und Du die Konzentration von Dihydrotestosteron in
der Prostata reduzieren, wodurch die vergrößerte Prostata kleiner wird (1). Von
anderen zur Behandlung der BPH verwendeten weniger spezifischen Alphablockern
ist bekannt, dass sie, besonders zu Beginn der Therapie, zu erheblichem Blutdruckabfall
führen können (2, 3). Das ist verständlich, denn Alphablocker, z.B.
Doxazosin, werden auch in der Hypertonietherapie verwendet. Da der Blutdruckabfall
zu Beginn der Therapie meist am größten ist, wurde auch von einem „first dose
phenomenon“ gesprochen.
S.T. Bird et al.
aus den USA und Kanada (4) versuchten herauszufinden, ob auch die Einnahme von Ta mit
Krankenhausaufnahmen wegen eines starken Blutdruckabfalls assoziiert ist. Sie
verwendeten dazu eine sehr umfangreiche US-amerikanische Datenbank (IMS
Lifelink database), in der Verschreibungen, Erkrankungen, Krankenhausaufnahmen
etc. von ca. 68 Mio. US-Bürgern erfasst wurden. Die Arbeitsgruppe wertete
die Daten von 297.596 Patienten aus, denen zwischen 2001 und 2011 Ta verordnet
worden war und verglich die Inzidenz von Krankenhausaufnahmen wegen akuter
Hypotension mit denen von 85.971 Patienten mit BPH, denen im gleichen Zeitraum
Fi oder Du verordnet worden war. Man ging davon aus, dass 5-alpha-Reduktasehemmer
nicht kreislaufwirksam sind. Die hypotensiven Ereignisse wurden differenziert nach
den Zeiträumen 1-4 Tage, 5-8 Tage und 9-12 Tage nach Erstverordnung der
Medikamente. Bei einer großen Zahl von Patienten konnten auch hypotensive
Ereignisse nach mindestens vier Wochen Unterbrechung der Therapie und Neubeginn
mit derselben Medikation evaluiert werden. Die primären Ergebnisse wurden
multivariat nach Alter, Komorbiditäten etc. korrigiert. Patienten mit früheren
operativen Eingriffen an der Prostata oder solche mit früheren hypotensiven
Ereignissen wurden von der Analyse ausgeschlossen.
Ergebnisse: Insgesamt wurden
2562 Patienten der o.g. Kohorten in dem erwähnten Zeitraum wegen akuter
Hypotension in ein Krankenhaus aufgenommen. Im Vergleich mit Patienten, die Fi
oder Du erhalten hatten, war das Risiko für eine Krankenhausbehandlung wegen
schwerer Hypotension bei denen, die Ta erhalten hatten, 1-4 Tage nach
Therapiebeginn mit einer Rate Ratio von 2,1 (95%-Konfidenzintervall = CI:
1,29-3,04) signifikant erhöht. 5-8 Tage nach Therapiebeginn war das Risiko auch
noch leicht erhöht (RR: 1,51; CI: 1,04-2,18), nicht aber mehr 9-12
Tage nach Therapiebeginn. Wurde die Therapie mindestens vier Wochen lang unterbrochen,
dann war in den ersten acht Tagen nach Re-Exposition mit Ta das Risiko für eine
schwere Hypotension auch wieder erhöht (1-4 Tage: RR 1,84; 5-8 Tage: RR: 1,85;
beides signifikant).
Zusammenfassend
ergab diese Kohortenstudie, dass auch nach Beginn einer Therapie mit Ta das
Risiko für schwere Blutdruckabfälle etwa um den Faktor 2 erhöht ist,
vermutlich aber weniger als nach Beginn der Therapie mit einem weniger
spezifischen Alphablocker. Da Ta bei vielen BPH-Patienten die obstruktiven
Symptome und die Lebensqualität deutlich bessert, gibt es zurzeit für diese
Indikation keine gute Alternative, vorausgesetzt der Schweregrad der Symptome
rechtfertigt den Einsatz von Ta überhaupt.
In einem Kommentar betont
J. Ramirez aus Kolumbien (5), dass Ta bei Patienten mit BPH, die andere
Antihypertensiva einnehmen, das Risiko von Hypotension erhöhen kann. Auch
sollten solche Patienten vor unkritischer Einnahme von Phosphodiesterase-Typ-5-Hemmern
(z.B. Sildenafil, Tadalafil, Vardenafil) wegen Erektiler Dysfunktion gewarnt
werden, da auch diese den Blutdruck senken können. Da Ta meist von Urologen
zuerst verordnet wird, sollten auch urologische Fachgesellschaften diese
Empfehlungen beachten.
Fazit: In den ersten acht
Tagen nach Therapiebeginn mit Tamsulosin (Regeldosis 0,4 mg/d) besteht ein
nicht sehr großes, aber signifikant erhöhtes Risiko für klinisch bedeutsame
Hypotension. Die Patienten müssen auf dieses Risiko hingewiesen werden.
Besonders bei Hypertonikern, die auch andere Blutdrucksenker nehmen, ist
Vorsicht geboten. Es kann sein, dass bei ihnen die Intensität der
antihypertensiven Therapie vorübergehend reduziert werden muss. Auch Medikamente
gegen Erektile Dysfunktion (Sildenafil, Tadalafil, Vardenafil) können das
Risiko für Hypotension (nicht nur) bei Ko-Medikation mit Tamsulosin erhöhen.
Literatur
- AMB2013, 47, 84.

- Nash,D.T.: Clin. Cardiol. 1990, 13, 764.

- Bendall,M.J., et al.: BMJ 1975, 2, 727.

- Bird,S.T., et al.: BMJ 2013, 347, f6320.

- Ramirez,J.: BMJ 2013, 347, f6492.

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