Zusammenfassung: Die
gepoolten Daten der vier großen Phase-III-Studien mit den verschiedenen neuen
oralen Antikoagulanzien (NOAK) bei Vorhofflimmern zeigen in einer aktuellen
Metaanalyse, dass ischämische Insulte gleich häufig reduziert werden wie mit Vitamin-K-Antagonisten
(VKA). Ein Vorteil der NOAK scheint zu sein, dass weniger hämorrhagische
Schlaganfälle und Hirnblutungen auftreten als bei Therapie mit VKA – unabhängig
von der Güte der INR-Einstellung. Zudem scheint auch die Gesamtletalität unter Behandlung
mit NOAK etwas geringer zu sein. NOAK in niedriger Dosierung reduzieren
Schlaganfälle in geringerem Maße als VKA, induzieren aber auch seltener
Blutungen - wahrscheinlich eine Option bei blutungsgefährdeten Patienten. Nach
wie vor gibt es keinen Test für die individuelle gerinnungshemmende Wirkung der
NOAK. Gegen den primären Einsatz der NOAK spricht außerdem, dass Langzeitdaten
und Antidote fehlen. Mögliche Indikationen bzw. klinische Situationen für eine
differenzielle Verordnung der NOAK müssen herausgearbeitet werden. Die für die
klinische Praxis wichtige Frage, welches NOAK bevorzugt eingesetzt werden
sollte, wird von der aktuellen Metaanalyse nicht beantwortet.
In einer kürzlich im Lancet publizierten Metaanalyse
gehen zwölf bekannte Kardiologen aus Nordamerika und Europa der Frage nach, ob
die neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK) besser und sicherer sind als
Vitamin-K-Antagonisten (VKA; 1). Die Arbeit wurde angeblich von keinem der
Hersteller direkt finanziell unterstützt. Aber die Autoren haben umfangreiche
Interessenkonflikte und sind eng mit den Herstellern der NOAK verbunden. So ist
beispielsweise der Erstautor Berater und Honorarempfänger von Daiichi Sankyo
(Hersteller von Edoxaban), Boehringer Ingelheim (Hersteller von Dabigatran) und
Bristol-Myers Squibb (Hersteller von Apixaban).
Es wurden die Daten von über 70.000 Patienten aus den
vier großen randomisierten kontrollierten Studien RE-LY (Dabigatran; 2),
ROCKET AF (Rivaroxaban; 3), ARISTOTLE (Apixaban; 4) und
ENGAGE AF–TIMI 48 (Edoxaban; 5) zusammengefasst und methodisch
nachvollziehbar metaanalysiert. Die Datenextraktion erfolgte aus den 14
offiziellen Publikationen der vier Studien bzw. deren Appendizes. Insgesamt
erhielten 42.411 Patienten ein NOAK und 29.272 den VKA Warfarin. Da in RE-LY
und ENGAGE AF-TIMI 48 jeweils zwei NOAK-Dosierungen getestet wurden,
führten die Autoren zwei Analysen durch, einmal mit den höheren Dosen aus RE-LY
und ENGAGE AF-TIMI 48 und einmal mit den gepoolten Ergebnissen mit den
niedrigeren Dosen.
Die Studienpopulationen sind homogen (Tab. 1). In
ROCKET-AF ist der durchschnittliche CHADS2-Score höher (3,5 vs.
2,8). Nur 58% der Studienzentren konnten ihre Patienten mit VKA
zufriedenstellend einstellen (Definition: ≥ 66% der INR-Messungen im
therapeutischen Bereich = TTR). Positiv ist zu bemerken, dass der Anteil der
Patienten > 75 Jahre in allen vier Studien mit knapp 40%
vergleichsweise hoch ist.
Ergebnisse: Die NOAK (Analyse
mit den höheren Dabigatran- bzw. Edoxaban-Dosierungen, mittlere Nachbeobachtung
2,2 Jahre) unterscheiden sich hinsichtlich des Auftretens ischämischer
Schlaganfälle nicht signifikant von den VKA (2,2% vs. 2,4%). Erst wenn man, wie
von den Autoren der Metaanalyse vorgeschlagen, alle Schlaganfälle (ischämische
und hämorrhagische) und auch andere thromboembolische Ereignisse einbezieht, ergibt
sich über zwei Jahre ein Vorteil für die NOAK von absolut 0,68% (3,1% vs.
3,78%; vgl. Tab. 2). Dies entspricht einer adjustierten relativen
Risikoreduktion von 19% (RR: 0,81; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,73-0,91;
p < 0,0001) und einer „Number Needed to Treat“ (NNT) von 323 pro
Jahr. Man müsste also in der Praxis etwa 100 Patienten mit Vorhofflimmern drei
Jahre lang mit einem NOAK behandeln, um bei einem Patienten ein solches Ereignis
zu verhindern. Dieser moderate Vorteil der NOAK gegenüber den VKA ergibt sich
in erster Linie durch weniger hämorrhagische Schlaganfälle (0,4% vs.
0,9%/2,2 Jahre) sowie subdurale, epidurale und subarachnoidale Blutungen
(0,69% vs. 1,4%/2,2 Jahre). Unter Behandlung mit NOAK fand sich auch eine
geringere Gesamtletalität: um 0,7% weniger in 2,2 Jahren (6,9% vs. 7,6%;
RR: 0,9; CI: 0,85-0,95; p = 0,0003). Der Grund hierfür ist noch nicht
ganz klar, dürfte aber damit zusammenhängen, dass zerebrale Blutungen seltener
waren.
Niedrigere NOAK-Dosierungen (RE-LY: zweimal 110 mg/d
Dabigatran und ENGAGE AF-TIMI 48: einmal 30 mg/d Edoxaban) waren insgesamt
gleich wirksam wie VKA hinsichtlich Verhinderung von Schlaganfällen und Thromboembolien
(RR: 1,03), wobei ischämische Insulte unter NOAK häufiger (RR: 1,28;
p = 0,045) und hämorrhagische Insulte seltener auftraten (RR: 0,33;
p < 0,0001). Auch unter niedrig dosierten NOAK war die
Gesamtsterblichkeit geringer als unter VKA (RR: 0,89; p = 0,003).
Den genannten Vorteilen höher dosierter NOAK gegenüber
VKA steht ein höheres Risiko für gastrointestinale Blutungen von 0,5% in
2,2 Jahren gegenüber (2,5% vs. 2%; p = 0,043) bei gleicher
Häufigkeit von Major-Blutungen (5,2% vs. 6,1%; p = 0,06). Mit niedrigen
NOAK-Dosierungen traten weniger Blutungen auf als mit VKA: Major-Blutung -35%,
intrazerebrale Blutung -69% und gastrointestinale Blutung -11%.
Die NOAK schnitten hinsichtlich Schlaganfällen und
thromboembolischen Ereignissen in nahezu allen Subgruppen besser ab als die
VKA: z.B. Alter ≥ 75 Jahre (RR: 0,78), Männer (RR: 0,84),
Frauen (RR: 0,78), Diabetiker (RR: 0,8), eingeschränkte
Nierenfunktion (RR: 0,78). Nur bei Patienten mit guter Nierenfunktion ergab
sich kein Vorteil (Kreatinin-Clearance > 80ml/min: RR: 0,98), und bei
Patienten mit einem CHADS2-Score ≤ 2 war das Konfidenzintervall
so groß, dass ein Vorteil der NOAK nicht zu belegen ist.
Interessant ist der Vergleich der Ergebnisse aus Studienzentren,
in denen die INR-Einstellung mit VKA ausreichend gut war (definiert als ≥ 66%
der Messungen im TTR) mit den Zentren, die überwiegend keine befriedigende INR-Einstellung
erzielen konnten. Es zeigte sich ein Vorteil der NOAK gegenüber VKA, der unabhängig
war von der Güte der INR-Einstellung (RR: 0,77 in Zentren mit schlechter
Einstellung und 0,82 in Zentren mit guter Einstellung; p = 0,6). Der
absolute Unterschied zwischen NOAK und VKA war in den Zentren mit schlechter
INR-Einstellung jedoch größer (0,87% vs. 0,56%). Auch hinsichtlich der Major-Blutungen
schnitten die Patienten aus Zentren mit guter INR-Einstellung besser ab. Dies zeigt
die große Bedeutung einer guten INR-Einstellung mit VKA.
Falls die Daten aus den vier großen Phase-III-Studien korrekt
publiziert wurden, sind die NOAK bei Vorhofflimmern den VKA gleichwertig
hinsichtlich der Verhinderung von Schlaganfällen. Sie verursachen jedoch etwas
seltener intrazerebrale Blutungen (NNT: 310/Jahr) und senken marginal die
Gesamtletalität (NNT: 2200/Jahr).
Ob man allerdings die vier NOAK als einheitliche Gruppe
bewerten darf, wie in dieser Metaanalyse geschehen, ist fraglich. Die
Wirkstoffe unterscheiden sich in mehreren bedeutsamen Details. So fand sich beispielsweise
nur bei Therapie mit Apixaban oder Edoxaban (niedrige Dosis) eine statistisch
signifikant niedrigere Gesamtletalität und nur bei Dabigatran waren Myokardinfarkte
häufiger. Einen direkten Vergleich der Wirkstoffe wird es wohl nicht so bald
geben. Daher werden wir – ähnlich wie bei den Statinen - lange Zeit auf
indirekte Vergleiche angewiesen und dem Marketing der Hersteller ausgeliefert
sein.
Alle eingeschlossenen Studien haben wir im AMB
besprochen und die positiven Ergebnisse, aber auch die Nachteile im Einzelnen
analysiert. Die Autoren der Metaanalyse haben kombinierte Endpunkte gebildet,
um die Ergebnisse NOAK versus VKA in einem Quotienten statistisch vergleichen
zu können. Eine solche quantifizierende Metaanalyse kann aber wesentliche qualitative
klinische Aspekte nicht abbilden. Die folgenden sind jedoch für die Therapieentscheidung
in der Praxis mindestens ebenso relevant:
- Bislang ist es nicht möglich, die Antikoagulation individuell mit einem Test zu steuern oder die Einnahmetreue abzuschätzen. Die Aussage der pharmazeutischen Unternehmer, dass bei den NOAK die Hemmung der Gerinnung nicht überprüft werden muss, ist bei einer so eingreifenden Intervention primär nicht plausibel und auch nicht belegt. Es besteht der Verdacht, dass die Handhabung der NOAK so dargestellt wurde, weil bei der Zulassung gar keine Tests existierten (vgl. 6). Angeblich werden solche Tests derzeit entwickelt.
- Im Gegensatz zu VKA ist es nicht möglich, die Dosis individuell anzupassen, z.B. bei einer Kombinationsbehandlung mit Hemmern der Thrombozytenfunktion (vgl. 8).
- Akute Blutungen unter NOAK sind ein besonderes Problem, denn es gibt nach wie vor kein Antidot.
- Es fehlt die Erfahrung langjähriger Anwendung.
- Bei Patienten mit fortgeschrittener Nieren- oder Leberinsuffizienz sowie Hochbetagten, ist die Blutungsgefahr unter NOAK nicht abzuschätzen.
- NOAK sind bei bestimmten Indikationen, z.B. bei mechanischen Herzklappen, kontraindiziert.
- NOAK sind erheblich teurer als VKA (Tageskosten ca. 3,20 € vs. 20 Cent plus Kosten für INR-Messungen).
Wegen dieser Nachteile, der Industrienähe der Autoren
von Publikationen zu NOAK und des Verdachts von Manipulation (6) ist es nach
unserer Einschätzung nicht gerechtfertigt, generell von VKA auf NOAK
umzuschwenken. Die Frage: „NOAK oder Vitamin-K-Antagonisten?“ muss nach
Abwägung von Vor- und Nachteilen individuell entschieden werden. Es wird eine Aufgabe
der nächsten Jahre sein, eine mögliche Differenzialindikation herauszuarbeiten.
Ein vorläufiger Vorschlag ist in Tab. 3 dargestellt.
Literatur
- Ruff, C.T., etal. Lancet2014, 383, 955.

- Connolly,S.J., et al. (RE-LY= Randomized Evaluation of Long-term AnticoagulationtherapY): N. Engl. J. Med. 2009, 361, 1139
. Vgl. AMB 2010, 44, 06b . AMB 2011, 45, 07a. 
- Patel,M.R., et al. (ROCKETAF = Rivaroxaban Once daily oral direct factor Xa inhibition Comparedwith vitamin K antagonism for prevention of stroke and Embolism Trialin Atrial Fibrillation): N. Engl. J. Med. 2011, 365, 883.
Vgl. AMB 2011, 45, 73. 
- Granger,C.B., et al. (ARISTOTLE= Apixaban for reduction in stroke and other thromboembolic events in atrialfibrillation): N. Engl. J. Med. 2011, 365, 981
. Vgl. AMB2011, 45, 73. 
- Giuliagno,R., et al. (ENGAGE AF-TIMI 48 = Effective anticoagulation with Factor Xa - Next Generation in Atrial Fibrillation- Thrombolysis In Myocardial Infarction 48): N.Engl. J. Med. 2013, 369, 2093
. Vgl. AMB 2014,48, 12. 
- AMB2014, 48, 30a.

- AMB2013, 47, 74
. AMB 2013, 47, 13a. 
- AMB2012, 46, 17.

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