Herzinfarkt und Schlaganfall sind eine wichtige Ursache
erhöhter Letalität in der perioperativen Phase. Schwankungen des Blutdrucks,
Herzrhythmusstörungen und Änderungen der Thrombozytenaggregation sind u.a. dafür
verantwortlich. Daher wurde die prophylaktische Wirksamkeit von Betablockern
und auch von ASS in zahlreichen Studien und Metaanalysen untersucht. DER
ARZNEIMITTELBRIEF hat mehrfach darüber berichtet (1-3). Betablocker senken
möglicherweise die Infarktrate, aber nicht die Letalität. Clonidin dämpft ebenfalls
den Sympathikotonus, aber eine prophylaktische Wirkung wurde nur nach kardialen
Operationen in kleineren Studien nachgewiesen. Die Indikation zur
perioperativen Hemmung der Thrombozytenaggregation folgt Regeln, die sich am CHA2DS2-VASc-Score
(vgl. 4) und dem intraoperativen Blutungsrisiko der Patienten orientieren
(vgl. 3). Aber auch für dieses Konzept gibt es keine überzeugende
Bestätigung. Nun wurden in zwei Publikationen aus Kanada klinisch wichtige Ergebnisse
einer großen multinationalen, randomisierten Studie mitgeteilt zur perioperativen
Prophylaxe mit Clonidin bzw. ASS bei nicht-kardialen Operationen (5, 6).
Methodik: In 135 Zentren in 23 Ländern
wurden insgesamt 10.010 Patienten (Alter 68,5 ± 10,4 Jahre;
52,6% Männer) mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko eingeschlossen. Sie
mussten mindestens zwei Punkte im CHA2DS2-Vasc-Score haben.
Ausgeschlossen wurden antihypertensiv behandelte Patienten und solche mit
Zustand nach hämorrhagischem Insult oder nach Implantation eines koronaren
Stents - d.h. mit klarer Indikation für oder gegen die zu untersuchende
Prophylaxe. Die Patienten wurden 1:1:1:1 randomisiert und erhielten verblindet
eine Doppelmedikation (2x2 factorial design) und zwar entweder 1. Clonidin
(0,2 mg/d) plus ASS (100 mg/d) oder 2. Clonidin plus ASS-Plazebo
oder 3. Clonidin-Plazebo plus ASS oder 4. Clonidin-Plazebo plus
ASS-Plazebo. So konnten die Ergebnisse jedes Patienten entsprechend den
medikamentösen Kombinationspartnern zweimal gezählt und zwei Wirkstoffe gleichzeitig
und plazebokontrolliert mit hoher Fallzahl untersucht werden. Die Patienten
erhielten die Studienmedikation (s.o.) bei nicht-kardialen Operationen unmittelbar
präoperativ sowie über drei Tage postoperativ und wurden 30 Tage
nachbeobachtet. Kombinierter primärer Endpunkt war: Tod oder nicht-tödlicher Herzinfarkt;
sekundäre Endpunkte: zusätzlich nicht-tödlicher Schlaganfall sowie zusätzlich kardiale
Revaskularisation, nicht-tödliche Lungenembolie oder nicht-tödliche Beinvenenthrombose;
zu den zahlreichen tertiären Endpunkten gehörten: Rehospitalisation wegen einer
kardiovaskulären Erkrankung, Vorhofflimmern, Amputationen sowie
Niereninsuffizienz mit Dialysepflichtigkeit.
Ergebnisse: Weder die Propylaxe mit Clonidin noch mit
ASS senkte die Letalität oder die Häufigkeit von Herzinfarkten 30 Tage
nach einer nicht-kardialen Operation. Die Häufigkeit war bei Clonidin und
Clonidin-Plazebo sowie ASS und ASS-Plazebo etwa 7% (vgl. Tab. 1). Auch
die Häufigkeit von Schlaganfällen sowie des zweiten und des dritten Endpunkts wurde
statistisch nicht beeinflusst. Demgegenüber gab es eine hochsignifikante
Zunahme von bedrohlichen Hypotensionen (und Bradykardien) bei Clonidin und
massive Blutungen bei ASS (vgl. Tab. 1).
Diskussion: In dieser Untersuchung wurde weder mit ASS
noch mit Clonidin ein positiver Effekt gesehen. Es ist erstaunlich, dass ein negativer
Befund überhaupt im N. Engl. J. Med. so ausführlich veröffentlicht wurde. Bei Patienten
mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko ist die Wirksamkeit einer niedrig
dosierten ASS-Prophylaxe insgesamt evident (vgl. 7). In der perioperativen
Phase ist das offenbar anders und auf den ersten Blick nicht plausibel. Jedoch
wird das Risikoprofil und auch die Häufigkeit erwünschter und unerwünschter
Arzneimittelwirkungen und -wechselwirkungen offenbar massiv verändert durch:
Angst, Schmerzen, gesteigerten Sympathikotonus mit Tachykardie und Hypertonie, gesteigerten
Vagotonus mit Bradykardie, Volumenmangel mit Hypotension, Abnahme des
Herzzeitvolumens, Azidose und Hypoxämie. Clonidin mindert den Sympathikotonus, sowie
Angst und Unruhe, führt aber oft zu bedrohlichen Hypotensionen und bradykarden
Rhythmusstörungen und auf diese Weise ggf. zu Durchblutungsstörungen und
Infarkten. ASS verhindert möglicherweise auch postoperativ Infarkte,
andererseits induziert es aber im perioperativen Stress mehr Blutungen mit Hypotensionen,
die wiederum zu Infarkten führen und so den Nutzen aufheben können.
Dass sich postoperativ pharmakodynamische Wirkungen ändern,
bezeichnen die Autoren des Editorials (8) im selben Heft des N. Engl. J. Med.
als „The Yin and Yang of perioperative medicine“. In diesem Zusammenhang ist
damit gemeint: Arzneimittel ergänzen, beeinflussen oder antagonisieren sich in
der perioperativen Phase anders als sonst. Ein Fortschritt bei der
Risikoreduktion - speziell für Herzinfarkt - sei nur dann möglich, wenn es
gelänge, Arzneimittel zu entwickeln, bei denen auch in Situationen mit pathophysiologischen
Besonderheiten die Nebenwirkungen (Yang) nicht die positiven Wirkungen (Yin)
mindern oder aufheben. Dies gilt allerdings nicht nur für die perioperative
Pharmakotherapie, sondern ist immer und überall das Ziel des Fortschritts.
Fazit: In der POISE-2-Studie wurde bei > 10.000 Patienten
in 135 Zentren und 23 Ländern mit komplexer Methodik untersucht, ob ASS oder
Clonidin postoperativ eine prophylaktische Wirkung hinsichtlich vaskulärer
Erkrankungen haben und die Letalität senken. Das Ergebnis ist eindeutig
negativ, denn beide Wirkstoffe senken weder die Letalität noch die Häufigkeit
von Herzinfarkten, steigern aber hochsignifikant die Blutungsrate (ASS) bzw.
die Zahl von Hypotensionen und Bradykardien (Clonidin). Beide Wirkstoffe
sollten daher in der perioperativen Phase nicht eingenommen bzw. abgesetzt
werden. Ausnahme: Patienten mit intrakoronaren Stents. Dazu müssen zusätzliche
Informationen abgewartet werden.
Literatur
- Devereaux,P.J., et al. (POISE = PeriOperative ISchemic Evaluation):Lancet 2008, 371, 1839
. Vgl. AMB 2008, 42, 54. 
- AMB2013, 47, 75.

- AMB2010, 44, 17.

- AMB2014, 48, 35.

- Devereaux,P.J., et al. (POISE-2 = PeriOperative ISchemic Evaluation2): N. Engl. J. Med. 2014, 370, 1494.

- Devereaux,P.J., et al. (POISE-2 = PeriOperative ISchemic Evaluation2): N. Engl. J. Med. 2014, 370, 1504.

- AntithromboticTrialists’ Collaboration: Brit. Med. J. 2002, 324, 71. Erratum: Brit.Med. J. 2002, 324, 141.

- Vaishnava, P., und Eagle, K.A.: N. Engl. J. Med.2014, 370, 1554.

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