Über die Diskussion zu Dauer und Intensität der dualen
Plättchenhemmung (DAT) nach Implantation koronarer Stents haben wir in der
Vergangenheit mehrfach berichtet (vgl. 1). Nach den aktuellen Leitlinien
der kardiologischen Fachgesellschaften ist nach Implantation eines
unbeschichteten, sog. „Bare-Metal Stents“ (BMS), eine mindestens einmonatige
DAT erforderlich und nach Implantation eines beschichteten, sog. „Drug-Eluting
Stents“ (DES), eine 6-12monatige DAT. Es gibt jedoch Patienten, deren
Thrombozyten mit den Standarddosierungen von ASS und/oder eines Thienopyridins
(TP; Clopidogrel, Prasugrel) bzw. Ticagrelor nur unzureichend gehemmt werden („Low-
bzw. „Non-responder“). Eine solche unzureichende Hemmung ist mit einer höheren
Rate von Stent-Thrombosen und Reinfarkten assoziiert (1). Deshalb wurde und
wird immer wieder eine individuelle Dosierung der DAT mittels
Thrombozytenfunktionstests diskutiert und bei Risikopatienten sogar eine
Verlängerung der DAT auf 2-3 Jahre.
Die prospektiven, offenen, randomisierten, kontrollierten
ARCTIC-Studien gingen beiden Fragen nach (2-4). Hierfür wurden zunächst in den
Jahren 2009-10 an 38 französischen Zentren insgesamt 2440 Patienten eingeschlossen,
die elektiv einen DES erhielten. Die Studie wurde von einer unabhängigen
Non-profit-Forschungsorganisation (ACTION, Groupe Hospitalier Pitié-Salpêtrière Paris) mit öffentlichen
Geldern, aber auch mit finanzieller Unterstützung pharmazeutischer Unternehmer
durchgeführt (Fondation de France, Sanofi-Aventis,
Cordis, Medtronic, Boston Scientific, Fondation SGAM).
Ziel des ersten Teils der Studie („ARCTIC-Monitoring“)
war es, die DAT nach der Intensität der Thrombozytenfunktionshemmung zu
steuern. Im Interventionsarm wurde ASS und TP nach dem Ergebnis der
Thrombozytenfunktionstests dosiert (Monitoring-Gruppe; n = 1213) und
im Kontrollarm (n = 1227) erhielten die Patienten ASS und TP in
Standarddosierung. Ausgeschlossen waren u.a. Patienten mit akutem
Myokardinfarkt (STEMI) und Patienten mit oralen Antikoagulanzien (OAK). Das
mittlere Alter der Patienten betrug 63 Jahre, 19% waren Frauen, 36%
Diabetiker, 24% aktive Raucher, 27% hatten ein Akutes Koronarsyndrom.
Alle Patienten erhielten mindestens
sechs Stunden vor dem Eingriff ASS plus TP als „Loading“. Die Wahl Clopidogrel
oder Prasugrel, die Dosis im Kontrollarm sowie der genaue Zeitpunkt blieben den
behandelnden Ärzten überlassen.
In der Monitoring-Gruppe wurde unmittelbar vor der Stent-Implantation
ein Thrombozytenfunktionstest (VerifyNow-Test) durchgeführt, ein Standard-Test,
der bereits in vielen Studien angewendet worden ist. Mit ihm wird mittels zwei
verschiedener Testkartuschen die Wirkung von ASS und von TP auf die
Thrombozyten gemessen. Es zeigte sich bei 7,6% der Patienten eine unzureichende
ASS-Wirkung und bei 34% eine unzureichende TP-Wirkung (= Low responder;
definiert als ≥ 550 Reaktionseinheiten im ASS-Assay und ≥ 236
Reaktionseinheiten im TP-Assay). Der Anteil der Patienten mit Low response
entspricht dem aus anderen Studien und ist daher plausibel.
Die „Low-responder“ erhielten vor der Stent-Implantation nun nochmals eine intravenöse Injektion von
ASS bzw. eines Glykoprotein-IIb/IIIa-Inhibitors (z.B. Abciximab, Tirofiban oder
Eptifibatid) und eine zusätzliche Loading-Dosis Clopidogrel (600 mg) oder
Prasugrel (60 mg). Im Weiteren wurde dann auch die Erhaltungsdosis des TP
erhöht (150 mg/d Clopidogrel) oder auf 10 mg/d Prasugrel gewechselt.
Bei der Entlassung erhielten daher in der Monitoring-Gruppe 9,3% und in der Kontroll-Gruppe
6% der Patienten Prasugrel. Weiterhin wurde in der Monitoring-Gruppe bei 47,8%
der mit Clopidogrel Behandelten die Clopidogrel-Dosis erhöht (150 mg/d
oder mehr) und bei 37,1% wurde eine höhere ASS Dosis als 100 mg/d verordnet.
14-30 Tage nach der Stent-Implantation
wurde in der Monitoring-Gruppe der Thrombozytenfunktionstest
wiederholt. Zu diesem Zeitpunkt wurde nur noch
bei 15,6% der Patienten eine unzureichende Hemmung auf TP gemessen und bei 3,9%
eine unzureichende ASS-Wirkung. Die Dosierungen wurden nun erneut angepasst:
Entweder wurde die Clopidogrel-Dosis erneut erhöht oder auf 10 mg/d
Prasugrel umgestellt. Bei Patienten, bei denen die Thrombozyten zu stark
gehemmt waren, wurde die Dosis aus Sicherheitsgründen reduziert bzw. von
Prasugrel auf Clopidogrel umgestellt.
Der primäre Endpunkt der ARCTIC-Monitoring-Studie war
zusammengesetzt aus Tod, Myokardinfarkt, Stent-Thrombose, Schlaganfall oder
ungeplanter Re-Intervention innerhalb eines Jahres. Dieser primäre Endpunkt
wurde von der „maßgeschneiderten Therapie“ jedoch nicht günstig beeinflusst:
34,6% der Patienten in der Monitoring-Gruppe und 31,1% der Patienten in der
konventionell geführten Gruppe erreichten den Endpunkt (Hazard Ratio = HR:
1,13; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,98-1,29; p = 0,1). Auch bei den
beiden wichtigsten sekundären Endpunkten, Stent-Thrombose und
Notfall-Revaskularisation, fanden sich keine signifikanten Unterschiede
zwischen den beiden Strategien (4,9% vs. 4,6%). Interessanterweise fanden sich
auch keine Unterschiede bei der Häufigkeit von Blutungen (Major-Blutungen: 2,3%
vs. 3,3%; Minor-Blutungen: 1,0% vs. 1,7%; nach der STEEPLE-Klassifikation; 5).
Im zweiten Teil der Studie („ARCTIC-Interruption“) wurden
die gleichen Patienten nach der einjährigen Nachbeobachtung erneut randomisiert
(Jahre 2010-12). Nun sollte eine Gruppe die DAT beenden, wie von den Leitlinien
empfohlen, und nur noch ASS einnehmen und die zweite Gruppe die DAT in der Dosis
wie zuvor für weitere 6-18 Monate durchführen. Von
diesem zweiten Teil der Studie wurden u.a. alle Patienten ausgeschlossen, die
im ersten Teil ein ischämisches Ereignis erlitten, einen Sicherheitsendpunkt
erreicht oder ASS nicht vertragen hatten. Da auch die behandelnden Ärzte es häufig
ablehnten, die DAT weiterzuführen, konnten nur 1259 Patienten für den
zweiten Studienteil randomisiert werden (mittleres Alter 64 Jahre; 18% ≥
75 Jahre; 20% Frauen). Bei 624 Patienten wurde
die DAT nun beendet und mit ASS allein weiterbehandelt („Interruption-Gruppe“)
und 635 führten die DAT weiter („Continuation-Gruppe“). Von diesen erhielten
20% eine höhere Dosis Clopidogrel bzw. Prasugrel wegen Low response im ersten
Studienteil.
Nach einer Beobachtungszeit von weiteren 17 Monaten
wurde der kombinierte primäre Endpunkt (Tod, Myokardinfarkt, Stent-Thrombose,
Schlaganfall oder ungeplante Re-Intervention) in beiden Gruppen von 4% der
Patienten erreicht. Bei keinem der einzelnen Ereignisse fand sich zwischen den
beiden Gruppen ein statistischer Unterschied. Bei den Blutungskomplikationen
fand sich ein geringer Nachteil für die Patienten, die die DAT weiterführten (2%
vs. 1% Major- und Minor-Blutungen; HR: 0,26;
CI: 0,07-0,91; p = 0,04).
Bei der Analyse der Subgruppen zeigte sich, dass eine „Low-response“
im VerifyNow-Test mit einer höheren Letalität assoziiert war (3% vs. 1%; Hazard
Ratio 5,07; CI: 1,63-15,76; p = 0,005). Zu einem günstigeren
klinischen Verlauf führte bei diesen Patienten allerdings weder die individuell
dosierte Hemmung der Thrombozytenfunktion noch eine Verlängerung der DAT über
die empfohlenen 12 Monate hinaus.
Fazit: Die ARCTIC-Studien
zeigen: Nach Implantation eines koronaren Stents und erforderlicher dualer Hemmung
der Thrombozytenfunktion (DAT) bringt eine nach dem Ergebnis eines
Thrombozytenfunktionstests (VerifyNow) „maßgeschneiderte“ Dosierung im
Vergleich mit der Standarddosierung (z.B. 75 mg/d Clopidogrel plus 100 mg/d
ASS) keine Vorteile. Für eine routinemäßige Messung der Thrombozytenfunktion
gibt es also derzeit keine klinische Begründung. Auch eine Verlängerung der DAT
über das empfohlene Jahr hinaus verbessert nicht die Prognose, steigert jedoch die
Zahl der Blutungskomplikationen. Daher sollte eine längere DAT nur im gut begründeten
Einzelfall durchgeführt werden.
Literatur
- AMB2011, 45, 33.

- Collet,J.P., et al. (ARCTIC = Assessment by a double Randomization of a Conventionalantiplatelet strategy versus a monitoring-guided strategy for drug-elutingstent Implantation and of Treatment Interruption versus Continuationone year after stenting): Am. Heart J. 2011, 161, 5.

- Collet,J.P., et al. (ARCTIC): N. Engl. J. Med. 2012, 367, 2100.

- Collet,J.P., et al. (ARCTIC): Lancet 2014, 15 July 2014 online first.

- Montalescot,G., et al. (STEEPLE = SafeTy and Efficacy of Enoxaparinin PCI patients, an internationaL randomized Evaluation):N. Engl. J. Med. 2006, 355, 1006.

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