Zusammenfassung: Die
Therapieergebnisse beim Restless-legs-Syndrom sind nach wie vor unbefriedigend.
Vor einer medikamentösen Behandlung sollten zugrunde liegende Erkrankungen oder
Mangelzustände erkannt und behandelt werden. Levodopa und Dopaminergika sind
Mittel der ersten Wahl zur Besserung der Symptome. Bei höheren Dosen und bei
Langzeitgebrauch ist unter Levodopa bei 30-60% und unter Dopaminergika bei 10%
der Patienten mit einer Verschlechterung der Symptome zu rechnen („iatrogene
Augmentation“). Verschiedene, meist teure und für diese Indikation nicht
zugelassene Alternativen, wie Antikonvulsiva oder Opioide, können bei
Patienten, die nicht oder schlecht auf Levodopa oder Dopaminergika angesprochen
haben, nach entsprechender Aufklärung und Beachtung der Nebenwirkungen versucht
werden.
Nach Angaben der deutschen Gesellschaft für Neurologie
soll das Restless-legs-Syndrom (RLS; auch Willis-Ekbom-Syndrom) mit
einer altersabhängigen Prävalenz von 3-10% zu den häufigsten neurologischen
Störungen zählen (1). Nach Definition der „International
RLS Study Group“ (IRLS), die die Diskussion um diese Störung stark
dominiert, gibt es vier „essentielle Diagnosekriterien“ für ein RLS:
- Bewegungsdrang der Beine (evtl. auch der Arme), meist in Zusammenhang mit unangenehmen Missempfindungen in der betroffenen Extremität,
- Auftreten bzw. Verstärkung der Beschwerden in Ruhe,
- Besserung der Beschwerden bei Bewegung,
- Zunahme der Beschwerden abends oder nachts.
Hinzu kommen sog. „diagnoseunterstützende Kriterien“
wie das Ansprechen auf 100 mg Levodopa (sog. L-Dopa-Test), eine positive
Familienanamnese für RLS oder der Nachweis periodischer Beinbewegungen mittels
Polysomnografie (1).
Der Schweregrad eines RLS wird in den meisten Studien
mittels eines Symptomscores der IRLS gemessen. Dabei werden
zehn Symptome abgefragt und mit insgesamt maximal 40 Punkten bewertet (1).
Man unterscheidet ein mildes RLS (1-10 Punkte), ein mittelschweres
(11-20 Punkte), ein schweres (21-30 Punkte) und ein sehr schweres RLS
(31-40 Punkte). Auch Therapieeffekte werden mit Hilfe der
Punkteverschiebungen auf der IRLS-Skala bewertet.
Über die Genese des RLS ist noch wenig bekannt. Da
dopaminerge und opioidartig wirkende Arzneimittel Linderung bringen, geht man
von einer Störung auf der Ebene dieser Neurotransmitter aus. Neben einer idiopathischen
Form mit Familienanamnese wird eine sekundäre Form unterschieden, die mit
verschiedenen Komorbiditäten einhergeht: Eisen- oder Vitaminmangel, Störungen
der Schilddrüsenfunktion, fortgeschrittene Nierenerkrankungen,
Polyneuropathien, Radikulo- und Myelopathien, Friedreich-Ataxie, Zöliakie, Diabetes
mellitus sowie rheumatische und onkologische Erkrankungen. Auch Arzneimittel
können ein RLS auslösen bzw. verschlechtern. Genannt werden Antidepressiva
(z.B. Citalopram, Mirtazapin, Sertralin, Paroxetin, Mianserin, Lithium),
Antipsychotika (z.B. Clozapin, Fluoxetin, Haloperidol, Olanzapin, Quetiapin,
Risperidon), Interferon alfa, L-Thyroxin, Östrogene, Phenytoin, Saccharin,
Simvastatin u.a. Bei Behandlung mit Antipsychotika wird eine ihrer typischen
Nebenwirkungen, die Akathisie, leicht mit RLS verwechselt. Dabei handelt es
sich um eine sehr qualvolle Bewegungsstörung. Die Patienten können nicht still
sitzen und müssen ständig hin und her laufen. Auch eine Verwechslung mit dem ADHS
von Kindern und Jugendlichen ist möglich, wobei auch hier der Zeitbezug fehlt.
Eine Komorbidität von RLS und ADHS wird allerdings in der Literatur erwähnt (2).
Da die Diagnose und
Quantifizierung eines RLS von vielen als „nebulös“ angesehen und in
Behandlungsstudien stets ein deutlicher Plazeboeffekt gefunden wird, ist immer
wieder der Verdacht geäußert worden, dass es sich beim RLS um eine „erfundene
Erkrankung“ handelt, deren medikamentöse Behandlung primär den pharmazeutischen
Unternehmern nutzt (3). Mit dieser Sichtweise wird man der Störung, die auch
schon Kinder und Jugendliche betreffen kann, jedoch nicht gerecht. Diese Kritik
mahnt jedoch, eher zurückhaltend und sehr umsichtig mit den vorgeschlagenen
Arzneimitteln umzugehen und immer wieder Nutzen und Risiken – auch im Verlauf –
abzuwägen. Viele Patienten mit RLS benötigen oder wollen nämlich gar keine
medikamentöse Behandlung, und Langzeitdaten zur Effektivität und Sicherheit der
medikamentösen Therapie fehlen.
Medikamentöse
Therapie: Die Therapie des RLS ist selten kausal, d.h. überwiegend an
den Symptomen orientiert. Zunächst wird empfohlen, dass nach möglichen Auslösern
gesucht wird, etwa einem Eisenmangel (Ziel: Ferritin > 50 µg/l),
Schlafstörungen oder spätem Kaffeegenuss. Der Effekt dieser Empfehlungen ist
jedoch nicht klar. So wird beispielsweise der Nutzen einer Eisensubstitution
bei RLS, auch bei Mangelzuständen, in einem Cochrane Review aus dem Jahre 2012 in Zweifel gezogen (4). Potenziell ungünstige Medikamente (s.o.) sollten zumindest vorübergehend
pausiert werden. Kontrollierte Studien zu nicht-medikamentösen
Therapiemaßnahmen, wie Hydrotherapie, Massagen oder Dehnungsübungen, liegen
unseres Wissens nicht vor. Da diese Maßnahmen jedoch selten Schaden anrichten
und die Patienten aktiv in die Therapie einbinden, sollte man sie zumindest
begleitend empfehlen. Ziel der medikamentösen Behandlung ist eine höhere
Schlaf- und Lebensqualität.
Levodopa in
Kombination mit dem Decarboxylasehemmer Benserazid (Restex®, Restex
retard®, 100/25 mg oder 200/50 mg) wird derzeit am
häufigsten bei RLS angewendet. Die Patienten können sich mit der kurzwirksamen
Form eine rasche Linderung verschaffen und mit der retardierten Form einen
längeren oder vorbeugenden Effekt erzielen. Nach einem Cochrane Review aus dem
Jahre 2011 reduziert Levodopa im Vergleich zu Plazebo die Symptome eines RLS im
Vergleich zu Plazebo um ca. 10% und erhöht die Lebens- und Schlafqualität, nicht
jedoch die Schlafdauer (5). Der positive Therapieeffekt wird mit Nebenwirkungen
erkauft: Etwa 40% der Patienten brechen eine Therapie mit Levodopa innerhalb
eines halben Jahres wegen Unwirksamkeit oder Nebenwirkungen ab (v.a. Übelkeit).
Klinisch bedeutsam ist die „iatrogene Augmentation“: Bei längerer Anwendung und
höheren Dosen (> 200-300 mg/d) können die Beschwerden bei bis zu
60% der Patienten zunehmen. Insbesondere treten dabei die Symptome um Stunden
früher am Tag auf, und sie können sich auf andere Körperregionen ausdehnen (1).
Nicht-ergoline Dopaminergika
wie Pramipexol (Sifrol®), Ropinirol (Adartrel®)
und Rotigotin als Pflaster (Neupro®) sind teure Alternativen
zu Levodopa und bei mittelschweren und schweren Symptomen (IRLS ≥ 15)
zugelassen (1). Dopaminagonisten wurden in viel mehr Studien untersucht als
Levodopa. Die Wirksamkeit wird in einem Cochrane Review als moderat bezeichnet
(Reduktion auf der 40-Punkte-IRLS-Skala gegenüber Plazebo um durchschnittlich 5,7 Punkte;
6). Die Dauer der Nachbeobachtung betrug in den 35 Studien sehr
unterschiedlicher Qualität maximal ein Jahr. Über längere Anwendung ist wenig
bekannt. Ein Vorteil der Dopaminergika gegenüber Levodopa ist, dass die
Augmentation nicht so häufig eintritt (5-10%). Etwa jeder fünfte Patient bricht
die Therapie mit Dopaminagonisten jedoch innerhalb eines Jahres wegen Wirkungslosigkeit,
-verlust und Nebenwirkungen ab. Häufig sind Schlafstörungen und Übelkeit. Orthostatische
Hypotension, Benommenheit und psychische Veränderungen (z.B. Kauf-, Spiel- oder
Esssucht, Libidosteigerung) kommen selten vor, sind jedoch zu beachten.
Vergleichende Studien zu den verschiedenen Dopaminagonisten gibt es nicht.
Ergoline
Dopamin-Rezeptoragonisten wie Pergolid und Cabergolin sind ebenfalls
untersucht und als wirksam befunden worden. Sie haben jedoch wegen der
möglichen kardialen Nebenwirkungen (Herzklappenfibrose und -sklerose) ein
ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis und sollten daher nicht verwendet werden (7).
Wegen der vielen
Nebenwirkungen von Levodopa und Dopaminagonisten werden immer wieder
Alternativen gesucht. Eine mögliche könnten Antikonvulsiva sein. Unter diesen
sind Pregabalin und Gabapentin bisher am besten in kontrollierten
Studien untersucht worden (1). Gabapentin ist in den USA seit 2011 für die
Indikation RLS zugelassen. In Europa gibt es für beide Medikamente noch keine
Zulassung in dieser Indikation, d.h. die Anwendung bei RLS erfolgt als „Off-Label-Use“.
Pfizer, der
Hersteller von Pregabalin (Lyrica®), versucht, das nun zu ändern und
hat eine multinationale randomisierte kontrollierte Studie durchführen lassen (8).
Darin wurde untersucht, ob Pregabalin beim RLS gleich stark wirksam ist wie der
Dopaminagonist Pramipexol („non-inferiority“) und wie häufig es unter beiden
Wirkstoffen zu einer iatrogenen Augmentation kommt. Insgesamt wurden 719 Patienten
an 102 Zentren in Nordamerika und Europa eingeschlossen. Die im N. Engl.
J. Med. publizierte Studie ist mit Skepsis zu betrachten. Der Erstautor hat
nämlich nur den ersten Entwurf der Publikation verfasst; alle weiteren
Fassungen wurden dann „mit der Unterstützung eines medizinischen
Autors, der von Pfizer bezahlt wurde“, geschrieben, also von einem professionellen
Ghostwriter (vgl. 9).
Die Patienten
wurden zunächst in vier Gruppen randomisiert und erhielten doppelblind 12 Wochen
lang entweder 300 mg/d Pregabalin, 0,25 mg/d Pramipexol, 0,5 mg/d
Pramipexol oder Plazebo. Nach den 12 Wochen wurde die Plazebo-Gruppe
geschlossen und die Patienten zu gleichen Teilen in die drei Verum-Arme
verteilt, um die Häufigkeit von Nebenwirkungen über weitere 40 Wochen zu
erfassen. Eingeschlossen wurden Patienten, die bereits mindestens sechs Monate lang
an RLS litten und in mindestens 15 Nächten pro Monat Symptome hatten
(mittlerer IRLS-Score 22,3 Punkte). Es nahmen überwiegend Frauen teil, das
mittlere Alter betrug 54 Jahre, und das RLS bestand seit durchschnittlich
fünf Jahren. Primärer Endpunkt war die Wirksamkeit von Pregabalin gegenüber
Plazebo nach drei Monaten.
Pregabalin besserte
die RLS-Symptome signifikant stärker als Plazebo (Unterschied etwa 25% oder 4,5 Punkte
auf der IRLS-Skala; vgl. Tab. 1), und die Lebens- und Schlafqualität wurden
positiv beeinflusst. Auch Pramipexol schnitt besser ab als Plazebo, statistisch
signifikant jedoch nur mit der höheren Dosierung. Quantitativ waren die Effekte
von 0,5 mg/d Pramipexol und 300 mg/d Pregabalin bei den meisten
abgefragten Symptomen etwa gleich (Tab. 1).
Eine Augmentation
wurde in allen drei Behandlungsarmen in den ersten Monaten sehr selten
beobachtet (< 2%). Nach einem halben Jahr trat dieses Phänomen jedoch in
den Pramipexol-Gruppen häufiger auf: nach einem Jahr gaben 7,7% bzw. 5,3% eine Verschlechterung
der Symptome an, aber nur 2,1% in der Pregabalin-Gruppe. Hier scheint also Pregabalin
einen Vorteil zu haben. Andere Nebenwirkungen waren insgesamt sehr häufig (80%;
s. Tab. 1) und mit Pregabalin häufiger als mit Pramipexol. Die
Abbruchrate betrug bei Pregabalin 27,5%; sie lag signifikant höher als bei
Pramipexol (18,5% mit 0,25 mg/d bzw. 23,9% mit 0,5 mg/d). Am häufigsten
waren bei Pregabalin Schwindel (21,4%), Somnolenz (17,6%), Müdigkeit (12,6%) und
Kopfschmerzen (12,1%). Bei 0,5 mg/d Pramipexol traten am häufigsten
Kopfschmerzen (19,4%), Übelkeit (14,4%) und Müdigkeit (12,2%) auf. Sechs
Patienten in der Pregabalin-Gruppe äußerten Suizidgedanken, drei in der Gruppe
mit 0,25 mg/d Pramipexol und zwei mit 0,5 mg/d Pramipexol. Pregabalin
scheint also mehr psychische Nebenwirkungen auszulösen und hat bekanntermaßen ein
Abhängigkeitspotenzial (10). Daher sollte es nach unserer Einschätzung nur ausgewählten Patienten ohne Therapiealternativen oder solchen
mit ausgeprägter Augmentation durch ein Dopaminergikum vorbehalten sein.
Eine Alternative 2. Wahl
zu Levodopa oder Dopaminergika sind Opioide, wie beispielsweise Oxycodon,
Tramadol, Methadon oder Tilidin. Opioide werden besonders
nach iatrogener Augmentation und bei schmerzhaften Polyneuropathien mit RLS
angewendet. Zu Tramadol und Methadon liegen nur wenige und kleine Studien bzw.
Fallserien vor, so dass hierzu keine Empfehlung abgegeben werden kann. Zu Oxycodon
ist die Datenlage etwas besser.
In der jüngst
publizierten doppelblinden RELOXYN-Studie wurde an 306 Patienten mit RLS
und mangelnder Symptomkontrolle unter Standardtherapie mit Levodopa oder
Dopaminergika die Wirksamkeit von retardiertem Oxycodon-Naloxon (Targin®)
gegenüber Plazebo getestet (11). Die Studie wurde von Mundipharma bezahlt, dem
Hersteller des teuren Targin®. Die Kombination des Opioids mit
Naloxon soll eine Obstipation verhindern (s.a. 12). Die Symptome der Patienten
verbesserten sich mit dem individuell titrierten Opioid (mittlere tägliche
Oxycodon-Dosis 21 mg/d) auf der IRLS-Skala innerhalb von drei Monaten um
16,5 ± 11,3 Punkte (mit Plazebo um 9,4 ± 10,9 Punkte).
Nebenwirkungen, die auf die Studienmedikation zurückgeführt wurden, traten in
den ersten drei Monaten bei 73% der Patienten mit Oxycodon-Naloxon auf und bei
43% mit Plazebo. Eine iatrogene Augmentation wurde während der einjährigen
Nachbeobachtungszeit nicht gefunden.
Diese neueren
Ergebnisse zeigen insgesamt, dass es eine generell gut wirksame und dabei gut
verträgliche Dauertherapie des RLS noch nicht gibt. Ein für den individuellen
Patienten geeignetes Medikament kann eigentlich nur durch „trial and error“
gefunden werden. Nach unserer Auffassung handelt es sich weder beim Pregabalin
noch beim Oxycodon/Naloxon generell um einen wesentlichen therapeutischen
Fortschritt, könnte aber bei einzelnen Patienten vorteilhaft sein. Auch viele
weitere Substanzen, die beim RLS überprüft wurden, darunter Tetrabenazin,
Clonazepam und Levetiracetam, können mangels Studienevidenz nicht
empfohlen werden. Am Ende bleibt die medikamentöse RLS-Behandlung meist
unbefriedigend und es sollte - wie stets - dem Patienten möglichst kein Schaden
entstehen.
Literatur
- Restless-Legs-Syndrom (RLS) und Periodic Limb Movement Disorder(PLMD): S1 Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.

- Feldman, H.M., und Reiff, M.I.: N. Engl. J. Med. 2014, 370,838.

- Spence, D.: BMJ 2013, 347, f7615.

- http://summaries.cochrane.org/ CD007834/ iron-for-restless-legs-syndrome

- http://summaries.cochrane.org/ CD005504/ levodopa-for-restless-legs-syndrome#sthash.NUFEUu3F.dpuf

- http://summaries.cochrane.org/ CD006009 /dopamine-agonists-for-restless-legs-syndrome

- AMB 2007, 41, 30.

- Allen, R.P., et al.: N. Engl. J. Med. 2014, 370, 621.

- AMB 2002, 36, 22c
. AMB2012, 46, 59. 
- AMB 2011, 45, 29.

- Trenkwalder,C., et al. (RELOXYN): Lancet Neurol. 2013, 12, 1141.
Erratum:Lancet Neurol. 2013, 12, 1133.
- AMB 2009, 43, 65
. AMB 2011, 45, 65. 
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