Die globalen Einnahmen pharmazeutischer
Unternehmer (pU) im Jahr 2013 betrugen etwa 1 Billion US-$. Etwa ein
Drittel dieser Einnahmen investierten die pU in das Marketing für Arzneimittel
(1). Sie begründen diese hohen Ausgaben mit der Notwendigkeit, Gesundheitsberufe,
insbesondere Ärzte, über Nutzen und Risiken von Arzneimitteln zu informieren.
Auf unseriöse, für Patienten und Ärzte mitunter auch gefährliche
Marketingstrategien haben wir in der Vergangenheit immer wieder hingewiesen (2).
Gesetzeswidrige Aktivitäten der pU im Zusammenhang mit dem Marketing sind vor
allem in den USA durch Whistleblower bekannt geworden (3). Demgegenüber gibt es
in Europa nur wenige Fälle, die eindeutig auf illegale Verhaltensweisen der pU
im Zusammenhang mit dem Marketing hingewiesen haben.
In Deutschland wurde im Jahr 2004 durch den
Verein „Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V.“
(FSA) erstmals ein Kodex zur Transparenz bei der Zusammenarbeit mit den
Angehörigen der Fachkreise und medizinischen Einrichtungen verabschiedet (4).
Im Jahr 2008 gründeten dann auch die Hersteller verschreibungspflichtiger
Arzneimittel des Bundesverbandes der pharmazeutischen Industrie (BPI) einen
eigenen Verband der Selbstkontrolle („Arzneimittel und Kooperation im Gesundheitswesen
e. V.“, AKG), der ebenso wie der FSA Fehlverhalten der pU bei der engen
Zusammenarbeit mit Ärzten, Apothekern und anderen Angehörigen der Fachkreise
erkennen und ggf. sanktionieren soll (5). In diesen Kodizes sieht es „die
pharmazeutische Industrie als ihre Aufgabe an, durch wissenschaftliche
Informationen über Arzneimittel das Wissen zu vermitteln, das für eine
sachgerechte Arzneimittelauswahl erforderlich ist“ (4).
Wie gut derartige Kodizes in der Kontrolle
von illegalen Marketingstrategien und die Selbstkontrolle durch die pU
tatsächlich funktionieren, wurde jetzt von schwedischen Autoren aus Lund
untersucht (1). Die Autoren haben für ihre Analyse zwei Länder ausgewählt –
Großbritannien und Schweden –, die häufig als Beispiele für eine effektive Selbstkontrolle
genannt werden (6). Sie haben eine qualitative Analyse der Inhalte und
Vorgehensweisen im Zusammenhang mit Marketing und den in den beiden Ländern
verabschiedeten Kodizes für die Selbstkontrolle ausgewertet und hierzu
Beschwerden, Angaben der Kläger sowie Entscheidungen der für die
Selbstkontrolle verantwortlichen Gremien im Zeitraum 2004-2012 erfasst. Während
sich der Kodex in Großbritannien nur auf die Werbung für
verschreibungspflichtige Arzneimittel bezieht, legt der schwedische Kodex Standards
fest für die Werbung sowohl von verschreibungspflichtigen als auch in Apotheken
rezeptfrei erhältlichen („over-the-counter“ = OTC) Arzneimitteln und
veterinärmedizinischen Arzneimitteln. Um den Kodizes Geltung zu verschaffen,
wurden in beiden Ländern Gremien der Selbstkontrolle etabliert, die regelmäßig
die Einhaltung der Kodizes durch die pU überwachen und bei Verstößen
entsprechend sanktionieren sollen. Von den Gremien der Selbstkontrolle
erstellte Dokumente und Fallberichte aus dem genannten Zeitraum wurden von den
Autoren untersucht, um Stärken und Schwächen der Selbstkontrolle zu vergleichen
und Unterschiede zwischen den gültigen Kodizes der pU und den tatsächlichen
Marketingstrategien der Hersteller zu untersuchen.
Insgesamt wurden zwischen 2004 und 2012 in
Schweden 536 und in Großbritannien 597 Fälle registriert, die eindeutig
als Verstöße gegen die in beiden Ländern jeweils gültigen Richtlinien für
Marketing beurteilt wurden. Etwa ein Viertel der Fälle (26% in Großbritannien
und 28% in Schweden) beruhten auf Beschwerden anderer pU. Während etwa 60% der
Beanstandungen von illegalen Marketingstrategien in Großbritannien von
Angehörigen der Gesundheitsberufe bzw. Anderen stammten, kamen in Schweden nur
etwa 10% der Beanstandungen aus diesem Personenkreis. Knapp 5% der Klagen in
Großbritannien, jedoch keine aus Schweden, gingen als anonyme oder nicht
anonyme Hinweise von zum Teil ehemaligen Mitarbeitern der pU ein.
In zwei Tabellen sowie in einer Tabelle im
Supplement der Publikation von A.V. Zetterqvist et al. (1) werden die
unterschiedlichen Muster der Verstöße gegen die Kodizes detailliert
dargestellt. In beiden Ländern waren unzutreffende bzw. fehlerhafte
Informationen, Behauptungen oder Vergleiche die mit Abstand häufigsten
Verfehlungen gegen die Kodizes (Großbritannien: 52%, Schweden: 26% aller
Verstöße). Sie betrafen Marketingstrategien, die sich sowohl an Fachkreise als
auch an die Öffentlichkeit richteten. Andere Verstöße bezogen sich auf
Werbeaussagen, die nicht mit den Bestimmungen der Marktzulassung bzw. den
Fachinformationen übereinstimmten. Identifiziert wurden auch zahlreiche Fälle
von Werbung in der Öffentlichkeit für verschreibungspflichtige Arzneimittel und
Marketing für nicht zugelassene Anwendungsgebiete (Off-Label-Use) bzw. für kurz
vor der Zulassung stehende Arzneimittel.
Die in Sanktionen wegen illegaler Werbung
festgelegten Geldbeträge lagen in Großbritannien zwischen 2004 und 2012 durchschnittlich
bei 701.000 € bis 765.000 €/Jahr (d.h. 0,0046% bis 0,0051% der
geschätzten jährlichen Erlöse) und in Schweden – Daten erst seit 2009 verfügbar
– durchschnittlich bei 447.000 €/Jahr (d.h. 0,014% der geschätzten
jährlichen Erlöse).
In Großbritannien wurden durch die Gremien
der Selbstkontrolle 100 Fälle (17% aller aufgedeckten Verstöße) und in
Schweden 101 Fälle (19% der aufgedeckten Verstöße) als besonders
schwerwiegend betrachtet. Am häufigsten betroffen waren Antidiabetika und
Urologika, wobei unter Anderem irreführende Aussagen gemacht wurden, wie
beispielsweise „Bedenken gegen die Verordnung von Pioglitazon wegen
langfristiger kardiovaskulärer Nebenwirkungen bestehen nicht“ (7).
Die gründliche Analyse der schwedischen
Autoren vermittelt einen sehr detaillierten Überblick über die zwischen 2004
und 2012 in Großbritannien und Schweden aufgetretenen Verstöße gegen die dort
gültigen Kodizes für Marketingstrategien. Da nur Verstöße ausgewertet werden
konnten, die von den Gremien der Selbstkontrolle entdeckt und bestraft wurden,
gehen die Autoren zu Recht davon aus, dass die mitgeteilten Zahlen unethisches
Verhalten der pU eher unter- als überschätzen. Verbesserungen bzw.
Konkretisierung der derzeit gültigen behördlichen und gesetzlichen Vorgaben mit
dem Ziel, Ärzten und Patienten korrekte, nicht verzerrte Informationen über Arzneimittel
zur Verfügung zu stellen, sind deshalb dringend erforderlich. Dabei sollte nach
Ansicht der Autoren verstärkt eine aktive Kontrolle erfolgen der diversen, von
pU bereitgestellten Informationen über Arzneimittel und Werbeanzeigen für neue
Arzneimittel frühzeitig, d.h. vor der Veröffentlichung, auf Einhaltung der
gültigen Standards geprüft werden. Hierfür ist beispielsweise in Großbritannien
die Zulassungsbehörde (Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency =
MHRA) zuständig, die aber nach eigenen Angaben nicht in der Lage ist, mehr als
einen kleinen Anteil der Werbeanzeigen auf Korrektheit zu beurteilen. Weitere
Vorschläge der Autoren zur Vermeidung unseriöser Marketingstrategien zielen
darauf ab, dass industrieunabhängige Organisationen vermehrt objektive
Informationen über Arzneimittel bereitstellen und deutlich schärfere Sanktionen
bei Verstößen gegen die Kodizes verhängt werden – wie dies seit Jahren bereits
in den USA üblich ist (8). Alle diese Maßnahmen sind auch aus unserer Sicht
essenziell, um tendenziöse, häufig unkorrekte Werbeaussagen der pU und dadurch
Beeinflussung der Arzneimittelverordnung durch Ärzte effektiver zu verhindern
(9-11) – auch in Deutschland.
Literatur
- Zetterqvist,A.V., et al.: PLoS Med. 2015, 12, e1001785.

- AMB2005, 39, 65
. AMB 2011, 45, 08a . AMB 2012, 46, 16b . AMB 2012, 46, 59. 
- AMB2009, 43, 15a.

- http://www.fsa-pharma.de/ileadmin/Downloads/Pdf_s/ Kodizes__Empfehlungen/ FSA-Kodex_Fachkreise_Web.pdf

- http://www.ak-gesundheitswesen.de/verhaltenskodex/

- AMB2006, 40, 23b.

- AMB2005, 39, 93b.

- Tanne,J.H.: BMJ 2011, 343, d7702.

- Spielmans, G.I.,und Parry, P.I.: J. Bioeth. Inqu. 2010, 7, 13.

- Spurling, G.K., et al.:PLOS Medicine 2010, 7, e1000352.

- Kesselheim, A.S.: CMAJ2011, 183, 534.

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