Zusammenfassung: Lieferengpässe
von Arzneimitteln treten derzeit in unterschiedlichem Maße in allen Ländern
Europas und in den USA auf. Nicht jeder Lieferengpass bedeutet einen
Versorgungsengpass für Patienten, d.h. für schwere Erkrankungen oder
medizinische Notfallsituationen ist kein alternativer Wirkstoff verfügbar. Die
Ursachen für Lieferengpässe sind multifaktoriell. Neben ökonomisch bedingten
Lieferengpässen (z.B. Preis- und Kostendruck bei Generika) sind vor allem
Herstellungs- und Nachfrage-bedingte Ursachen zu unterscheiden. Lieferengpässe
traten in den letzten Jahren in Europa und den USA vorwiegend bei parenteralen
Arzneimitteln im generikafähigen Segment auf – beispielsweise bei onkologischen
Wirkstoffen, Anästhetika, Notfallmedikamenten und Antibiotika/-mykotika. Liefer-
bzw. Versorgungsengpässe von Arzneimitteln sind eine große Herausforderung für
die europäischen Gesundheitssysteme. Die Sicherheit in der Versorgung der
Patienten muss zum vorrangigen Ziel der Europäischen Kommission gemacht werden.
Wirtschaftliche Anreize und bisher etablierte Maßnahmen zur Vermeidung von
Lieferengpässen werden vorgestellt. Ihr Ziel muss es sein, gesundheitspolitisch
unerwünschtes Marktverhalten der pharmazeutischen Unternehmer zu unterbinden,
Herstellungs- bzw. Nachfrage-bedingte Lieferengpässe zu vermeiden und in naher
Zukunft die hohe Versorgungssicherheit für die Bürger der Europäischen Union mit
essenziellen Arzneimitteln bzw. Impfstoffen wiederherzustellen.
Was vor
Jahren noch undenkbar schien, ist heute Realität. Gemeint ist nicht der
Fortschritt in der Medizin, sondern das Phänomen der Lieferengpässe bei
wichtigen Arzneimitteln. Diese existieren in den USA bereits seit längerem,
erreichten dort im Jahr 2011 ihren Höchstwert mit insgesamt 267 neuen Lieferengpässen
bei Arzneimitteln und haben seitdem deutlich abgenommen – vor allem aufgrund
der von der Food and Drug Administration erlassenen Verordnung (FDA Safety and
Innovation Act = FDASIA; 1-4). Diese Verordnung sieht unter anderem vor, dass
pharmazeutische Unternehmer (pU) die FDA rechtzeitig über drohende
Lieferengpässe informieren – bei unverzichtbaren, essenziellen Arzneimitteln
bereits sechs Monate vor Unterbrechung oder vollständiger Einstellung der
Produktion eines Arzneimittels (5).
In
Europa waren Lieferengpässe früher eher selten, sind heute aber leider
alltäglich und betreffen alle Gesundheitssysteme (2, 6). In Deutschland
und Österreich ist das Problem seit 2012 angekommen und inzwischen aus Sicht
der Krankenhausapotheker zum Tagesgeschäft geworden (7). Lieferengpässe
tangieren Patienten, Apotheker, Ärzte sowie Pflegepersonal und gefährden – wenn
essenzielle Arzneimittel nicht verfügbar sind – die Therapie und Sicherheit der
Patienten (8). Die Gründe für Lieferengpässe sind vielfältig, wobei neben
Qualitätsproblemen bei der Herstellung von Arzneimitteln bzw. Rohstoffen häufig
ökonomische Gründe genannt werden, die pU dazu bewogen haben, ihre traditionell
hohe Liefertreue aufzugeben (2, 8). Auf Minderung der Gewinnmargen, unter
anderem infolge des Ablaufs von Patenten bei Blockbuster-Arzneimitteln und der
Produktivitäts- (sog. „leere Pipelines“) sowie Innovationskrise in der
pharmazeutischen Industrie (9), haben pU mit Optimierungsstrategien reagiert –
beispielsweise durch Reduktion von Lagerkapazitäten und Zusammenlegung von
Produktionsstandorten oder im Zuge der Globalisierung durch Verlegung von Produktionsstätten
ins Ausland, insbesondere nach Asien. Auch die Mono- oder zumindest
Oligopolisierung bei Herstellung der Rohstoffe bzw. Arzneimittel auf ein bis
drei Erzeuger hat sicher zum Anstieg der Lieferengpässe beigetragen (8, 10).
Diese Faktoren haben letztlich dazu geführt, dass herstellungsbedingte Risiken
in Form häufiger Qualitätsmängel und Lieferengpässe die Versorgungssicherheit
gefährden (10), Arzneimittel- und Beschaffungskosten erhöhen und sich negativ auf
die Behandlung der Patienten auswirken.
Allerdings
bedeutet nicht jeder Lieferengpass bei einem Arzneimittel (im
angloamerikanischen Sprachraum als „drug shortage“ bezeichnet), dass auch die
Versorgung der Patienten mit essenziellen Arzneimitteln gefährdet ist. Deshalb
wird in der Literatur auch unterschieden zwischen Lieferengpässen bei
Arzneimitteln und Versorgungsengpässen bei unverzichtbaren Arzneimitteln („drug
supply bottleneck“) – d.h. für schwere Erkrankungen oder medizinische
Notfallsituationen ist kein alternativer Wirkstoff verfügbar (3). Lieferengpässe
bei Arzneimitteln verzögern oder verhindern jedoch nicht nur therapeutisch
notwendige Maßnahmen, sondern zwingen Ärzte häufig auch, auf weniger wirksame,
möglicherweise schlechter verträgliche und mitunter auch teurere Alternativen
auszuweichen. Dies soll kurz an wenigen Beispielen aus der Onkologie
illustriert werden.
Das zu den
Nitrosoharnstoffen gehörende Zytostatikum Mechlorethamin (Mustargen®)
gilt seit Jahrzehnten als Mittel der Wahl zur Behandlung des Hodgkin-Lymphoms
im Kindesalter. Anlässlich eines Lieferengpasses für Mechlorethamin in den USA
war es erforderlich, das Zytostatikum durch Cyclophosphamid zu ersetzen. Ein
retrospektiver Vergleich bei pädiatrischen Patienten mit Hodgkin-Lymphom ergab,
dass dieser Austausch von zwei alkylierenden Wirkstoffen im sog. Stanford-V-Protokoll
zu einem deutlich kürzeren ereignisfreien Überleben bei den Kindern geführt hat,
die mit Cyclophosphamid behandelt wurden (11).
Bei Patienten mit
Blasenkrebs war es in verschiedenen europäischen Ländern erforderlich, dringend
indizierte Therapien zu verschieben, bis für die intravesikale Behandlung
nicht-invasiver urothelialer Harnblasenkarzinome mit BCG (Bacille
Calmette-Guérin) Ersatz aus Indien bzw. Polen beschafft werden konnte. Andere
onkologische Arzneimittel wie beispielsweise Melphalan, Carmustin (BCNU;
Carmubris®), Carboplatin, Mitomycin, pegyliertes liposomales
Doxorubicin (Caelyx®), Cytarabin mit verzögerter
Wirkstofffreisetzung zur intrathekalen Injektion (DepoCyte®),
Amsacrin (Amsidyl®) waren ebenfalls zeitweilig nicht verfügbar.
Besonders die USA waren von Lieferengpässen bei onkologischen Arzneimitteln
betroffen. Übersichtsarbeiten haben sich deshalb ausführlich mit den
Auswirkungen auf Patienten beschäftigt: Verzögerung der Chemotherapie, erhöhtes
Risiko für Medikationsfehler, Nebenwirkungen, Behandlung nicht entsprechend dem
medizinischen Standard, Verzögerung oder sogar Abbruch klinischer Studien wegen
nicht verfügbarer Arzneimittel und höhere Kosten der Therapie (z.B. 12).
Aus den USA liegen sogar
Berichte vor, dass es Todesfälle gegeben hat, weil potenziell lebensrettende
Arzneimittel nicht erhältlich waren, beispielsweise Amikacin oder Aciclovir (13).
Soweit ist es in Europa glücklicherweise noch nicht gekommen; doch selbst die zahlreichen
kleineren Ereignisse verunsichern die Patienten, erfordern großes
Organisationstalent bei Apothekern und überlasten die in Gesundheitsberufen
Tätigen. Dabei sind auch die ökonomischen Folgen zu bedenken: Die Suche nach
Ersatzmedikamenten ist für Krankenhausapotheker oft zeit- und arbeitsintensiv und
die Beschaffung ist in der Regel mit höheren Kosten verbunden. Lieferengpässe
bei Arzneimitteln sind somit eine massive Herausforderung für die europäischen
Gesundheitssysteme, die es entschlossen anzugehen gilt.
Häufige Ursachen für
Lieferengpässe und betroffene Arzneimittel bzw. Indikationen (2, 4, 8, 14-19): Von Lieferengpässen
in den vergangenen Jahren mit teilweise gravierenden Auswirkungen, vor allem
auf die Arzneiversorgung in Krankenhäusern, waren in den USA und Europa neben
Impfstoffen überwiegend parenterale Arzneimittel im generikafähigen Segment
betroffen – beispielweise onkologische Wirkstoffe, Anästhetika, Arzneimittel
für Notfallsituationen, Antibiotika bzw. Antimykotika, intravenös zu
verabreichende Elektrolyte sowie Infusionslösungen für die parenterale Ernährung
(14).
In einem aktuellen
Gutachten – „Best-Practice-Ansätze bei Arzneimittelengpässen im internationalen
Vergleich“ –, das der Branchenverband Pro Generika beim Beratungsunternehmen
IMS Health in Auftrag gegeben hat, werden ähnliche Ursachen für
Arzneimittelengpässe in den sieben untersuchten Ländern (u.a. Deutschland)
genannt. Hierzu zählen vor allem folgende Kategorien: Herstellungs- bzw.
Nachfrage-bedingte Lieferengpässe sowie Lieferengpässe, bedingt durch Preis-
und Erstattungsregulierungen (15).
Für pU ist der
Patentablauf eines umsatzträchtigen Medikaments ein einschneidendes Ereignis.
Untersuchungen zu Arzneimittelpreisen im Krankenhausmarkt zeigen, dass diese
dann innerhalb von ein bis zwei Jahren auf unter 10%, teilweise sogar auf unter
3% des Ausgangswerts zurückfallen (20). Das ist gut für die Kostenträger und
entlastet die öffentlichen Gesundheitssysteme. Der pU wird aber versuchen, die
Umsatzverluste zumindest teilweise aufzufangen. Dazu wird die Produktion der pharmazeutischen
Wirkstoffe (active pharmaceutical ingredients = API) an Auftragshersteller in Ländern mit
niedrigem Lohnniveau ausgelagert, z.B. in Indien oder China. Manche Wirkstoffe
werden aus Rentabilitätsgründen gar nicht mehr hergestellt. Notwendige (Re-)Investitionen
in Produktionsstätten werden verzögert oder unterbleiben ganz. Redundanzen wie
die parallele Produktion an zwei oder mehreren Standorten werden aufgegeben.
Bestehende Anlagen werden maximal ausgelastet und die Lagermengen werden
minimiert. Für unvorhergesehene Ereignisse sind dann keine Reserven mehr da,
und eventuell auftretende Probleme im Herstellungsprozess bewirken, dass
plötzlich Liefer- oder sogar Versorgungsengpässe auftreten. Gelegentlich beschließt
sogar ein pU, einen ehemaligen Blockbuster ganz vom Markt zu nehmen und bringt
dadurch in einem „Domino-Effekt“ andere Anbieter in Schwierigkeiten, da diese
die plötzlich stark steigende Nachfrage nach ihren Arzneimitteln nicht mehr
befriedigen können.
In den vergangenen
Jahren sind Patente für zahlreiche Antibiotika erloschen (z.B. Ciprofloxazin,
Meropenem, Azithromycin u.a.) sowie in der Onkologie (Docetaxel, Gemcitabin,
Ondansetron u.a.) und Intensivmedizin verwendete Wirkstoffe (Propofol,
Midazolam, Rocuroniumbromid, Remifentanyl u.a.). Aufgrund sinkender Preise
verloren diese Arzneimittel rasch ihre ursprünglich lukrative Bedeutung für pU.
Obwohl ihr therapeutischer Stellenwert unverändert hoch ist, sind oder waren
sie, ebenso wie viele andere alte, therapeutisch wertvolle und oft schwer zu
ersetzende Arzneimittel mittlerweile mehrfach von Lieferengpässen betroffen –
beispielweise Ampicillin und Sulbactam, Amoxicillin und Clavulansäure, Kalziumfolinat,
5-Fluorouracil. Andere Arzneimittel stehen nur rationiert (z.B. Piperacillin
plus Tazobactam) oder in bestimmten Wirkstoffstärken (z.B. Valoron, Digitoxin)
zur Verfügung. Wochen-, mitunter auch monatelang, sind Arzneimittel in viel zu
geringen Mengen oder gar nicht verfügbar bzw. müssen mühsam über Importe aus
ausländischen Quellen beschafft werden.
Gleichzeitig
erweisen sich die pU bei neuen, hochpreisigen Arzneimitteln, welche die älteren,
bewährten Arzneimittel aber nicht ersetzen, sondern allenfalls ergänzen können,
weiterhin als enorm leistungsfähig. Lieferengpässe kommen hier so gut wie nicht
vor. So erscheint es dringend geboten, über den „gerechten Preis“ – besser „volkswirtschaftlich
gerechtfertigten Preis“ – für Arzneimittel und die Auswirkungen von
Marktmechanismen nachzudenken.
Andererseits gibt es
Instrumente, wie z.B. Ausschreibungen oder Rabattverträge, die die Planung der
Produktionsmengen von Arzneimitteln für die pU sehr erschweren und auch zu
Lieferengpässen beitragen können. Weiterhin ist hier der Parallelimport zu
nennen. Er soll durch Steigerung des Wettbewerbs vor dem Patentablauf zur
Kostendämpfung beitragen und tut dies nachweislich auch. Wenn aber Arzneimittel
in einem größeren Ausmaß durch Parallelimporteure aus einem Land in ein anderes
exportiert werden, stehen diese Mengen dort nicht mehr zur Verfügung und
Versorgungsengpässe im Quellmarkt sind regelmäßig die Folge. Diese und andere
„Nebenwirkungen“ machen den Parallelimport zu einem fragwürdigen Instrument der
Preispolitik. Man sollte sich daher seitens der europäischen Gesundheitspolitik
andere Wege überlegen, wie Arzneimittelpreise vor Patentablauf auf ein
gerechtfertigtes Niveau gebracht werden können.
Maßnahmen, um Lieferengpässe
zukünftig zu vermeiden (2, 5, 21-24): Das deutlich
niedrigere Preisniveau nach Ablauf des Patentschutzes trägt zu den
dargestellten Problemen bei. Dies wird auch in dem Gutachten von IMS Health als
wesentliche Ursache von Engpässen bei Generika genannt. Dementsprechend spielt
aus Sicht der Generikaherstelller das Zusammenspiel aus Preis, Qualität und
Produktion eine entscheidende Rolle, um Lieferengpässe zu vermeiden (15). Höhere
Preise könnten helfen, die Produktion von Arzneimitteln der Kategorie „alt aber
gut“ für die pU wieder attraktiver bzw. lukrativer zu machen. Der höhere Preis
muss dann aber zu höherer Produkt- und Lieferqualität verpflichten. In den
meisten Staaten besteht zwar bereits eine Lieferverpflichtung des
Zulassungsinhabers, gegen die aber immer unverfrorener (der Engpass ist ja
schließlich „schicksalhaft“ entstanden) und sanktionslos verstoßen wird. Diese Verpflichtung
– mehr Geld für mehr Liefertreue – kann aber nur auf der Ebene eines Staates
oder besser der europäischen Staatengemeinschaft mit dem gesundheitspolitisch
gewünschten Ziel verwirklicht werden. Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit
zeigen, dass pU gerne bereit sind, gegenüber „A-Kunden“, beispielsweise
gegenüber großen Krankenhausketten, strafbewehrte Liefergarantien abzugeben, um
dann bei Knappheit die benötigten Mengen dadurch aufzubringen, dass sie „B-Kunden“,
also kleinere Krankenhausgruppen oder sogar kleinere Staaten, kurzfristig nur
noch eingeschränkt oder gar nicht mehr beliefern.
Zudem lohnt es sich,
über das Preisniveau zu Beginn des Lebenszyklus eines Arzneimittels –
unmittelbar nach Zulassung – nachzudenken. Gerade in neuerer Zeit gibt es
Beispiele für exzessive Steigerungen der Therapiekosten bei Neueinführungen.
Man hat den Eindruck, dass hier nach der Methode „mal sehen, was geht“ Präzedenzfälle
geschaffen werden sollen. Gleichzeitig ist bei vielen neuen Wirkstoffen der
Zusatznutzen aufgrund der Studienlage bei Markteinführung noch nicht
quantifizierbar bzw. nicht belegbar, so dass nicht zu entscheiden ist, wie viel
„value for money“ dabei geboten wird (25-27). Es ist aber offensichtlich, dass
(exzessiv) hohe Preise für neue Arzneimittel die Produktion alter,
kostengünstiger Arzneimittel unattraktiv machen. Stattdessen werden die knappen
Produktionsressourcen völlig marktrational für Arzneimittel eingesetzt, die
sich finanziell mehr lohnen.
Verschiedene
nationale – grundsätzlich ähnliche – Maßnahmen sind laut Gutachten von IMS
Health ergriffen worden, um Lieferengpässe zu reduzieren. Hierzu zählen unter
anderem: enge Zusammenarbeit der pU mit Zulassungs- und Überwachungsbehörden,
Melderegister, Liste essenzieller Arzneimittel, verpflichtende
Mindestlagerbestände, beschleunigte Zulassung für Produkte oder Produktionsanlagen,
Importregelungen und verpflichtende Meldung von „Außervertriebnahme“
zugelassener Arzneimittel (15).
In Deutschland sind
von diesen Maßnahmen bisher nur einige umgesetzt worden. Seit April 2013
existiert beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein
öffentlich zugängliches Register in Form einer Online-Datenbank. Dieses
Register versteht unter einem Lieferengpass „eine über voraussichtlich zwei
Wochen hinausgehende Unterbrechung einer Auslieferung im üblichen Umfang oder
eine deutlich vermehrte Nachfrage, der nicht angemessen nachgekommen werden
kann“ und enthält momentan 20 Arzneimittel (28). Die Übersicht des BfArM
zu Lieferengpässen umfasst detaillierte Angaben, beispielweise zu Wirkstoff,
Arzneimittel mit Pharmazentralnummer sowie Dauer und Gründe des
Lieferengpasses. Diese Online-Datenbank wird jedoch von Apothekern und Ärzten im
Alltag nur selten konsultiert, da sie – als freiwilliges Meldesystem für pU – häufig
keine aktuellen Informationen zu nicht verfügbaren Arzneimitteln liefert und
somit Apotheker, Ärzte und Kliniken nicht in die Lage versetzt, sich
rechtzeitig auf Lieferengpässe einzustellen.
Auch die seit Ende
2012 auf der Webseite der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA)
dokumentierten Lieferengpässe basieren – anders als in den USA – auf freiwilligen
Informationen der Zulassungsinhaber und sind für Apotheker und Ärzte wenig
aussagekräftig. Momentan enthält der von der EMA veröffentlichte Katalog über
Lieferengpässe nur fünf Arzneimittel (29, 30).
Das Gesetz über den
Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz = AMG; Stand: 17.12.2014) sieht
weitere Maßnahmen vor, um die Versorgung mit Arzneimitteln zu garantieren (31).
Hierzu zählen in erster Linie: § 52b („Bereitstellung von Arzneimitteln“; gesetzlicher
Auftrag, eine angemessene und kontinuierliche Bereitstellung von Arzneimitteln
sicherzustellen), § 72 („Einfuhrerlaubnis“), § 73 („Verbringungsverbot“;
in Absatz 3 mit der Möglichkeit eines Imports eines in Deutschland nicht
verfügbaren Arzneimittels) und § 79 („Ausnahmeermächtigungen für
Krisenzeiten“; in Absatz 5 mit Ausnahmeregelungen – bei lebensbedrohlichen
Erkrankungen oder bedrohlichen übertragbaren Krankheiten – für in Deutschland nicht
zum Verkehr zugelassene Arzneimittel oder Impfstoffe). Diese Maßnahmen waren
jedoch in der Vergangenheit nicht ausreichend, um Liefer- und vor allem
Versorgungsengpässe bei Arzneimitteln oder Impfstoffen immer wirksam zu
verhindern. Andere Maßnahmen, wie enge Zusammenarbeit der pU mit
Zulassungsbehörden, Liste mit essenziellen Arzneimitteln oder beschleunigte
Zulassung für Produkte bzw. Produktionsanlagen sind für Deutschland bisher
nicht umgesetzt. Leider wurde bei der letzten Änderung des AMG auch die in
§ 52b ursprünglich vorgesehene Eingriffbefugnis der Landesbehörden zur
Durchsetzung des öffentlich-rechtlichen Bereitstellungsauftrags der pU wieder
gestrichen.
Auf der Suche nach
den Ursachen von Lieferengpässen geht es nicht primär darum, einen Schuldigen
zu finden. Vielmehr müssen die zugrundeliegenden Mechanismen des Markts erkannt
werden, weil erst dadurch gezielt gegengesteuert werden kann. Die pU verhalten
sich in der gegebenen Situation so, wie sich Unternehmer verhalten, die primär am
Gewinn orientiert sind. Und sie nehmen dabei in Kauf, dass ihr Verhalten gesundheitspolitisch
unerwünschte Konsequenzen hat: Qualitätsprobleme und Lieferengpässe bei essenziellen
Arzneimitteln sowie Gefährdung der Wirksamkeit und Sicherheit einer medizinisch
indizierten Arzneimitteltherapie. Es hängt von der jeweiligen gesellschaftlichen
und wirtschaftspolitischen Anschauung ab, ob man das als „Marktversagen“
bezeichnen will (32). Unsere feste Überzeugung ist, dass etwas weniger „Markt“
und etwas mehr Orientierung an den medizinischen Zielen zur Entspannung der
Situation beitragen könnte und somit letztlich im Interesse beider Seiten ist.
Hier ist die
europäische Gesundheitspolitik gefragt, sich des Artikels 168 des Unionsvertrags
zu erinnern und im Sinne der Abwehr einer Gefahr für die Gesundheit der
Unionsbürger die Rahmenbedingungen für eine qualitativ gute und sichere
Arzneiversorgung neu zu definieren. Ein fertiges Patentrezept abzuliefern, ist
schwierig, aber einige Eckpunkte lassen sich doch festmachen.
Die
Arzneiversorgung der europäischen Staatengemeinschaft hat sich als verwundbar
erwiesen und muss wieder vermehrt auf Qualität und Versorgungssicherheit
ausgerichtet werden. So wie bei anderen wichtigen Wirtschaftsgütern, etwa bei
Erdöl und Gas, ist der Aufbau strategischer Reserven auch aus geopolitischen
Erwägungen dringend geboten (33). Bei der Herstellung und Versorgung mit Arzneimitteln
bedeutet dies, dass Ressourcen – von der Produktion des Wirkstoffs bis zur
Konfektionierung des Fertigarzneimittels – innerhalb der Europäischen Union
(wieder) aufgebaut werden müssen. Zugleich sollten auch Produktionsreserven gefördert
werden, um Lastspitzen und unvorhergesehene Ausfälle zu bewältigen.
Weiterhin sollten
durch eine „gerechte Preispolitik“ Signale gesetzt werden, damit die Herstellung
insbesondere intravenös zu verabreichender Generika langfristig planbar und
ökonomisch attraktiv wird. Die regulatorischen Behörden, die bisher bei Lieferengpässen
vielfach einen hilflosen Eindruck machten, sind mit jener Exekutivgewalt
auszustatten, die erforderlich ist, um Fehlverhalten adäquat zu sanktionieren,
z.B. wenn pU gezielt Arzneimittel in attraktivere Märkte abfließen lassen oder bewusst
Re-Investitionen in bestehende Produktionsanlagen verzögern. Zugleich müssen Behörden
ihre Funktion als Marktaufsicht im Sinne von „Qualität mit Augenmaß“ ausüben
und auf diese Weise ein regulatorisches Umfeld mit Planungssicherheit für die
Aktivitäten der pU schaffen. Für die zukünftig dann hoffentlich wieder seltener
auftretenden Lieferengpässe sind Vorgehensweisen zu etablieren (Information,
gerechte Zuteilung bei knappen Mengen, Aktivierung von Produktionsreserven
etc.), bei denen den Arzneimittelbehörden eine zentrale koordinierende Funktion
zukommt.
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