Seit 2013 existiert eine S1-Handlungsempfehlung (informeller
Konsens eines Expertengremiums) der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin
und Familienmedizin (DEGAM), in der Vorschläge zum routinemäßigen
Labor-Screening hinsichtlich kritischer Schädigungen durch Arzneimittel gemacht
werden (1). Die Hausärzte nennen in einer Liste insgesamt 26 Arzneimittel,
bei denen nach ihrer Einschätzung aus Sicherheitsgründen Labortests in
bestimmten Intervallen erforderlich sind. Auf der Liste stehen (alphabetisch): ACE-Hemmer/Sartane,
Agomelatin, Amiodaron, Azathioprin, Carbamazepin, Chloroquin, Clozapin,
Cyclophosphamid, Dabigatran/Rivaroxaban, Digitalis, Diuretika, Dronedaron, „Kortison
> 7,5 mg/d“, Leflunomid, Lithium, Mesalazin, Methotrexat,
NM-Heparin, Olanzapin, Phenprocoumon, Phenytoin, Primidon, Risperidon,
Sulfasalazin, Statine, Thiamazol, Valproat. An Hand der einzelnen
Fachinformationen und einem unsystematischen Literatur-Review wurden die zu kontrollierenden
Serum-Parameter sowie die erforderliche Dauer und die Intervalle der Kontrollen
festgelegt.
Ausgangspunkt dieser Initiative war die
Auseinandersetzung der Hausärzte mit dem Thema Polypharmazie, die häufig mit
Nebenwirkungen verbunden ist, besonders bei multimorbiden Patienten. Die
Prävalenz unerwünschter Arzneimittelereignisse (UAE; zu Definitionen UAE bzw.
Nebenwirkungen s. 2) beträgt beispielsweise nach einer
Querschnittsuntersuchung in nordrhein-westfälischen Pflegeinrichtungen 12,4/100
Heimbewohnermonate (3). Das heißt, von 100 Bewohnern einer
Pflegeeinrichtung ist einmal im Monat eine Nebenwirkung zu erwarten. 16% dieser
Nebenwirkungen wurden in der Studie von Thürmann und Jähde als schwerwiegend
oder lebensgefährdend eingeschätzt und 14% führten deswegen zu Krankenhauseinweisungen.
Ungefähr 60% dieser Nebenwirkungen waren nach Einschätzung der Autoren
vermeidbar. Die meisten vermeidbaren stationären Aufnahmen durch Nebenwirkungen
entstehen durch Diuretika, Antikoagulanzien und nichtsteroidale Antiphlogistika
(NSAID). Da sich ein großer Teil der Nebenwirkungen im Blut widerspiegelt
(Anämie, Verschlechterung der Nierenfunktion, Stoffwechselentgleisungen usw.)
besteht offenbar die Hoffnung, dass mit Hilfe von Routinekontrollen von Laborwerten
zumindest ein Teil der Nebenwirkungen rechtzeitig erkannt und schlimmere
Schäden vermieden werden können.
Das Dilemma beim Arzneimittel-Monitoring im Hinblick auf die
Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) ist, dass prinzipiell jedes wirksame Arzneimittel
zu jeder Zeit eine Nebenwirkung verursachen kann. Am Beispiel der Diuretika
kann der Sinn – und vielleicht auch Unsinn – von Routinekontrollen dargestellt
werden. In den Fachinformationen der meisten Diuretika werden „regelmäßige
Kontrollen“ der Kalium- und Natriumwerte im Serum empfohlen, insbesondere bei
älteren Patienten oder bei Niereninsuffizienz (4). Blutkontrollen zum Erkennen
von Elektrolytstörungen gehören also zu einer fachgerechten Anwendung von
Diuretika. Doch erhöhen solche „regelmäßigen“ Kontrollen tatsächlich die AMTS?
Die meisten Elektrolytentgleisungen unter Diuretika ereignen
sich in den ersten Behandlungstagen (5). Sie können durch eine Blutentnahme
innerhalb von 7-14 Tagen nach Therapiebeginn erkannt werden. Spätere Elektrolytentgleisungen
treten meist in Zusammenhang mit interkurrenten Symptomen auf wie Diarrhö oder
Erbrechen sowie durch Interaktionen mit anderen Arzneimitteln. Es stellt sich
daher die Frage, ob halbjährliche Elektrolytkontrollen, wie sie in der DEGAM-S1-Handlungsempfehlung
empfohlen werden, tatsächlich die AMTS verbessern. Sind solche Routine-Kontrollen
nicht eine Überdiagnostik, möglicherweise mit eigenen Nebenwirkungen, weil sie
eine falsche Sicherheit suggerieren oder weil sie unnötige Handlungen auslösen
können?
Andererseits scheint es durchaus plausibel, gerade bei
älteren Patienten, die viele Arzneimittel einnehmen, oder bei Patienten in
Pflege- und Langzeiteinrichtungen, halbjährlich einen allgemeinen „Laborcheck“
durchzuführen. Dies scheint sinnvoll auch im Hinblick auf die vielen
Arzneimittel, die bei längerer Anwendung die Leber schädigen können oder die in
ihrer Dosis reduziert werden müssen, wenn die Nierenfunktion abnimmt (z.B. Antikoagulanzien).
Es ist noch zu klären, ob solche Laborkontrollen generell zu einer rationalen
Arzneimitteltherapie gehören, ebenso wie das regelmäßige Screening auf neue
Symptome, die Zeichen einer Nebenwirkung sein könnten. Diese wichtige Frage
kann allerdings nur in größeren prospektiven Interventionsstudien beantwortet
werden.
Der vorgestellten DEGAM-Liste liegen keine
Interventionsstudien und kein systematisches Review zu Grunde. Auch ist die
Liste der kritischen Arzneimittel sicher unvollständig (z.B. NSAID). Sie wirkt eher
zufällig als systematisch. Die vorgeschlagenen Tests sind zudem eine Mixtur aus
klassischem Drug-Monitoring (Messung von Wirkspiegeln), Überwachung von
Organfunktionen (Blutbild, TSH, etc.) sowie Leitmessungen zur Dosisanpassung
(Kreatinin, INR). Andere wichtige Kontrollparameter wie EKG-Untersuchungen bei
QT-Zeit-verlängernden Arzneimitteln oder der Mini-Mental-Status-Test (MMSE)
oder Mobilitätstests bei Behandlung mit Psychopharmaka fehlen. Die DEGAM-Liste
kann daher nur als ein erster, allerdings wichtiger Vorschlag verstanden
werden, dem weitere Schritte – vor allem Interventionsstudien – folgen sollten.
Fazit: Aus Sicht der Hausärzte gibt es offensichtlich Bedarf
für regelmäßige Laborkontrollen bei Patienten mit Polypharmazie sowie unter
Therapie mit bestimmten Risikoarzneimitteln. Ob solche Routinekontrollen neben den
obligaten Laborkontrollen bei speziellen Arzneimitteln klinisch sinnvoll oder Überdiagnostik
sind, sollte in prospektiven Studien geklärt werden. Unabhängig davon sollte
Polypharmazie durch Definieren der individuellen Behandlungsziele des Patienten
möglichst vermieden werden.
Literatur
- http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-037l_S1_Medikamentenmonitoring_2014-06.pdf

- AMB2015, 49, 22.

- Thürmann, P.:

- Fachinformation Esidrix:
- Barber,J., et al. Br. J. Clin. Pharmacol. 2015, 79, 566.
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