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Ungleiche Partner – finanzielle Unterstützung von Patientenorganisationen durch pharmazeutische Unternehmer∗

„Im Mittelpunkt unseres Handelns steht der Patient. Deshalb wollen wir unseren Partnern (d.h. den Ärzten und medizinischen Fachangestellten) in Praxis und Klinik über innovative Präparate hinaus mit Serviceangeboten helfen, die sie bei ihrer täglichen Arbeit zeitlich entlasten und qualitativ unterstützen“. Diese im Mai 2015 angekündigte Kampagne, mit der ein großer pharmazeutischer Unternehmer (pU) „neben innovativen Präparaten mit Fortbildungsveranstaltungen, Schulungen und Materialien für Ärzte und Praxisteams den Patienten noch stärker in den Fokus rückt“, hat das erklärte Ziel „Praxisteam und Patienten fit zu machen“ (1). Die pU sehen es als ihre Aufgabe an, Patienten zu begleiten, „deren Leben durch eine notwendige, längere und gar dauerhafte Einnahme von Arzneimitteln geprägt wird“, und für sie ist „das Sammeln unmittelbarer Erfahrungen der Betroffenen durch nichts zu ersetzen“.

Die Zusammenarbeit von pU mit Patientenorganisationen verfolgt jedoch sehr häufig noch ein weiteres, eher verstecktes Ziel: Der immer besser informierte „Kunde“ bzw. Patient soll moderne diagnostische Verfahren oder medikamentöse Therapien nachfragen und damit seinerseits dafür sorgen, dass diese schneller und erfolgreich im Markt verbreitet werden. Hilfsmittel hierfür sind neben den o.g. Serviceangeboten unter anderem auch Internetforen und Broschüren, in denen objektive Informationen häufig mit Marketingaussagen vermischt werden, sowie Beratung von Patienten, um sie zu den „richtigen Ärzten zu lotsen“. Auf das Sponsoring von Selbsthilfegruppen und deren Instrumentalisierung für ökonomische Ziele der pU wurde bereits vor zehn Jahren anhand konkreter Beispiele ausführlich hingewiesen – in einem Dossier der ZEIT von M. Keller unter dem Titel: „Geben und einnehmen“ (2).

Die großzügige finanzielle Unterstützung der Patientenselbsthilfe durch pU – aktuell mit ca. 5,6 Mio. €/Jahr (3) – folgt ökonomischer Logik, wirft aber Fragen auf wie: Glauben wir Ärzte tatsächlich – trotz alltäglicher Erfahrungen mit Marketingaussagen und (Des-)Informationen zu Arzneimitteln –, dass pU geeignet sind, verlässliche, sachgerechte und evidenzbasierte Informationen über ihre Arzneimittel zu liefern? Eine Frage, die sich bereits vor einigen Jahren stellte, als in Brüssel über eine Aufhebung des Verbots der Werbung für rezeptpflichtige Arzneimittel (Direct-To-Consumer Advertising = DTCA) nachgedacht wurde, und die wir damals wie heute eindeutig mit „nein“ beantworten (4). Glücklicherweise besteht in Europa, anders als in den USA, weiterhin das Verbot für DTCA.

Viele Patienten-Selbsthilfegruppen und -organisationen sind inzwischen auf Distanz zu pU gegangen und versuchen, Patienten unabhängig von den primären Interessen der Industrie kritisch zu informieren. Dies setzt natürlich voraus, dass Ärzte ihren Patienten regelmäßig qualitativ hochwertige, unverzerrte, verständliche und evidenzbasierte Informationen zu Arzneimitteln bzw. Hinweise auf geeignete Informationsquellen zur Verfügung stellen. Patienten äußern ja zu Recht immer häufiger den Wunsch, stärker in Behandlungsentscheidungen einbezogen zu werden (gemeinsame Entscheidungsfindung bzw. „shared decision making“; vgl. 5). Derartige Informationen sind jedoch mitunter schwer erhältlich. Für eine rationale Arzneitherapie ist es erforderlich, dass vor der Zulassung von Wirkstoffen in klinischen Studien wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zur Wirksamkeit und Sicherheit erhoben und nach der Zulassung weitere Studien durchgeführt werden, die auch eine Beurteilung ihres Nutzens erlauben. Unter Nutzen versteht man in diesem Zusammenhang das Ergebnis einer bewertenden Abwägung zwischen positiven (Wirksamkeit) und negativen (Risiken, Schäden) Effekten unter Alltagsbedingungen im entsprechenden Anwendungsgebiet (6).

Ärzte und Patienten erreicht heute hingegen stetig eine Flut von Botschaften zu Arzneimitteln – beispielsweise in Form von Printmedien oder Online-Angeboten –, die meist unvollständige, unzuverlässige, interessengeleitete bis hin zu manipulierten Informationen beinhalten. Illegale Aktivitäten können nicht ausreichend verhindert werden durch die Selbstkontrolle der von Verbänden der pharmazeutischen Industrie in Europa und in Deutschland verabschiedeten Kodizes zur Transparenz bei der Zusammenarbeit der pU mit Fachkreisen. Dies belegen auch aktuelle Untersuchungen eindrücklich (7). Obwohl vergleichbare Untersuchungen zu den Kodizes, die sich auf die Zusammenarbeit der Pharmaindustrie mit Patientenorganisationen beziehen (z.B. 8), nicht vorliegen, muss davon ausgegangen werden, dass auch in diesem Bereich unseriöse bis hin zu illegalen Aktivitäten mitunter nicht verhindert werden. Da eine zentrale unabhängige Qualitätskontrolle auch heute noch fehlt, wird deshalb zu Recht gefordert, die vielfältigen, von pU für (neue) Arzneimittel bereitgestellten Informationen sowie auch Werbeanzeigen frühzeitig, d.h. vor Veröffentlichung, daraufhin zu prüfen, ob die gültigen Standards eingehalten werden. Weitere Vorschläge zur Eindämmung unseriöser Marketingstrategien zielen darauf ab, dass vermehrt industrieunabhängige Organisationen objektive Information über Arzneimittel für Verbraucher und Patienten bereitstellen.

Vor diesem Hintergrund ist die Broschüre des Verbandes der Ersatzkassen e.V. (vdek) „Ungleiche Partner – Patientenselbsthilfe und Wirtschaftsunternehmen im Gesundheitssektor“ ein sehr wichtiger Beitrag. Sie wurde von den Redakteur(inn)en der Zeitschrift zur Beobachtung der Biowissenschaften (BIOSKOP), E. Feyerabend und K. Görlitzer, geschrieben und liegt seit Ende Mai 2015 in aktualisierter und erweiterter Auflage vor (9, 10). Dringendes Anliegen dieser Broschüre ist es, auf die notwendige Neutralität und Unabhängigkeit in der Zusammenarbeit der Pharmaindustrie mit Organisationen der Selbsthilfe hinzuweisen sowie größere Transparenz zu schaffen bei der finanziellen Förderung der Selbsthilfe durch einzelne pU. Die Broschüre informiert nicht nur über die vielfältigen Aufgaben und Interessen der Selbsthilfeorganisationen, sondern vermittelt auch wichtige Einblicke in Zusammenarbeit, Wirkungen und Transparenzbemühungen der Selbsthilfeorganisationen. Anhand verschiedener Beispiele wird auf kritikwürdige Allianzen zwischen Selbsthilfegruppen und von pU gesponserten Netzwerken bzw. Vereinigungen hingewiesen. Solche Allianzen konzentrieren sich meist auf spezielle, für pU lukrative Krankheiten. Darüber hinaus sollten von Patientenorganisationen die Leitsätze zur Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen, insbesondere im Gesundheitswesen, die 2012 von der „Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen“ (BAG Selbsthilfe) verabschiedet wurden, noch konsequenter beachtet werden (11). Dies erfordert sowohl Transparenz bei den verschiedenen Formen dieser Zusammenarbeit als auch ein kontinuierliches Monitoring, ob die Leitsätze eingehalten werden und gegebenenfalls eine angemessene Sanktionierung von Verstößen.

Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hat 2008 und 2012 den „FSA-Kodex Patientenorganisationen“ kritisch kommentiert (12). Aus Sicht der AkdÄ sind eine verstärkte Kontrolle der Zusammenarbeit zwischen pU, Herstellern von Medizinprodukten und Patientenorganisationen sowie größere Transparenz hinsichtlich der finanziellen Zuwendungen – neben der finanziellen Unterstützung durch pU erhalten Selbsthilfegruppen ca. 45 Mio. € Fördergelder von den gesetzlichen Krankenkassen (9) – dringend erforderlich. Darüber hinaus hält es DER ARZNEIMTTELBRIEF, wie auch der vdek und BIOSKOP (9, 10), für notwendig, das direkte Sponsoring der Selbsthilfe durch einzelne pU einzustellen und stattdessen einen Fonds bzw. Pool zu schaffen, in den spendenwillige pU einzahlen können. Von einem unabhängigen Gremium könnte dann das eingesammelte Geld an die Verbände und Gruppen der Selbsthilfe verteilt werden. Dies wäre sicher ein wichtiger Schritt, um die von der Pharmaindustrie in ihren Kodizes stets betonte Neutralität, Unabhängigkeit und Kompetenz der Patientenorganisationen tatsächlich zu wahren und jederzeit ein faires und lauteres Verhalten der beteiligten pU zu gewährleisten.

Literatur

  1. http://www.boehringer-Ingelheim.de/presse/… Link zur Quelle
  2. http://www.zeit.de/2005/21/Pharmafirmen_neu Link zur Quelle
  3. http://www.spiegel.de/wirtschaft/service/patienten-datenbank- pharmaindustrie-spendete-millionen-an- organisationen-a-969476.html Link zur Quelle
  4. AMB2009, 43, 07b Link zur Quelle . AMB 2013, 47, 16DB01. Link zur Quelle
  5. Mühlhauser, I.,und Steckelberg, A.: Dtsch. Arztebl. 2009, 106, A-2554. Link zur Quelle
  6. AMB2010, 44, 89. Link zur Quelle
  7. Zetterqvist, A.V., etal.: PLoS Med. 2015, 12, e1001785. Link zur Quelle. Vgl. AMB 2015, 49, 24DB01. Link zur Quelle
  8. http://www.fsa-pharma.de/… Link zur Quelle
  9. http://www.vdek.com/… Link zur Quelle
  10. http://www.bioskop-forum.de/… Link zur Quelle
  11. http://www.bag-selbsthilfe.de/neutralitaet-und-unabhaengigkeit-der-selbsthilfe.html Link zur Quelle
  12. http://www.akdae.de/Stellungnahmen/Weitere/20080828.pdf Link zur Quelle . http://www.akdae.de/Stellungnahmen/Weitere/20120414.pdf Link zur Quelle

* Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag von Prof. Dr. W.-D. Ludwig für die Pressekonferenz und die Zeitschrift des Verbandes der Ersatzkassen (vdek: „ersatzkasse magazin“) anlässlich der Vorstellung der aktualisierten Broschüre des vdek „Ungleiche Partner“ am 27. Mai 2015 in Berlin.