Ticagrelor ist ein oraler Thrombozytenaggregationshemmer, der
nur in Kombination mit Azetylsalizylsäure (ASS) zugelassen ist (sog. DAT =
duale Hemmung der Thrombozytenaggregation). Die Zulassung umfasst die
Behandlung von Patienten mit akuten Koronarsyndromen (ACS), d.h. instabile
Angina pectoris (iAP), Myokardinfarkt mit (STEMI) oder ohne ST-Strecken-Hebung
(NSTEMI), unabhängig davon, ob die Patienten konservativ, mittels perkutaner
Koronarintervention (PCI) oder aortokoronarer Bypass-Operation (CABG) behandelt
wurden (1).
Aufgrund der Studienlage (PLATO-Studie) wird Ticagrelor in
Kombination mit ASS heute bevorzugt bei iAP und NSTEMI eingesetzt (2, 3),
während Prasugrel in Kombination mit ASS überwiegend beim STEMI empfohlen wird,
was wir auf Grund eines möglichen Bias im Studiendesign der TRITON-TIMI-38-Studie
kritisiert haben (4, 5). Generell soll die DAT nach ACS 12 Monate
lang durchgeführt werden (2, 4). Eine längere DAT, z.B. nach PCI, wurde
immer wieder diskutiert, hat sich jedoch nicht bewährt, weil Blutungskomplikationen
zunehmen (6). Diese Beobachtung wird nun auch in der PEGASUS-TIMI-54-Studie bestätigt
(7).
In dieser randomisierten kontrollierten Studie (RCT) wurde eine
mehrjährige DAT mit ASS plus Ticagrelor nach ACS getestet. Die Studie wurde von
Astra Zeneca finanziert und an 1.161 Zentren in 31 Ländern durchgeführt.
Eingeschlossen wurden Patienten, die 1-3 Jahre zuvor einen STEMI oder
NSTEMI erlitten hatten mit mindestens einem der folgenden Merkmale: Alter ≥ 65 Jahre,
Myokardinfarkt-Rezidiv, medikamentös behandelter Diabetes mellitus, koronare
Mehrgefäßerkrankung oder Kreatinin-Clearance ≤ 60 ml/min.
Ausgeschlossen wurden u.a. Patienten mit oraler Antikoagulation und solche mit
Schlaganfallanamnese (rückwirkende Änderung des Protokolls sechs Monate nach
Studienbeginn).
Die Patienten wurden in drei Gruppen randomisiert: 1. ASS plus
Plazebo; 2. ASS plus zweimal 60 mg/d Ticagrelor; 3. ASS plus zweimal 90 mg/d
Ticagrelor. Als primärer Endpunkt wurde eine Kombination aus kardiovaskulärem
Tod, Myokardinfarkt und Schlaganfall gewählt (Wirksamkeit) sowie Major-Blutungen
(Sicherheit) nach den TIMI-Kriterien (intrazerebrale Blutung oder klinisch
sichtbare Blutung mit einem Hb-Abfall ≥ 5 g/dl oder Blutung mit
Todesfolge innerhalb von sieben Tagen).
Insgesamt wurden 21.162 Patienten eingeschlossen. Im
Median lag der für die Studie qualifizierende Myokardinfarkt (53,6% STEMI)
1,7 Jahre zurück. Die Patienten in den drei Behandlungsarmen waren
hinsichtlich ihrer klinischen und demografischen Charakteristika gleich (mittleres
Alter 65 Jahre; 76% Männer; 86% weiße Hautfarbe; Diabetes mellitus
32%; koronare Mehrgefäßerkrankung 59%). Die DAT wurde während der Studie von
32% (zweimal 90 mg/d), 28,7% (zweimal 60 mg/d) und 21,4% (Plazebo)
vorzeitig abgesetzt, überwiegend wegen Nebenwirkungen (am häufigsten Blutungen
und Dyspnoe, s. Tab. 1).
Ergebnisse: Nach einer Intention-to-treat-Auswertung
erreichten 9,04% der Patienten in der Plazebo-Gruppe innerhalb von drei Jahren
den primären Wirksamkeitsendpunkt, in den Ticagrelor-Gruppen 7,85% bzw. 7,77% (hohe
bzw. niedrige Dosis). Dies entspricht einer Hazard-Ratio (HR) von 0,85
(95% CI: 0,75-0,96) für die hohe und von 0,84 (95% CI: 0,74-0,95) für
die niedrige Ticagrelor-Dosis. Hieraus lässt sich eine Number needed to treat
(NNT) von ca. 80 über drei Jahre ableiten. In den untersuchten Subgruppen war
das Ergebnis konsistent.
Diesem Nutzen stehen 1,06% Major-Blutungen unter Plazebo
sowie 2,6% und 2,3% unter Ticagrelor gegenüber. Die HR der verlängerten DAT mit
Ticagrelor beträgt 2,69 (95% CI: 1,96-3,7) bzw. 2,32 (95% CI:
1,68-3,21). Hieraus leitet sich eine dosisabhängige Number needed to harm (NNH)
von 65-80 über drei Jahre ab.
Der Nutzen einer verlängerten DAT mit Ticagrelor plus ASS
ist also ähnlich groß wie der Schaden. Einzelne wichtige Endpunkte wie die
Gesamtletalität oder Aufnahmen ins Krankenhaus wegen PCI blieben durch die
verlängerte DAT unbeeinflusst. Interessant sind Beobachtungen, dass die
Häufigkeit von Atemnot unter Ticagrelor höher ist als in den Fachinformationen
angegeben (19,9% vs. 13,8%) und dass Tumoren mit der DAT dosisabhängig, aber
nicht signifikant zunehmen (s. Tab. 1).
Fazit: Eine routinemäßige duale Hemmung der
Thrombozytenaggregation nach Myokardinfarkt über die empfohlenen 12 Monate
hinaus erweist sich, auch mit Ticagrelor, einmal mehr als unnötig. Dem geringen
Zusatznutzen stehen etwa in gleichem Maße Komplikationen gegenüber. Deshalb ist
diese Doppeltherapie über ein Jahr hinaus eine zu begründende
Einzelfallentscheidung.
Literatur
- Fachinformation Brilique:
(Aufruf am 23.9.2015).
- 2015 ESC Guidelines forthe management of acute coronary syndromes in patients presenting withoutpersistent ST-segment elevation.

- AMB 2012, 46, 79b.

- ESC Guidelines for themanagement of acute myocardial infarction in patients presenting withST-segment elevation: Eur. Heart J. 2012, 33, 2569.
- AMB 2012, 46, 81.

- AMB 2014, 48, 61b.

- Bonaca, M.P., et al.(PEGASUS-TIMI 54 =Prevention of cardiovascular events in patients with prior heart attack usingticagrelor compared to placebo on a background of aspirin - ThrombolysisIn Myocardial Infarction 54): N. Engl. J. Med. 2015, 372,1791.

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