Wie beruhigend: Mehr als die Hälfte der Österreicher/innen
kennt seinen/ihren Cholesterinwert nicht und mehr als ein Drittel der in einem
großen Wiener Einkaufszentrum freiwillig Getesteten hatte einen erhöhten
LDL-Wert. Dieser „Befund“ war kürzlich einigen österreichischen Leitmedien eine
Schlagzeile wert. Das Ganze ging auf eine Austria-Presse-Agentur(APA)-Meldung
zurück, die sich wiederum auf eine Aktion einer pharmagesponserten
Selbsthilfeorganisation bezog, anlässlich des „Welt-Aktionstages zur Familiären
Hypercholesterinämie“ (1). Selbstverständlich fehlte in den Artikeln nicht der
Hinweis darauf, dass man ja mittlerweile gegen hohe Cholesterinwerte sehr
effektive Medikamente habe.
Abgesehen davon, dass man hier gut sehen kann, wie die
Massenmedien im Sinne Werbung für Arzneimittel manipuliert werden, ist diese
Meldung auch Beleg für die von uns prognostizierte umfangreiche Kampagne für
die neuen PCSK9-Hemmstoffe (2). Sie werden es längst bemerkt haben: die
Ärzte-Kongresse und regionalen Fortbildungsveranstaltungen beschäftigen sich
derzeit wieder intensiv mit dem LDL-Cholesterin und dessen Senkung. „As low as
possible“ oder „the lower the better“ sind die Slogans, die die Richtung
vorgeben (3-5). Die Mittel hierfür stehen zur Verfügung (Statine plus Ezetimib,
Evolucumab oder Alirocumab). Das Konzept wird angeblich durch die IMPROVE-IT-Studie
gestützt: „Improve-IT has proven it“ (5). Was wir von dieser Studie halten,
haben wir gesagt (6, 7).
Von dieser Propaganda hebt sich sehr wohltuend ein
Perspektivartikel im N. Engl. J. Med. ab (8). Die drei Autoren sind Mitglieder
des Endocrinologic and Metabolic Drugs Advisory Committee der FDA und haben
dort bei der Zulassung von Evolucumab mitgewirkt. Das Pro- und
Contra-Verhältnis beim Votum für die Zulassung von Evolucumab betrug 11:4 und
für den zweiten PCSK-9-Hemmer Alirocumab 13:3. Die Zulassung erfolgte nach
Aussagen der Wissenschaftler in erster Linie mit Blick auf Patienten mit
familiärer Hyperlipoproteinämie (FH). Da die PCSK-9-Hemmer zu LDL-Senkungen von
50% und mehr führen, können sie für diese spezielle Patientengruppe von hohem Nutzen
sein. Allerdings wurde in der Entscheidung über die Zulassung explizit darauf
hingewiesen, dass das LDL nur ein Surrogatparameter ist und der Beleg für eine
Wirksamkeit auf klinische Endpunkte noch zu erbringen ist. Leider kann die FDA
bei einem regulären Zulassungsverfahren nur Postmarketing-Studien zur
Sicherheit, nicht aber Studien zur Wirksamkeit anordnen. Insofern beruht die
Entscheidung zur Zulassung auf einer Annahme.
Besondere Bedenken bestanden beim Zulassungsausschuss der
FDA hinsichtlich einer Ausweitung der Indikation. Man befürchtet, dass die
PCSK-9-Hemmer nun vermehrt und vorrangig Patienten ohne FH verschrieben werden,
beispielsweise in der Sekundärprophylaxe kardiovaskulärer Erkrankungen, wenn
Statine nicht vertragen oder die sehr ambitionierten LDL-Zielwerte nicht
erreicht werden können (die Zulassung umfasst diese Indikationen). Fast schon
ironisch ist der Hinweis der Autoren, dass wohl nur die Notwendigkeit der
Injektion und die hohen Preise eine ungezügelte Anwendung der PCSK-9-Hemmer
verhindern werden.
Der wichtigste Teil des Artikels widmet sich aber der These
„the lower the better“. Die Autoren führen einige Substanzen und Studien an,
bei denen diese Beziehung nicht nachgewiesen werden konnte (Tab. 1).
Insbesondere die ILLUMINATE-Studie sollte zu denken geben. Bei dieser Studie
wurde Torcetrapib, ein Cholesteryl-Ester-Transfer-Protein-Inhibitor, in
Kombination mit Atorvastatin gegen Atorvastatin allein geprüft. Die Studie
musste vorzeitig abgebrochen werden, weil sich trotz einer um 27% stärkeren
LDL-Senkung mit Torcetrapib eine 25% höhere kardiovaskuläre Letalität zeigte
(9). Hätte die FDA Torcetrapib nur auf Grund der Effekte auf die LDL-Spiegel zugelassen,
wären vermutlich tausende Menschen zu ernsthaftem Schaden gekommen.
Allein auf Grund seiner Wirkung auf die LDL-Spiegel wurde dagegen
Ezetimib 2002 zugelassen. Erst 2014, also 12 Jahre später, und nach fünfmaliger
Veränderung des Studienprotokolls gelang es dem Hersteller, eine minimale
klinische Wirksamkeit nachzuweisen. Allerdings steht das Ausmaß der LDL-Senkung
in keiner sinnvollen Relation zum klinischen Effekt: trotz einer um 24% stärkeren
LDL-Senkung durch Ezetimib plus Simvastatin im Vergleich mit Simvastatin allein
konnte bei einer Hochrisikopopulation nach 7 Jahren Behandlung nur eine
Risikoreduktion um 6% nachgewiesen werden – ohne Einfluss auf das Überleben (6, 7).
Das Konzept „the lower the better“ ist also nicht bewiesen
und nach unserer Einschätzung ein Marketingslogan, dem man widersprechen
sollte, solange das Konzept nicht durch aussagekräftige Studien belegt ist.
Literatur
- http://derstandard.at/2000023138416/Wien-Mehr-als-die-Haelfte-kennt- eigenen-Cholesterinspiegel-nicht

- AMB 2015, 49, 74.

- http://www.medscapemedizin.de/artikelansicht/4903718

- http://dgk.org/pressemitteilungen/ 2015-herbsttagung/2015-ht-aktuelle-pm/2015-ht-aktuelle-pm-tag1/ medikamentoese-herzinfarkt-vorbeugung- cholesterin-noch-weiter-senken/

- Uhlir, C.: Universum Innere Medizin2015, 1, 58.
- AMB 2015, 49, 04.

- AMB 2015, 49, 64a.

- Everett, B.M., et al.: N.Engl. J. Med. 2015, 373, 1588.

- AMB 2008, 42, 99.

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