Zusammenfassung: In der aktuellen
SPRINT-Studie mit mehr als 9.000 älteren hypertensiven Patienten mit erhöhtem
kardiovaskulären Risiko ergab sich bei intensiver medikamentöser Senkung des
Blutdrucks (Zielwert systolisch < 120 mm Hg) im Vergleich zu
einer leitlinienkonformen Blutdrucksenkung (Zielwert systolisch < 140 mm Hg)
eine signifikante Reduktion klinischer Endpunkte, einschließlich der Letalität.
Dem stehen deutlich häufigere Nebenwirkungen gegenüber: Hypotonie, Synkopen,
Elektrolytverschiebungen, Nierenversagen. Wegen der Ausschlusskriterien, z.B.
Diabetes mellitus und Zustand nach Schlaganfall, sind die Ergebnisse in der
Praxis nur eingeschränkt auf typische hypertensive Patienten mit hohem Risiko
übertragbar. Ergebnisse aus anderen Studien, in denen eine zu intensive Blutdrucksenkung
zu vermehrten Nebenwirkungen und höherer Letalität führte, mahnen zur Vorsicht
bei der Umsetzung. Künftige Studien und Leitlinien zur Behandlung der
Hypertonie werden mehr als bisher individuelle Kofaktoren (Alter,
Komorbiditäten, Gebrechlichkeit, Polypharmakotherapie, Präferenz des Patienten)
berücksichtigen müssen.
Einleitung: Die Senkung
hypertensiver Blutdruckwerte reduziert die Inzidenz von Herzinsuffizienz,
Schlaganfall, Koronarer Herzkrankheit (KHK) und chronischen Nierenerkrankungen
und dies unabhängig von Alter, Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit und
Schweregrad der Hypertonie. Darüber besteht internationaler Konsens. Uneinigkeit
besteht unter Experten jedoch darüber, welche Blutdruckwerte therapeutisch
anzustreben sind. Seit mehr als einem Jahrzehnt galt als Ziel
< 140/90 mm Hg für die meisten Hypertoniker und
< 130/80 mm Hg für Diabetiker und Patienten mit chronischen
Nierenerkrankungen (1). 2014 wurde vom Eighth Joint National Committee der
systolische Zielblutdruck für Menschen ≥ 60 Jahre auf der Basis
randomisierter kontrollierter Studien auf 150 mm Hg angehoben (2).
Die American Heart Association und das American College of Cardiology empfahl
ursprünglich 130/80 mm Hg für Personen mit hohem Risiko für KHK und
< 120/80 mm Hg für Patienten mit Herzinsuffizienz, änderte
jedoch die Empfehlungen in diesem Jahr auf < 140/90 mm Hg für
die meisten Patienten mit KHK und < 150/90 mm Hg für Menschen
> 80 Jahre (3). Es lag also nahe, diese unterschiedlichen
Leitlinien-Empfehlungen in einer neuen Studie zu überprüfen.
SPRINT-Studie: Wegen eines
unerwartet signifikant positiven Therapieeffekts wurde im vergangenen August
das Systolic Blood PRessure Intervention Trial
(SPRINT) vorzeitig abgebrochen. Die Fachwelt hat auf die endgültigen Resultate
gewartet (4). Diese wurden nun Anfang November auf dem Jahreskongress der
American Heart Association (AHA) präsentiert – begleitet von einem ungewöhnlich
großen Echo in der Fachpresse: Neben der fast zeitgleichen Publikation im N.
Engl. J. Med. (5) gab es in derselben Ausgabe zwei Editorials (6, 7) und
einen Perspektivartikel (8) sowie außerdem einen kommentierenden Artikel im J.
Am. Coll. Cardiol. und ein Editorial und drei Kommentare in der Zeitschrift Hypertension
(z.B. 9). Es wird allgemein angenommen, dass die Ergebnisse der
SPRINT-Studie die Hypertoniebehandlung verändern werden.
Methodik: Die von den
US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH) unter Führung des
National Heart, Lung, and Blood Institute (NHLBI) finanzierte, multizentrische
Studie schloss Hypertoniker > 50 Jahre mit systolischen RR-Werten von
130-180 mm Hg und erhöhtem kardiovaskulärem Risiko ein – aber ohne
Diabetes, Schlaganfallanamnese, Herzinsuffizienz oder kurz zurückliegendem
akutem Koronarsyndrom (ACS; s. Tab. 1).
Die Patienten erhielten randomisiert, nicht verblindet
(„open label“) eine antihypertensive Arzneimitteltherapie mit einem
systolischen Blutdruck-Zielwert von < 120 mm Hg („Intensiv“)
vs. leitlinienkonform < 140 mm Hg („Standard“). Die Auswahl
der Arzneimittel wurde den behandelnden Ärzten und ihren Patienten überlassen.
Der kombinierte primäre Endpunkt umfasste Myokardinfarkt und andere akute
Koronarsyndrome, Schlaganfall, akut dekompensierte Herzinsuffizienz und
kardiovaskulären Tod. In den ersten drei Monaten erfolgten monatliche, danach
3-monatliche Untersuchungen (RR-Messung in der Praxis, klinische Untersuchung,
Labor, Fragebögen zu Endpunkten). Die geplante mittlere Nachbeobachtungszeit
betrug 5 Jahre.
Ergebnisse: 9.361 Personen
aus 102 Zentren wurden von November 2010 bis März 2013 eingeschlossen und
1:1 randomisiert mit folgenden Basischarakteristika in beiden Gruppen (auszugsweise):
mittleres Alter 68 Jahre; Alter > 70 Jahre ca. 28%; Frauen
ca. 36%; Afroamerikaner ca. 30%; mittlerer BMI 30 kg/m2; mittlerer
Ausgangs-RR: 140/78 mm Hg; Zahl der Antihypertensiva bei Eintritt in
die Studie 1,8/Patient; unbehandelte Patienten 10%; Statin-Therapie: 43%; ASS-Therapie:
52%.
Patienten der Intensiv-Gruppe wurden in Folge im
Durchschnitt mit 2,8 Antihypertensiva behandelt, Patienten der
Standardgruppe weiterhin mit 1,8. Nach einem Jahr lag der Blutdruck in der
Intensivgruppe im Mittel systolisch bei 121,4 mm Hg und diastolisch
bei 68,7 mm Hg, in der Standard-Gruppe systolisch bei
136,2 mm Hg und diastolisch bei 76,3 mm Hg. Nach einer
mittleren Nachbeobachtungszeit von 3,26 Jahren (statt der geplanten
5 Jahre) verfügte das NHLBI wegen einer unerwartet niedrigeren Letalität
in der Intensiv-Gruppe den vorzeitigen Abbruch der Studie. Die Auswertung ergab
zu diesem Zeitpunkt eine signifikante Reduktion des kombinierten Studienendpunkts
in der Intensiv-Gruppe sowie der Gesamtletalität, der kardiovaskulären Letalität
und der akuten Herzinsuffizienz (s. Tab. 2). Die Effekte waren in
allen vor Studienbeginn definierten Subgruppen konstant. Schwere unerwünschte
Ereignisse (UAW) wie Hypotension, Synkope, Elektrolytentgleisung, akute
Niereninsuffizienz waren in der Intensiv-Gruppe häufiger. Hinsichtlich
Bradykardien und Stürzen mit Verletzungsfolgen gab es hingegen keine
Unterschiede (s. Tab. 2). In der Altersgruppe > 75 Jahre
traten Nebenwirkungen unter Intensivtherapie überraschenderweise nicht häufiger
auf als bei jüngeren Patienten.
Diskussion: Autoren und
Kommentatoren sind sich einig, dass die Vorteile der intensiveren medikamentösen
RR-Senkung mit einem Zielwert von systolisch < 120 mm Hg
statt < 140 mm Hg in der SPRINT-Studienpopulation die
häufigeren Nebenwirkungen aufwiegen. Dem ist im Grundsatz nicht zu
widersprechen, wenn auch die Risikoveränderungen absolut verhältnismäßig gering
sind. Dadurch ergibt sich eine hohe jährliche Number-Needed-To-Treat (NNT) bzw.
Number-Needed-To-Harm (NNH; s. Tab. 2). Diese Effekte zwingen nach
unserer Einschätzung nicht dazu, jetzt sofort die bisherigen Standards zu
verlassen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Ergebnisse der
SPRINT-Studie in Form von Empfehlungen zu niedrigeren RR-Zielwerten Eingang in
künftige Leitlinien finden werden.
Kritikpunkte an der SPRINT-Studie sind: Die fehlende
Verblindung birgt naturgemäß ein hohes Risiko für einen Performance- und
Beobachtungsbias. Eine vollständige Verblindung ist allerdings bei einer
Studie, die ausschließlich Therapiezielwerte miteinander vergleicht, weder für
Patienten noch für die einschließenden und nachuntersuchenden Ärzte und Studienassistenten
praktikabel. Auch schränken die Ein- und Ausschlusskriterien die Übertragbarkeit
der Studienergebnisse auf eine Hochrisikopopulation von Hypertonikern im
Praxisalltag ein (Selektionsbias). Manche Kommentatoren sprechen deshalb kritisch
von einem „SPRINT-spezifischen“ Effekt (9). Hinzu kommt eine möglicherweise
unzureichende Begleittherapie: Den Patienten wurde in beiden Gruppen zwar zu
einer begleitenden Lebensstil-Modifikation geraten, diese war aber nicht in das
antihypertensive Management integriert – trotz eines erhöhten mittleren BMI von
30 kg/m2 in der Studienpopulation. In Anbetracht des kardiovaskulären
Risikoprofils verwundert auch der relativ geringe Anteil der Patienten, die ASS
(52%) oder ein Statin einnahmen (43%).
Positiv hervorzuheben ist in der SPRINT-Studie – im
Vergleich zu anderen Hypertoniestudien – dass verhältnismäßig viele sonst
unterrepräsentierte Patienten eingeschlossen wurden: ältere Hypertoniker,
Frauen und Afroamerikaner. Subgruppen, die mehr als andere von der intensiveren
RR-Senkung profitierten, waren: Patienten > 75 Jahre, Patienten
ohne vorbestehende kardiovaskuläre Erkrankung oder Niereninsuffizienz (CNI) und,
besonders interessant, Patienten mit niedrigem Ausgangs-RR (untere Tertile: ≤ 132 mm Hg).
Nebenwirkungen waren in der Altersgruppe > 75 Jahre
nicht häufiger als in der Gesamtpopulation. Zu Verschlechterungen der Nierenfunktion
kam es in der Intensiv-Gruppe zwar häufiger (bei insgesamt niedrigeren
Ereignisraten als erwartet), jedoch gab es „keinen Hinweis auf substanzielle
bleibende Nierenschäden“ infolge des niedrigeren RR-Zielwerts. Eine relevante Verminderung
der eGFR fand sich bei Patienten ohne vorbestehende CNI signifikant häufiger unter
intensiver RR-Senkung als unter Standard-Therapie (1,21%/Jahr vs. 0,35%/Jahr).
Ein Kommentator gibt zu bedenken, dass RR-Zielwerte von
< 120 mm Hg – insbesondere bei Patienten mit höheren
Ausgangswerten (z.B. > 170 mm Hg) – erfahrungsgemäß nur
schwer zu erreichen sind (9). Eine Senkung des derzeit geltenden Zielwerts von
< 140 mm Hg auf < 120 mm Hg wäre mit einem
deutlichen Mehraufwand verbunden. Fragen zur optimalen „intensiven“
antihypertensiven Arzneimitteltherapie (z.B. idealer Zeitpunkt sowie Art und
Dosierung einer Kombinationstherapie) und deren Erfolgskontrolle (z.B. Art und
Ort der RR-Messungen, optimale Länge von Kontrollintervallen) werden jedenfalls
wieder an Bedeutung gewinnen. Diese Aspekte waren etwas in den Hintergrund
getreten angesichts „lockerer“ Zielwerte in den aktuellen europäischen und
US-amerikanischen Leitlinien („< 140 mm Hg für alle“ bzw.
< 150/90 mm Hg für Patienten mit Polypharmakotherapie oder
durch Nebenwirkungen gefährdete ältere Patienten > 60 bzw. > 80 Jahre;
10-12).
Eine wesentliche Grundlage der derzeit aktuellen
Leitlinien ist die 2010 publizierte ACCORD-BP-Studie (5.509 Diabetiker mit
Hypertonie, randomisiert zu Zielwert < 120 mm Hg vs.
140 mm Hg, kein vorgegebenes Therapieregime, nicht verblindet; vgl. 13, 14).
Dabei handelte es sich um eine Substudie der ACCORD-Studie, in der bei 10.251 Diabetikern
in einem doppelten 2x2-faktoriellen Design Strategien der Blutzucker-,
Blutdruck- und Lipidtherapie verglichen wurden. Die SPRINT-Studie hat sich in ihrem
Design an der ACCORD-BP-Studie orientiert. Anders als in SPRINT fanden sich in
der ACCORD-BP Studie jedoch keine Unterschiede in den klinischen Endpunkten, abgesehen
von einer nicht-signifikanten Senkung der Schlaganfallrate bei jedoch höherer Rate
an Nebenwirkungen. Dies könnte auf unterschiedliche Pathomechanismen bzw.
Krankheitsstadien bei den beiden Studienpopulationen hinweisen und bekräftigt den
Wert einer differenzierten blutdrucksenkenden Therapie, je nach Komorbidität, Alter,
Gebrechlichkeit oder vorhandener Polypharmakotherapie. Wie solche neuen und
stärker an der klinischen Situation des Patienten orientierten Empfehlungen im
Detail aussehen könnten, ist jedoch in Anbetracht der Ein- und Ausschlusskriterien
der SPRINT-Studie und der widersprüchlichen Evidenzlage nicht einfach zu
entscheiden.
Generell nun einen niedrigeren RR-Zielwert, d.h. < 120 mm Hg,
für „SPRINT-Patienten“ festzusetzen (bei insgesamt niedrigeren Ereignisraten
als erwartet), erscheint uns jedenfalls bedenklich. Es gibt nämlich Beobachtungen,
dass eine allzu intensive Blutdrucksenkung vermehrt mit kognitiver Dysfunktion
und höherer Letalität assoziiert ist (15, 16).
Aufgrund der Einschlusskriterien kann die SPRINT-Studie
keine Aussagen machen zu den optimalen Zielwerten bei Patienten < 50 Jahre,
Diabetikern und zu bisher nicht therapiepflichtigen Personen mit RR-Werten
zwischen 120 mm Hg und 140 mm Hg.
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Erratum: JAMA 2003, 290, 197.
- James,P.A., et al.: JAMA 2014, 311, 507.
Erratum: JAMA 2014, 311,1809.
- Rosendorff,C., et al.: J. Am. Coll. Cardiol. 2015, 65, 1998.

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- Weber, M.A., etal.: J. Clin. Hypertens. (Greenwich) 2014, 16, 14.

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