Das IMS Institute for Healthcare Informatics ist ein
börsennotiertes Marktforschungsinstitut, das die Entwicklungen im Gesundheitssektor
beobachtet und bewertet. Seine Kunden sind neben pharmazeutischen Unternehmern
(pU) und Gesundheitsökonomen auch potenzielle Investoren und Portfoliomanager
(1). IMS hat im November unter dem Titel „Gobal Medicines Use in 2020 – Outlook
and Implications“ seine Einschätzung der Entwicklung des weltweiten Arzneimittelmarkts
in den nächsten fünf Jahren veröffentlicht. Der Bericht kann kostenfrei von der
Webseite des IMS heruntergeladen werden (2).
Demnach wird der weltweite Arzneimittelverbrauch in den
nächsten fünf Jahren um etwa 25% zunehmen, da einem deutlich größeren Teil der
Weltbevölkerung als heute Arzneimittel zur Verfügung stehen werden. Dabei wird
der Verbrauch von Original- und Spezialpräparaten in den sog. „Developed
Markets“ (z.B. USA, Kanada, Japan, Südkorea, Deutschland, Frankreich, Italien,
Spanien und Großbritannien) weiterhin sehr viel höher liegen als in den sog.
„Pharmerging Markets“ (z.B. China, Brasilien, Indien, Russland), in denen
überwiegend Generika und „Over the Counter“ (OTC)-Präparate eingenommen werden.
Nach der Prognose von IMS werden im Jahre 2020 mehr als die Hälfte der
Menschheit – und nicht ein Drittel wie heute – mindestens ein Medikament
täglich einnehmen.
Während der Arzneimittelverbrauch in Europa nur gering
ansteigt (v.a. in Osteuropa), soll sich entsprechend der Voraussage von IMS die
Menge verkaufter Arzneimittel allein in den vier Ländern China, Indien,
Indonesien und Brasilien mit seinen insgesamt 3,2 Milliarden Menschen in
den nächsten fünf Jahren verdoppeln. In den „Pharmerging Markets“ werden 2020 vermutlich
zwei Drittel aller Arzneimittel weltweit verkauft und der Anteil patentfreier,
generischer Arzneimittel wird in diesen Märkten etwa 92% betragen. Demgegenüber
wird in den „Developed Markets“ der Anteil der Generika in fünf Jahren
voraussichtlich ca. 82% betragen und nur 18% werden auf Originalpräparate mit
Patentschutz, patentfreie Originalpräparate und Biosimilars entfallen.
Angesichts des „Ablebens der klassischen Blockbuster“ zur
Behandlung der Volkskrankheiten im letzten Jahrzehnt (3) und klaffender
Patentlücken haben sich global agierende pU für eine strategische
Neuausrichtung im Bereich Forschung und Entwicklung entschieden. Aus
ökonomischen Gründen, aber auch angesichts der demographischen Entwicklung,
haben sie ihre Forschungsaktivitäten inzwischen auf Bereiche konzentriert, in
denen die Patientenbedürfnisse noch nicht durch existierende medikamentöse
Therapien abgedeckt sind („unmet medical need“) und deshalb lukrative Märkte
vorhanden sind (z.B. onkologische und rheumatologische Erkrankungen,
Virusinfektionen wie HIV und Hepatitis C, ZNS-Erkrankungen). Gleichzeitig
haben pU versucht, die infolge der Patentlücken sinkenden Umsätze durch teilweise
exorbitante Preise für neue Spezialpräparate (z.B Onkologika; 4) zu
kompensieren. Trotz dieser Strategieänderung werden voraussichtlich 2020 nur
noch 2-3% der weltweit abgegebenen Medikamente neue Wirkstoffe sein (Zulassung
nach 2010). Bei diesen patentgeschützten, meist sehr teuren Arzneimitteln
handelt es sich nach Einschätzung von IMS ganz überwiegend um Spezialpräparate,
die nahezu exklusiv in den „Developed Markets“ verkauft werden und deren Anteil
in den „Pharmerging Markets“ nur etwa 0,1% beträgt.
Die globalen Ausgaben für Arzneimittel werden nach den Prognosen
des IMS in den nächsten fünf Jahren um etwa 30% steigen – auf dann bemerkenswerte
1,4 Billionen US-$ pro Jahr. Zum Vergleich: die weltweiten Ausgaben für
Rüstung betragen aktuell 1,8 Billionen US-$, Tendenz sinkend (5). Ob diese
Umsatzprognose real ist oder nur potenzielle Investoren anlocken soll, ist derzeit
schwer zu beurteilen. Die Prognose des IMS zeichnet jedoch einen Weg vor, der
unser solidarisch finanziertes Gesundheitssystem vor enorme Herausforderungen
stellen wird. Die prognostizierten Umsatzzuwächse sollen mehrheitlich (63%) in den
„Developed Markets“ durch die teuren Spezialpräparate generiert werden. Deren
Anteil an den Gesamtausgaben soll von aktuell 26% auf 36% steigen und nur 12%
in den „Pharmerging Markets“ ausmachen. Für die in Bezug auf die Arzneimittelausgaben
„Top 5“-Länder in Europa (Deutschland, Italien, Frankreich, Großbritannien und
Spanien) werden Umsätze in Höhe von 180 bis 190 Milliarden US-$
vorausgesagt – somit eine Steigerung von knapp 40 Milliarden US-$
gegenüber 2015. Dabei wird Deutschland mit etwa 57 Milliarden US-$
weiterhin der im Umsatz deutlich führende Arzneimittelmarkt in Europa sein.
Darüber hinaus wird aber auch mit therapeutischen Fortschritten
bei einigen vernachlässigten Erkrankungen gerechnet, insbesondere bei
Infektions- und Tropenerkrankungen. Diese begrüßenswerte Entwicklung wird aber
nicht durch die klassischen Investoren, sondern vor allem durch philanthropische
Forschungsförderung und -förderer erzielt.
Neben den beschriebenen Zuwächsen im Arzneimittelmarkt
rechnet das IMS in den kommenden Jahren auch mit erheblichen Veränderungen in
der Art und Weise, wie Krankheiten behandelt werden. Die wichtigsten Stichworte
hier sind Präzisionsmedizin, E-Health und diverse technologische Hilfsmittel
zum Krankheitsmanagement.
Fazit: Die Pharmabranche ist weiter auf Wachstumskurs. Immer
mehr Menschen erhalten Zugang zu Arzneimitteln, insbesondere in den
Schwellenländern und dort vor allem zu Generika. Es bleibt zu hoffen, dass
diese Arzneimittel auch rational eingesetzt werden – die Erfahrung aus den
letzten Jahren lässt uns allerdings daran zweifeln. In Westeuropa stagniert der
Arzneimittelabsatz, aber die Ausgaben nehmen erheblich zu (um 25-45%). Dies
liegt vor allem an den teils exorbitant teuren, neuen Spezialpräparaten,
insbesondere in der Onkologie, Rheumatologie und Infektiologie. Bei Gesamtumsätzen
von über 1 Billion US-$ pro Jahr zählt die Pharmabranche unverändert zu
den lukrativsten Branchen für Investoren überhaupt. Rücksichtnahme auf unser
solidarisch finanziertes Gesundheitssystem ist bei diesen Investoren sicher
nicht zu erwarten.
Literatur
- Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/IMS_Health
(Zugriff am 26.11.15).
- http://www.imshealth.com/en/thought-leadership/ims-institute/reports/ global-medicines- use-in-2020

- Cutler, D.M.: N. Engl. J. Med. 2007,356, 1292.

- AMB 2015, 49,40DB01.

- Wirtschaftswoche 13. April 2015.
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