Eine Änderung der gängigen Empfehlungen hin zu
niedrigeren Blutdruck-Zielwerten bei antihypertensiver Arzneimitteltherapie
scheint sich anzubahnen. Die Ergebnisse einer aktuell im Lancet publizierten
großen Metaanalyse (1) deuten in dieselbe Richtung wie die der kürzlich
publizierten SPRINT-Studie (2). Diese wurde vorzeitig abgebrochen, nachdem sich
ein signifikanter, die Letalität senkender Effekt einer intensiven
Blutdrucksenkung (Zielwerte < 130 mm Hg) ergeben hatte (2).
Beide Untersuchungen wurden durch Einrichtungen der US-amerikanischen National
Institutes of Health (NIH) finanziert.
Die Metaananalyse (1) umfasste über 600.000 Patienten
aus 123 großen Studien zur antihypertensiven Therapie – unter Einschluss der
SPRINT-Studie. Einschlusskriterien waren u.a.: Nachbeobachtung von mindestens 1.000 Patientenjahren
pro Studienarm, Publikationszeitraum Januar 1966 bis November 2015. Ausschlusskriterium
war u.a. Herzinsuffizienz. Die Analyse erfolgte auf „Summary-Level“ und basiert
nicht auf Patienten-Rohdaten. Die Studien wurden in Abhängigkeit von den unterschiedlichen
Blutdruck-Ausgangsniveaus (< 130 mm Hg bis > 160 mm Hg
systolisch) und kardiovaskulären Komorbiditäten auf folgende Endpunkte
untersucht: schwere kardiovaskuläre Erkrankungen, koronare Herzkrankheit (KHK),
Schlaganfall, Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz, Gesamtletalität. Das Risiko
des Bias wird für 113 Studien als „niedrig“ und für 10 Studien als
„unklar“, der Heterogenitätsgrad für die Endpunktergebnisse als „niedrig“ bis
„mäßig“ angegeben. Die Analyse ergab bei allen Endpunkten mit Ausnahme Niereninsuffizienz
(keine signifikante Änderung) eine Reduktion und zwar proportional der
erreichten Blutdrucksenkung (s. Tab. 1). Die Effekte waren unabhängig
von Ausgangsblutdruck und kardiovaskulären Komorbiditäten. Bei Diabetikern und
niereninsuffizienten Patienten war der Effekt zwar schwächer ausgeprägt, aber
dennoch signifikant. Alle antihypertensiven Wirkstoffklassen zeigten sich
wirksam, wobei Kalziumantagonisten in der Herzinsuffizienz-Prävention und
Betablocker in der Prävention schwerer kardiovaskulärer Erkrankungen,
Schlaganfall und Niereninsuffizienz im Vergleich zur mittleren Wirksamkeit
aller Antihypertensiva zusammen signifikant unterlegen waren. Signifikant
überlegen waren hingegen Diuretika in der Herzinsuffizienz- und
Kalziumantagonisten in der Schlaganfall-Prävention. Hinweise auf eine durch die
antihypertensive Therapie erhöhte Inzidenz von Niereninsuffizienz (wie in der
SPRINT-Studie) oder kardiovaskulären Ereignissen bei niedrigem
Ausgangsblutdruck ergaben sich aus dieser Metaanalyse nicht. Für eine formale
Analyse der Nebenwirkungen waren die Angaben in den eingeschlossenen Studien aber
zu unvollständig.
Die Autoren sehen durch die Metaanalyse die Aussagen
der SPRINT-Studie auch für Patientengruppen bestätigt, die in SPRINT
ausgeschlossen waren: Diabetiker und Patienten mit Schlaganfall-Anamnese. Sie sehen
einen „dringenden Bedarf für eine Revision der geltenden Leitlinien“ und
plädieren in ihrer Diskussion für einen systolischen Blutdruck-Zielwert von
< 130 mm Hg und eine Nutzen-Risiko-basierte antihypertensive
Behandlung von Patienten mit kardiovaskulären Vorerkankungen, KHK, Schlaganfall,
Diabetes, Herzinsuffizienz oder Niereninsuffizienz unabhängig von den
Ausgangs-Blutdruckwerten – es wird sogar eine blutdrucksenkende Therapie
normotensiver Patienten mit einem Ausgangsblutdruck < 130 mm Hg (!),
aber vorhandenen kardiovaskulären Risikofaktoren erwogen.
Diese weitreichenden Konsequenzen wären ein Paradigmenwechsel
nicht nur in der Hypertensiologie, sondern in der gesamten Inneren Medizin. Aus
den Ergebnissen der SPRINT-Studie und der vorliegenden Metaanalyse ergeben sich
jedenfalls zahlreiche offene Fragen:
- Wann Therapiebeginn bei welchem Risikoprofil und bei welchem Blutdruck-Ausgangswert?
- Welche Antihypertensiva?
- Wann welche Kombination beginnen?
- Nach welchen Kriterien Zielwerte differenzieren?
- Mit welcher Methode und wie häufig den Blutdruck kontrollieren?
- Neudefinition und Therapie einer „resistenten Hypertonie“?
- Bei hohem Risiko auch normotensive Patienten antihypertensiv behandeln?
In Anbetracht der signifikant häufigeren Nebenwirkungen
bei „intensiver“ Blutdrucksenkung in der SPRINT-Studie ist zu hoffen, dass die
Autoren neuer Leitlinien differenziert und mit Augenmaß auf diese Evidenzlage
und manche daraus resultierende „Expertenmeinung“ reagieren.
Fazit: Eine große
Metaanalyse zur medikamentösen Behandlung der Hypertonie ergab eine
signifikante Reduktion kardiovaskulärer Endpunkte sowie der Gesamtletalität
proportional zur Blutdrucksenkung und unabhängig von Komorbiditäten und
Ausgangsblutdruck. Sie bestätigt damit die Resultate der SPRINT-Studie – auch
für darin ausgeschlossene Patientengruppen. Eine rasche Revision der Hypertonie-Leitlinien
hin zu niedrigeren Blutdruckzielwerten (bis < 130 mm Hg systolisch
je nach Risiko-Nutzen-Abwägung) wird angekündigt. Noch sind aber neue Kriterien
für eine angemessene Risikostratifizierung als Grundlage für künftige Therapieentscheidungen
völlig offen. Vorerst raten wir zur Zurückhaltung hinsichtlich einer allzu
intensiven antihypertensiven Arzneimitteltherapie und verweisen einmal mehr auf
die Bedeutung (begleitender) nicht-medikamentöser Maßnahmen.
Literatur
- Ettehad,D., et al.: Lancet 2015;

- Wright,J.T., et al. (SPRINT = Systolic blood PRessure INterventionTrial): N. Engl. J. Med. 2015, 373, 2103
. AMB 2015, 49, 89. 
|