Dres. H. und W. aus D. erbitten eine Stellungnahme zu einem
Schreiben eines Nephrologen zu einer speziellen Indikation von neuen oralen
Antikoagulanzien (NOAK). Der Nephrologe empfahl, bei einem Patienten eine
langjährige unkomplizierte Behandlung mit Phenprocoumon wegen Vorhofflimmerns zu
beenden und auf Apixaban umzustellen, weil Vitamin-K-Antagonisten (VKA)
vermehrt zu Gefäßverkalkungen führen. Der betroffene Patient hat außerdem eine
generalisierte Arteriosklerose mit einem operierten Aneurysma der Bauchaorta
sowie eine KHK und Niereninsuffizienz im Stadium 3b. Aus diesem Schreiben ergeben
sich folgende Fragen: >> Leistet eine Behandlung mit einem VKA bei
einem niereninsuffizienten Patienten einer Gefäßsklerose Vorschub, und
profitieren niereninsuffiziente Patienten bei Indikation für eine
Antikoagulation mehr von den NOAK? <<
Antwort: >> Die langjährige Einnahme eines VKA ist tatsächlich
mit vermehrter Kalzifizierung von Gefäßen, Weichteilen und Herzklappen assoziiert.
Dies ist seit Ende der 1990er Jahre bekannt, und es gibt sowohl
pathophysiologische Erklärungen als auch Tiermodelle, die dies nahelegen (Übersicht
bei 1). Jedoch gibt es bis heute keine Belege, dass diese Kalzifizierungen auch
vermehrt zu klinischen Ereignissen wie Herzinfarkten, Schlaganfällen oder
peripheren Gefäßverschlüssen führen oder dass ein Verzicht auf VKA irgendeinen
Vorteil für die Patienten bringt (2). Daher basiert die ausgesprochene Empfehlung
einer Umstellung von VKA auf NOAK in dieser Situation allein auf theoretischen
Überlegungen. Daneben besteht bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz unter
VKA-Behandlung vermutlich auch ein erhöhtes Risiko für eine Calciphylaxie. Die
Kalziphylaxie ist ein sehr seltenes, für die Patienten jedoch oft
katastrophales Ereignis und für die behandelnden Nephrologen therapeutisch ein
schwieriges Problem. Das könnte einen gewissen Aktionismus erklären. An das
europäische Kalziphylaxieregister werden jährlich ca. 25 Fälle gemeldet. Betroffen
sind fast nur Dialysepatienten (3). Der Kalziphylaxie liegen Entgleisungen des
Kalzium-Phosphat-Stoffwechsels zugrunde mit daraus resultierender starker und
rascher Mediaverkalkung, Intimaverdickung und vermehrten thrombotischen Prozessen
mit Nekrosen. Die Behandlung mit VKA wird als „vermutlicher Risikofaktor“, der
Zusammenhang jedoch als „noch nicht ausreichend bewiesen“ angesehen (4). Etwa
die Hälfte der Betroffenen hatte zuvor einen VKA. Ob der Verzicht auf eine Behandlung
mit einem VKA solche Ereignisse verhindern kann, ist spekulativ.
Das von den Nephrologen vorgeschlagene Prozedere bei dem
geschilderten Patienten ist also theoretisch nachvollziehbar, praktisch aber
ungesichert und darüber hinaus im Widerspruch zu den gültigen Leitlinien der
europäischen kardiologischen Gesellschaft zum Vorhofflimmern. Darin wird von
NOAK bei Patienten mit einer GFR < 30 ml/Min. abgeraten (5), da
das Risiko für Blutungen mit dem Grad der Nierenfunktionseinschränkung steigt.
Letztlich müsste nachgewiesen werden, dass durch die hier vorgeschlagene
Strategie die Number needed to treat (z.B. Verhinderung von
Gefäßinterventionen, Demenz, Calciphylaxie usw.) kleiner ist als die Number
needed to harm (Blutungen). Schon zu oft haben in der Medizin scheinbar
plausible Konzepte zu erheblichen Schäden bei Patienten geführt. Daher sollten
überzeugende klinische Daten vorliegen, bevor solche therapeutischen Empfehlungen
ausgesprochen werden. Eine Umstellung von dem VKA auf ein NOAK bei dem
geschilderten Patienten wäre nur bei schlechter INR-Führung begründet
(vgl. 6). <<
Literatur
- DiNicolantonio,J., et al.: Open Heart. 2015, 2, e000300.

- Hall, R., etal. Therapeutic use of warfarin and other vitamin K antagonists. UpTodate. (Zugriff 2.12.2015).
- Brandenburg, V.

- https://www.calciphylaxis.net/de/ eu/risikofaktoren-therapieansaetze/

- Camm, A.J., et al.: Eur.Heart J. 2012, 33, 2719.

- AMB 2014, 48,96DB01
. AMB 2014, 48, 41 . AMB2013, 47, 40DB01. 
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