Fünf Jahre nach Veröffentlichung der
Rocket-AF-Studie (1, 2), der wichtigsten und größten Phase-III-Studie zur
Anwendung von Rivaroxaban bei Vorhofflimmern, kamen Zweifel an der internen
Validität der Studie auf. Nach Angaben des British Medical Journal (BMJ; 3)
wurde im Warfarin-Vergleichsarm ein unzuverlässiges Gerät zur INR-Messung
verwendet (INRatio Monitor System von Alere, vormals HemoSense). Probleme mit
der Messgenauigkeit dieses Point of Care INR-Messgerätes waren bereits seit
2002 bekannt, also vier Jahre vor Beginn der Rocket-AF-Studie. Über 18.000 Berichte
über Fehlmessungen und 14 schwerwiegende Schädigungen von Patienten lagen den
Herstellern vor. Meist wurde die INR zu niedrig gemessen, mit der Folge, dass
Warfarin zu hoch dosiert wurde. Die Fehlmessungen mit dem Gerät traten
vorwiegend bei bestimmten Störungen auf: Hämatokrit < 30% oder > 55%;
Erkrankungen, die mit erhöhten Fibrinogen-Werten einhergehen (z.B. akute oder
chronische Entzündungen) sowie Blutungen und Hämatome. Die FDA zog ihre
Zulassung des Geräts im Dezember 2014 zurück, also drei Jahre nach Publikation
der ROCKET-AF-Studie (4).
Die Autoren der ROCKET-AF-Studie sowie die beiden
Sponsoren Bayer und Johnson & Johnson wurden im September 2015 vom BMJ
angeschrieben und um eine Stellungnahme gebeten. Sie wurden u.a. nach einer
Validierung des Messgeräts gefragt und ob sie im Verlauf der Studie Kenntnis
über Probleme bei den Messergebnissen erhalten haben. Auch die beiden
Zulassungsbehörden FDA und EMA wussten bis zur Information durch das BMJ
offenbar nichts von dieser Problematik. Die EMA wurde dann aber auch von der
Bayer Pharma AG im September 2015 über die Problematik informiert.
Am 3. Februar 2016 veröffentlichte das N. Engl.
J. Med. in seiner Online-Ausgabe einen Brief der ROCKET-AF-Autoren mit einer
Post-hoc-Analyse (5). Zwei verblindete Ärzte, die nicht namentlich genannt
werden, hätten aus über 14.200 randomisierten Patienten 5.294 (37%) identifiziert,
bei denen nach dem FDA-Recall-Text (vgl. 4) ein Risiko für Fehlmessungen
mit dem verwendeten Messgerät bestand. Die Analyse der Studienergebnisse dieser
Patienten zeige keine erhöhte Blutungswahrscheinlichkeit in der
Warfarin-Gruppe.
Am 5. Februar hat sich dann auch das Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP) der EMA, das in einer erster
Mitteilung noch angekündigt hatte, dass man die Studiendaten nachanalysieren und
einen Vergleich zwischen den Werten der Point of Care-Messungen und denen aus
einem Zentrallabor nachfordern werde, beschwichtigend geäußert (6). In einer
kurzen summarischen (und bei der Datenfülle überraschend schnellen) Erklärung teilt
der CHMP mit, dass die eventuell fehlerhaften INR-Messungen insgesamt nur einen
marginalen Einfluss auf die Studienergebnisse der Studie hätten und die Einschätzung
zur Sicherheit und zum Verhältnis von Nutzen und Risiken von Rivaroxaban bei
Vorhofflimmern unverändert bleibe. Eine ausführliche Stellungnahme (assessment
report) soll in Kürze folgen.
Nach unserer Auffassung haben die
Studienautoren und -sponsoren einen gravierenden Fehler begangen, der nicht nur
schwer erklärlich ist, sondern sie auch disqualifiziert, diesen federführend
aufzuklären. Neben der Offenlegung und Nachanalyse aller Studiendaten durch
unabhängige Experten muss nun die Frage geklärt werden, ob die Verantwortlichen
von den Problemen mit dem Messgerät wussten und wenn ja, ab wann. Auch den Gutachtern
des N. Engl. J. Med. und den Zulassungsbehörden ist dieser Fehler im
Studiendesign entgangen. Daher ist deren Objektivität ebenfalls anzuzweifeln. In
diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass der Kardiologe Robert Califf, letzter Autor
der ROCKET-AF-Studie und seit 2015 stellvertretender FDA-Chef, kürzlich auf
Vorschlag von Barack Obama vom US-Senat als neuer Leiter der FDA nominiert
wurde (7).
Literatur
- Patel,M.R., et al. (ROCKETAF = Rivaroxaban Once daily oral direct factor Xa inhibition Comparedwith vitamin K antagonism for prevention of stroke and Embolism Trialin Atrial Fibrillation): N. Engl. J. Med. 2011, 365, 883.
- AMB2014, 48, 96DB01
. AMB 2014, 48, 41 . AMB 2011, 45, 73. 
- Cohen,D.: BMJ 2016, 352, i575.
- http://www.fda.gov/Safety/MedWatch/SafetyInformation/ SafetyAlertsforHumanMedicalProducts/ ucm396324.htm

- http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMc1515842

- http://www.ema.europa.eu/ema/...

- http://www.foodsafetynews.com/ 2016/01/senate-committee-approves-robert-califf-as-fda-commissioner/#.VreeY5X2afA
(Zugriff am 7.2.2016)
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