Zusammenfassung:
Schlaflosigkeit (Insomnie) ist im Alter ein sehr häufiges Problem, und gerade
ältere Menschen werden deswegen vorwiegend medikamentös behandelt.
Nicht-medikamentöse Behandlungsoptionen, wie z.B. kognitive Verhaltenstherapie,
sind ebenfalls wirksam, werden aber wenig genutzt. Typische „Schlafmittel“ (meist
Agonisten des Benzodiazepinrezeptors) und andere sedierende Pharmaka sollten
bei alten Menschen wegen des ungünstigen Verhältnisses von Nutzen und Risiken prinzipiell
sehr zurückhaltend eingesetzt werden, d.h. nach Prüfung, ob eine medikamentöse
Behandlung die beste Wahl ist, und wenn ja, dann zeitlich begrenzt. Erscheint
die Verordnung eines Schlafmittels indiziert, müssen die Betroffenen über Dosierung,
Wirkungen sowie potenzielle Neben-, Wechsel- und Nachwirkungen gut aufgeklärt
werden. Dazu gehört auch die Information über die zeitliche Begrenzung der
Therapie. Die Auswirkungen einer solchen Therapie sollten im Rahmen von
Konsultationen ärztlich beobachtet werden. Die Art der Schlafstörung sowie somatische
und psychische Ursachen sollten differenzialdiagnostisch abgeklärt und – falls
möglich – ursächlich behandelt werden.
Schlaflosigkeit
(Insomnie, unzureichender Nachtschlaf) liegt definitionsgemäß vor, wenn über
eine verkürzte Dauerschlafzeit berichtet wird: ≤ 6 Stunden pro
Nacht ≥ 3 mal/Woche über zumindest einen Monat. In der
Allgemeinbevölkerung zählt Schlaflosigkeit zu den häufigsten gesundheitlichen Beschwerden.
Sie nimmt jenseits des 50. Lebensjahres deutlich zu, wobei Frauen häufiger
betroffen sind. 20-40% der über 65-jährigen klagen darüber. Dabei ändert sich
die altersphysiologische Schlafarchitektur, es kommt zu einer stärkeren Fraktionierung
der Schlafphasen, und Tiefschlafphasen werden seltener. Mit zunehmendem Alter werden
auch verschiedene Krankheiten häufiger, die den Nachtschlaf beeinträchtigen
können, z.B. Koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz, Hypertonie, Diabetes,
obstruktive Schlafapnoe, Restless legs, Depression, Prostatahyperplasie und
kognitive Beeinträchtigungen (1). Neuere Forschungsergebnisse weisen auf eine
Assoziation von Schlafstörungen und der Abnahme kognitiver Leistungen hin – und
vice versa (2).
Obwohl
aktuelle Empfehlungen die nicht-medikamentösen Therapieverfahren (Aufklärung,
kognitive Verhaltenstherapie, Schlafhygiene) in den Vordergrund stellen (3),
werden sie selten praktiziert und die Insomnie bei alten Menschen meist rein
medikamentös behandelt.
Ein ideales
Schlafmittel hätte folgende Eigenschaften: rasche Wirkung, ausreichende
Wirksamkeit ohne Beeinträchtigung des Schlafprofils, minimale Nebenwirkungen
und Toxizität, geringes Interaktionspotenzial, kein Toleranz- und
Abhängigkeitsrisiko sowie fehlende Sedierung am folgenden Tag. Ein Arzneimittel,
das alle diese Eigenschaften erfüllt, steht jedoch nicht zur Verfügung. Arzneimittel,
die nur schlafanstoßend wirken, verändern bereits den physiologischen
Schlafablauf. Daneben finden sich nahezu obligat – abhängig auch von Halbwertszeit
(HWZ) und Verteilungsvolumina – sog. Hangover-Effekte, die bei alten Menschen
auch die kognitive Leistungsfähigkeit beeinträchtigen sowie das Sturzrisiko
erhöhen.
Zur Behandlung
von Schlafstörungen werden Wirkstoffe aus mehreren Gruppen angewendet:
Benzodiazepine und Benzodiazepin-Analoga, Antihistaminika, Melatonin,
Phytopharmaka sowie – meist Off-label – sedierende Antidepressiva und Antipsychotika.
Die am
häufigsten verordneten Schlafmittel sind Benzodiazepinrezeptor-Agonisten. Sie
umfassen neben den klassischen Benzodiazepinen auch die Benzodiazepin-Analoga
(sog. Z-Substanzen: Zaleplon, Zolpidem, Zopiclon), die auf Grund einer
Interaktion mit dem GABA-A-Rezeptor im Gehirn komplex wirken.
Ältere
Studien zeigen für Benzodiazepine (darunter Brotizolam, Diazepam, Estazolam,
Flunitrazepam, Flurazepam, Midazolam, Temazepam, Triazolam) eine
Verbesserung von Schlaflatenz (Einschlafzeit) und Schlafdauer (4), allerdings
hat diese Stoffgruppe zahlreiche Nebenwirkungen. Bedingt durch die im Alter
physiologischerweise verzögerte Elimination von Arzneimitteln können die
Wirkungen von Benzodiazepinen deutlich verlängert sein. Dies beeinträchtigt
möglicherweise die Psychomotorik und kognitive Funktionen und trägt zu Stürzen
und Tagesmüdigkeit bei. Bereits bei geringer Dosierung von Benzodiazepinen steigt
das Risiko einer hüftnahen Fraktur um 50% (5). Substanzen mit langer HWZ und
aktiven Metaboliten (u.a. Nitrazepam, Flunitrazepam, Diazepam) sind in dieser
Hinsicht als besonders problematisch einzustufen. Kurz- und mittellang wirkende
Benzodiazepine (u.a. Brotizolam, Triazolam, Lorazepam) führen zwar theoretisch
zu einer geringeren Sedierung am Folgetag, können aber die subjektive
Schlafqualität mindern. Auch ein ungünstiger Einfluss auf Inzidenz und Dauer
von Delirien ist zu beachten. Schlaflosigkeit generell nach Ein- und
Durchschlafstörung zu differenzieren – als Entscheidungshilfe für die Auswahl
des Schlafmittels entsprechend seiner HWZ – ist eher theoretisch, denn die Betroffenen
klagen häufig sowohl über Einschlaf- als auch Durchschlafstörungen. Die meisten
Benzodiazepine finden sich auf den Listen der im Alter potenziell inadäquaten
Medikamente (PRISCUS-Liste; 6, 7), ausgenommen sind Lormetazepam und
Brotizolam in sehr niedriger Dosis.
Wegen des
Risikos von Abhängigkeit und Gewöhnung soll die Einnahme von Benzodiazepinen
zulassungsgemäß eine Kurzzeitbehandlung sein (maximal 4 Wochen). Für eine
längere Anwendung liegen nur wenige Studien mit Benzodiazepin-Analoga vor. So
konnte für Eszopiclon und Zolpidem in plazebokontrollierten Studien eine Wirksamkeit
auch über eine Zeit von sechs Monaten hinaus gezeigt werden (8, 9), wobei
eine Kombination mit kognitiver Verhaltenstherapie (CBT) vorteilhaft ist. Die
Benzodiazepin-Analoga haben eine den Benzodiazepinen ähnliche schlaffördernde
Wirkung, allerdings sind die antikonvulsiven und muskelrelaxierenden Wirkungen
geringer. Das Risiko für Stürze ist aber ebenfalls erhöht (10). Eine
Meta-Analyse fand insgesamt auch keine signifikanten Unterschiede in der
Häufigkeit von Nebenwirkungen im Vergleich zu Benzodiazepinen (11).
Zusammenfassend ist die Nutzen-Risiko-Relation der Benzodiazepinrezeptor-Agonisten
bei älteren Menschen als ungünstig einzuschätzen (11). Sie sollten daher nur
bei erheblichen akuten Schlafstörungen und nur über einen kurzen Zeitraum
verordnet werden.
Antihistaminika werden
in der Indikation Insomnie zunehmend seltener verordnet, obwohl für
Diphenhydramin ein mäßig positiver Effekt auf das Zielsymptom publiziert wurde.
Auch bei alten Menschen wurde in einer randomisierten, plazebokontrollierten
Studie ein positiver Effekt gezeigt (12). Eine prospektive Studie mit über
1.600 Teilnehmern und einer Nachbeobachtung von 10 Jahren fand allerdings,
dass die regelmäßige Einnahme von Diphenhydramin mit einer schlechteren
kognitiven Leistungsfähigkeit in der Mini Mental State Examination (MMSE)
assoziiert ist (13). Anticholinerge Effekte wie Mundtrockenheit, Verstopfung
sowie Sedierung auch tagsüber tragen zum negativen Gesamtprofil des Wirkstoffs
bei, der somit bei älteren Menschern nicht zu empfehlen ist.
Melatonin in
retardierter Form ist zugelassen zur Behandlung der primären Schlaflosigkeit
bei Personen > 55 Jahre. In zwei doppelblinden Zulassungsstudien
wurden für die Parameter Schlafqualität und Befinden nach dem Aufwachen zwar signifikante
Unterschiede im Vergleich zu Plazebo gefunden. Die Wirkung ist allerdings recht
schwach. In einer randomisierten kontrollierten Studie (RCT) mit
354 Patienten ≥ 55 Jahren verkürzte sich die Einschlafzeit
im Vergleich zu Plazebo um etwa 11 Minuten (Ausgangswert: 65 Min.;
mit Melatonin: -24 Min., mit Plazebo: -13 Min.; 14). Unter Behandlung
mit Melatonin wurde bisher kaum über schwere Nebenwirkungen oder
Entzugsprobleme berichtet (15). Jedoch gibt es neuere Meldungen über
Halluzinationen (16). Die Wirkung scheint sich bei längerer Einnahme nicht
abzuschwächen. Studien nach der Zulassung („Postmarketing Surveillance“)
belegen zudem keine Nebenwirkung nach dem Absetzen.
Für Phytopharmaka
(z.B. Baldrian, Hopfenextrakt, Melisse, Passionsblume) kann aufgrund der
Datenlage keine allgemeine Einschätzung oder Empfehlung gegeben werden. Zu Baldrian
gibt es einige kontrollierte Studien, die auf eine leichte Verbesserung der
Schlafqualität ohne wesentliche Nebenwirkungen hinweisen (17).
Sedierende
Antidepressiva sind grundsätzlich nicht zur Therapie bei primärer
Schlaflosigkeit zugelassen, werden aber trotzdem häufig in dieser Indikation
verordnet. Die Wirksamkeit und Sicherheit ist bei älteren Patienten bisher
nicht ausreichend evaluiert. In kleinen Studien konnte eine schlaffördernde
Wirkung von Mirtazapin, Trazodon, Opipramol und Doxepin gezeigt werden (18).
Mirtazapin hat
neben den antidepressiven auch sedierende Eigenschaften, die über Histamin-H1-Rezeptoren
bereits in niedriger Dosierung (15 mg) vermittelt und für die Behandlung
der Schlaflosigkeit genutzt werden. Hauptnebenwirkungen sind auf Grund der
langen HWZ morgendlicher Hangover und Tagesmüdigkeit. Durch anticholinerge
Effekte kommt es häufig zur Mundtrockenheit. Die bei jüngeren Menschen oft
problematische Zunahme des Körpergewichts kann bei der im Alter häufigen
Malnutrition auch als Vorteil gesehen werden.
Bei Trazodon
sind als Nebeneffekte morgendliche Sedierung und orthostatische Hypotension zu
beachten, vor allem bei höherer Dosierung. Der Wirkstoff wird auch häufig zur
Behandlung von Schlafstörungen im Rahmen von Demenzerkrankungen verwendet. Ein
Cochrane Review konstatiert eine „gewisse“ Evidenz für die Wirksamkeit von 50 mg
Trazodon in dieser Indikation, fordert aber ausreichend gepowerte Studien, um
diesen Effekt besser belegen zu können (19).
Doxepin hat eine
FDA-Zulassung zur Behandlung der Schlaflosigkeit. In einem RCT wurde ein
positiver Effekt bei Schlafstörungen älterer Patienten gefunden (20).
Allerdings wird der Nutzen bei alten Menschen durch häufigere kardiovaskuläre,
urogenitale und gastrointestinale Nebenwirkungen eingeschränkt. Doxepin wurde
daher auch als potenziell inadäquates Medikament eingestuft; dies gilt im
Übrigen auch für andere ältere Antidepressiva, u.a. für Amitriptylin und
Trimipramin (6, 7).
Wegen der
schlaffördernden und sedierenden Wirkungen werden auch manche Antipsychotika
(u.a. Prothipendyl, Melperon, Pipamperon, Quetiapin) außerhalb des Zulassungsbereichs
zur Behandlung von Schlafstörungen verwendet. Die Wirkung ist jedoch nicht
ausreichend belegt; außerdem wurde über höhere Letalität berichtet, besonders
bei Demenzkranken (21).
Quetiapin,
derzeit bei Schlafstörungen häufig verwendet, wirkt sedierend über Histamin-H1-
und Serotonin2a-Rezeptoren. Nur in wenigen Studien wurde Quetiapin
mit zugelassenen Schlafmitteln verglichen oder an Patienten mit Schlaflosigkeit
und alterstypischen Komorbiditäten untersucht. Eine aktuelle Übersicht kommt zu
dem Schluss, dass keine verlässlichen Daten für Quetiapin zur Behandlung von Schlaflosigkeit
vorliegen. Wegen der Nebenwirkungen, darunter anhaltende Sedierung und erhöhtes
Sturzrisiko, wird von der längerfristigen Verordnung abgeraten (22).
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