Es gibt viele Hinweise darauf, dass die regelmäßige
Einnahme von Antipsychotika (AP) und Antidepressiva (AD) bei älteren Menschen
mit einem erhöhten Sterberisiko verbunden ist (1-5). Die am meisten genannte
Erklärung ist eine elektrophysiologische Interaktion von Psychopharmaka mit den
Herzmuskelzellen. Diese kann die Depolarisation verlängern (Long-QT-Syndrom)
und zu lebensgefährlichen Torsade-de-pointes-Tachykardien führen (TdP; 6). Es
wurden aber auch andere kardiotoxische Mechanismen von Psychopharmaka
beschrieben, z.B. Myokarditis und Kardiomyopathie. Das große Problem ist, dass
diese Nebenwirkungen oft nicht erkannt werden, weil die meisten plötzlichen
Todesfälle außerhalb von Krankenhäusern auftreten und kein Zusammenhang mit
einer Psychopharmakamedikation hergestellt wird bzw. hergestellt werden kann.
Eine schwedische Gruppe hat nun mit einer großen
retrospektiven Fall-Kontroll-Studie versucht, das Ausmaß dieser Problematik zu
erfassen (7). In Schweden existieren vernetzte nationale Patientenregister, die
solche epidemiologische Studien ermöglichen. Ziel der Studie war es, die
Wahrscheinlichkeit eines Todes außerhalb eines Krankenhauses in Abhängigkeit
von einer Psychopharmaka-Einnahme zu quantifizieren. Als „Fälle“ dienten
Menschen ≥ 65 Jahre, die zwischen Januar 2008 und Dezember 2013
außerhalb des Krankenhauses gestorben waren (Indexereignis; n = 286.092),
und als „Kontrollen“ jeweils fünf Menschen gleichen Geschlechts, die zum
Zeitpunkt des Indexereignisses im gleichen Alter waren (n = 1.430.460).
Todesfälle durch Suizid oder Vergiftung wurden ausgeschlossen.
Aus den Health Records wurden für Fälle und Kontrollen
alle in den drei Monaten vor dem Indexereignis verschriebenen Arzneimittel
abgefragt. Zudem wurden für eine Risikoadjustierung alle Diagnosen sowie Arzt-
und Krankenhauskontakte erfasst. Die Medikamente wurden hinsichtlich ihrer
Proarrhythmiegefahr in vier Risikoklassen eingeteilt: 1. gesichertes
Risiko für TdP; 2. mögliches TdP-Risiko; 3. TdP-Risiko unter
bestimmten Umständen (z.B. hohe Dosis oder Kombination mit bestimmten Interaktionspartnern);
4. TdP-Risiko bisher nicht beschrieben. Diese Einteilung erfolgte an Hand
der CredibleMeds Liste des Arizona Center for Education on Research on
Therapeutics (8). Diese Datenbank basiert auf dem Adverse Event Reporting
System (AERS) der amerikanischen Arzneimittelbehörde (FDA) und beinhaltete im
Januar 2015 insgesamt 135 Arzneimittel (s. Tab. 1).
Mittels logistischer Regressionsanalyse wurde schließlich
das Risiko errechnet, unter der Medikation mit einem AD oder AP zu sterben. Das
multivariate Rechenmodell berücksichtigte u.a. den Ausbildungsstatus, die Zahl
der Arztkontakte und Medikamente, die Einnahme anderer TdP-verursachender
Arzneimittel und eine Vielzahl von Komorbiditäten, beispielsweise Krebs,
Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz, COPD, Nierenerkrankungen u.a.
Ergebnisse:
Das mittlere Alter der Patienten (Fälle und Kontrollen) betrug 83,9 Jahre,
57% waren Frauen. Fälle und Kontrollen unterschieden sich in vielen klinischen
Parametern zu Ungunsten der Fälle. Die mittlere Zahl der Medikamente betrug 5,6
bei den Fällen bzw. 3,8 bei den Kontrollen. 25% der Fälle und 11% der
Kontrollen hatten eine AD-Dauerverordnung und 8,2% bzw. 2% eine
AP-Dauerverordnung. Die häufigsten AD waren selektive
Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI: Citalopram, Escitalopram, Sertralin,
Fluoxetin, Paroxetin) und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (SNRI: Mirtazapin,
Venlafaxin). 48% der AD befanden sich in der Risikoklasse 1, 26% in Klasse 2,
21% in Klasse 3 und 5% in Klasse 4. Unter den AP dominierten die atypischen
(Risperidon, Olanzapin, Quetiapin). 11% der AP stammten aus TdP-Risikoklasse 1,
70% aus Klasse 2, keines kam aus Klasse 3 und 19% aus Klasse 4.
Die Ergebnisse der Regressionsanalyse sind in Tab. 2
dargestellt. Demnach sind AP prinzipiell als riskanter einzuschätzen als AD (adjustiertes
Risikoverhältnis = adjustierte Odds ratio = adOR: 2,98 vs. 1,62). Besonders AP
der Risikoklasse 1 sind mit einem mehr als vierfach erhöhten Sterberisiko assoziiert
(adOR: 4,57). Aber auch bei den AP der Klasse 4 (keine TdP bekannt) scheint
das Sterberisiko noch doppelt so hoch zu sein (adOR: 2,14). Möglicherweise
haben diese AP ein noch unbekanntes TdP-Potenzial oder sind aus anderen Gründen
mit einem erhöhten Sterberisiko assoziiert (z.B. Atemdepression,
Kardiomyopathie). Dabei scheint Haloperidol besonders problematisch zu sein
(adOR: 4,63), gefolgt von Risperidon (adOR: 2,93), Olanzapin (adOR: 2,02) und
Quetiapin (adOR: 1,61). Bemerkenswert ist, dass das Risiko von Lithium als sehr
niedrig berechnet wurde (adOR: 0,75).
Unter den AD wurde das höchste Sterberisiko für
Mirtazapin (adOR: 1,67) und Citalopram (adOR: 1,56) ermittelt, gefolgt von
Sertralin (adOR: 1,37), Escitalopram (adOR: 1,15), Venlafaxin (adOR: 1,15),
Amitryptilin (adOR: 1,1) und Paroxetin (adOR: 1,08). Für weitere 20 AD wurde
kein erhöhtes Risiko gefunden. Bei Mianserin, für das bisher keine TdP
ausgewiesen ist (Klasse 4), wurde eine adOR von 1,12 errechnet. Hinweise
darauf, dass unter den AD besonders Mirtazapin mit einer erhöhten
kardiovaskulären Letalität assoziiert ist, gibt es bereits aus einer früheren Studie
(9), und bei Citalopram haben Berichte über TdP-Tachykardien 2011 zu einer
Beschränkung der Dosis auf maximal 40 mg/d bzw. 20 mg/d bei älteren
Patienten geführt (10).
Diese Zahlen lassen sich anhand eines einfachen
Rechenbeispiels besser einordnen: Wenn in einer Bevölkerung mit 10 Mio.
Einwohnern der Anteil der über 65-Jährigen 20% beträgt (2 Mio.) und unter
diesen die Sterbewahrscheinlichkeit bei 10% pro Jahr liegt, dann sind in fünf
Jahren etwa 850.000 Todesfälle zu erwarten. Wenn 30% von den 2 Mio.
Psychopharmaka erhalten, dann steigt unter der Annahme eines kausalen
Zusammenhanges mit der Medikation und einer adjustierten OR von 2 die Zahl der
Todesfälle auf über 1 Mio., was einem Plus von mehr als 150.000
Todesfällen in fünf Jahren entspricht.
In der Diskussion weisen die Autoren noch darauf hin,
dass das TdP-Risiko nicht eindeutig mit dem Ausmaß der QT-Zeitverlängerung
korreliert ist und vice versa. Daher schließt eine normale QT-Zeit im EKG das
Risiko für einen plötzlichen Herztod nicht aus, ebenso wie eine verlängerte
QT-Zeit nicht zwangsläufig zu einer Arrhythmie führt. Dies führt nach unserer
Auffassung zu einigen wichtigen Konsequenzen im Umgang mit Psychopharmaka:
1. Sie dürfen generell und speziell bei alten und kardialen
Risikopatienten nur nach sehr strenger Indikation verordnet werden; 2. Bei
der Auswahl der Wirkstoffe ist deren Kardiotoxizität zu beachten,
3. Patienten und ihre Angehörige sind auf das kardiale Risiko von
Psychopharmaka hinzuweisen; 4. Mehrere Medikamente mit TdP-Risiko dürfen
nicht miteinander kombiniert werden; und 5. Ältere Patienten, die
Psychopharmaka einnehmen, müssen regelmäßig auf kardiale Nebenwirkungen überwacht
werden (Wassereinlagerung, EKG) und bei suspekten Symptomen (Schwindel, unklare
Stürze, Atemnot) weiter abgeklärt werden (z.B. mittels Langzeit-EKG oder im
Schlaflabor mit der Polysomnografie).
Fazit: Die
Einnahme von Psychopharmaka ist nach dieser Registerstudie bei alten Menschen mit
einem erhöhten Sterberisiko assoziiert. Dabei erwiesen sich Antipsychotika als risikoreicher
als Antidepressiva. Besonders Haloperidol war gefährlich, aber auch die
neueren, atypischen Antipsychotika verdoppelten statistisch das Sterberisiko. Antidepressiva
scheinen ebenfalls das Sterberisiko zu erhöhen, besonders Mirtazapin und
Citalopram. Auch wenn diese Ergebnisse keine Kausalität beweisen und eine Kohortenstudie
zu SSRI mit deutlich jüngeren Patienten kein erhöhtes Arrhythmie- oder
kardiovaskuläres Risiko ergab (11), so mahnen sie doch zu einem zurückhaltenden
Einsatz von Psychopharmaka. Die Wirkstoffe sollten entsprechend ihrem
Risikoprofil kritisch ausgewählt und – besonders wichtig – die Patienten ärztlich
sorgfältig überwacht werden.
Literatur
- Kales, H.C., etal.: Am. J. Psychiatry 2007, 164, 1568.

- Gill, S.S., etal.: Ann. Intern.Med. 2007, 146,775.

- Hartikainen, S.,et al.: Int. Clin. Psychopharmacol. 2005, 20, 227.

- Coupland,C., et al.: BMJ 2011, 343, d4551.

- AMB2011, 45, 89.

- AMB2004, 38, 49.

- Danielsson,B., et al.: Br. J. Clin. Pharmacol. 2016, 81, 773.

- https://www.crediblemeds.org

- Leonard,C.E., et al.: Pharmacoepidemiol. Drug Saf. 2011, 20, 903.

- http://www.akdae.de/Arzneimittelsicherheit/RHB/Archiv/ 2011/20111031.pdf

- Coupland, C., et al.: BMJ 2016, 352,i1350.
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