Im Januar 1967 erschien die erste Ausgabe unserer
Zeitschrift, und mit dieser sind es bisher 596 Ausgaben, alle im Westkreuz
Verlag. Der Gründer und erste Herausgeber des ARZNEIMITTELBRIEFS, der Berliner
Internist Herbert Herxheimer schrieb 1970 im Spiegel (1) zur Notwendigkeit
einer Industrie-unabhängigen ärztlichen Fortbildung u.a. Folgendes: „Es
ergibt sich, dass die gesamte medizinische Presse … durch die massenhaften
Anzeigen der pharmazeutischen Industrie … unterhalten wird und dadurch von ihr
mehr oder weniger abhängig ist. Ist es verwunderlich, wenn sich im
Contergan-Prozess herausstellt, dass die Veröffentlichung von schädlichen
Nebenwirkungen in einer Zeitschrift zurückgestellt wurde? … Dazu kommt, dass …
die großen Fortbildungskongresse … immer mehr von der pharmazeutischen Industrie
abhängig werden …. Es lässt sich vermuten, dass die pharmazeutische
Industrie zu den meisten Kongressen und Tagungen erhebliche finanzielle
Beiträge leistet, aus denen zum Beispiel die Reise- und Unterhaltskosten der Vortragenden
bezahlt werden. Auch die Preispolitik der Industrie bedarf der Nachprüfung. Für
viele Substanzen, deren Patent abgelaufen ist, gibt es gleichwertige …
Präparate“.
Scheinbar hat sich an der zugrundeliegenden Problematik der
Beeinflussung in den zurückliegenden 50 Jahren wenig geändert. Allerdings haben
sich durch neue Medien die technischen Möglichkeiten fortentwickelt, und die
Methoden der Beeinflussung sind breiter und subtiler geworden. Heute sind über
5.000 medizinische Journale in PubMed gelistet, und täglich erscheinen dort
über 100 neue Studien. Es gibt zwar Regeln und Versuche von Kontrollen (Peer-review-Prozesse,
Deklarationen von Interessenkonflikten) für diese Publikationen, sie werden aber
immer wieder umgangen. Da die Originaldaten aus den Studien oft von
pharmazeutischen Unternehmern als vertrauliches Firmeneigentum betrachtet
werden, können sie mitunter nur sehr mühsam von unabhängigen Experten überprüft
werden. Der ökonomische Druck auf die Hersteller ist weiterhin sehr hoch. Marketingabteilungen
sowie Investoren haben das Sagen. Auch heute sind deshalb Manipulationen bei
der Planung und Durchführung von Studien und der Präsentation von Ergebnissen
an der Tagesordnung. P.A. Ioannidis schreibt in einem sehr lesenswerten Aufsatz
zur Krise der evidenzbasierten Medizin, es sei ein Kardinalfehler,
der Industrie die Beweisführung für den Wert ihrer eigenen Produkte zu
überlassen (2). Diesem Fehler entgegenzuwirken, ist Aufgabe von Herausgebern
medizinischer Zeitschriften, von Fachgesellschaften und ärztlichen
Fortbildungsorganisationen. Daher müssen diese Institutionen unabhängig sein
von der Industrie. Leider ist oft das Gegenteil der Fall, und viele Ärzte
finden nach wie vor nichts Anrüchiges daran, wenn ihre Fortbildung von der Industrie
organisiert wird. Hier ist ein grundsätzlicher Sinneswandel notwendig - heute
mehr denn je. Auch die Zulassungsbehörden und Institutionen des Health
Technology Assessment, wie z.B. das IQWIG oder die Ludwig Boltzmann Gesellschaft
spielen eine sehr wichtige Rolle bei der Wahrheitsfindung, dem
Verbraucherschutz und dem Schutz vor Profitsteben der pharmazeutischen
Unternehmer.
Nochmals sei Herxheimer aus dem Jahre 1970 zitiert: „So
kann es nicht mehr weitergehen. Wir Ärzte können nicht weiter in einer
Atmosphäre leben, in der die Psychologie des "Weißen Riesen"
herrscht, der jeden Tag durch einen noch weißeren Riesen abgelöst wird. Die
Technik des kaufmännischen Wettbewerbs darf nicht unbeschränkt auf die
Arzneimittel übertragen werden, die die Krankheit bekämpfen sollen und bei
deren Anwendung objektive Maßstäbe angelegt werden müssen.“
Auch DER ARZNEIMITTRELBRIEF kann nicht alle „weißen Riesen“
(ein viel und aggressiv beworbenes Waschmittel aus den 70er und 80er Jahren)
studieren und alle Fehler und störenden Einflussfaktoren in den Publikationen
erkennen. Wir sehen unsere Aufgabe vielmehr darin, die vorhandenen
Informationen zu einzelnen Therapien aus der kritischen Sicht von unabhängigen,
erfahrenen, klinisch tätigen Ärzten zu beurteilen und für unsere Leser im Sinne
der Fortbildung aufzubereiten.
Wir möchten unser Jubiläum zum Anlass nehmen, allen
Leserinnen und Lesern für ihr Vertrauen und oft jahrzehntelange Treue zu
danken. Zugleich möchten wir Sie zu unserem Symposium zum Thema
„Arzneimittelinnovationen: Nutzen, Schaden, Profit“ am 15.10.2016 um 10.00 Uhr
ins Kaiserin-Friedrich-Haus, Robert-Koch-Platz 7, 10115 Berlin-Mitte einladen.
Literatur
- http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44418334.html

- Ioannidis, J.P.: J.Clin. Epidemiol. 2016, 73, 82
. Vgl. AMB 2016, 50, 32DB01. 
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