Zusammenfassung:
Eine aktuelle Metaanalyse ergibt Hinweise darauf, dass bei der medikamentösen
Therapie von Patienten mit Typ-2-Diabetes bedeutsame Plazeboeffekte auf „harte
Endpunkte“ wie Gewichtsreduktion und HbA1c-Werte bestehen. Dabei verhalten sich
die Plazebowirkungen in ihrer Art gleichsinnig wie die Wirkungen des
Antidiabetikums. Das gilt auch für die wirkstoffspezifischen Nebenwirkungen.
Die Plazebowirkungen werden offenbar durch die subjektive Erwartungshaltung und
außerdem von der Art und Intensität der Plazebo-Applikation beeinflusst,
beispielsweise größerer Effekt bei häufigeren Injektionen. Die Ergebnisse
unterstreichen erneut, wie wichtig es ist, bei der Prüfung von Wirkstoffen
angemessene Plazebo-, Sham- oder Verum-Kontroll-Gruppen mitzuführen und für
eine gute Verblindung zu sorgen.
Plazeboeffekte in der Medizin sind ein spannendes
Thema. Die Effekte basieren größtenteils auf Erwartungen der Patienten und ihrer
Behandler und werden auch vom Preis, von der Art der Applikation sowie von Form
und Farbe der Arzneimittel beeinflusst (1-3). Auch die Wirkungen einiger
invasiver Maßnahmen, wie beispielsweise die renale Sympathikusdenervierung,
scheinen zum Teil auf ausgeprägten Plazeboeffekten zu beruhen (4).
Bislang gibt es keine größeren Untersuchungen zum
Ausmaß von Plazebowirkungen bei der Behandlung von Patienten mit Typ-2-Diabetes.
Appetit und Sättigungsgefühl könnten durch Plazeboeffekte beeinflusst sein und
dadurch auch der Gewichtsverlauf und die sog. glykämische Kontrolle. In den letzten
Jahren sind eine Reihe neuer Antidiabetika zur Behandlung des Typ-2-Diabetes
getestet und zugelassen worden. Einige senken signifikant das Körpergewicht.
Besonders die s.c. injizierbaren Glucagon-like peptide-1-Rezeptor-Agonisten
(GLP-1-RA) und die oral einzunehmenden Hemmer des Natrium(Sodium)-Glukose-Transporters
2 (SGLT2I) führen zu einer signifikanten Gewichtsabnahme von ca. 4-5 kg
bzw. 2-3 kg über 1-2 Jahre (5, 6). Dagegen senken die oral
einzunehmenden Dipeptidyl-Peptidase-4-Inhibitoren (DPP4I) das Körpergewicht
nicht (5).
Eine Gruppe von Internisten aus Nijmegen/Niederlande
hat nun in einem systematischen Review mit Metaanalyse das Ausmaß des
Plazeboeffekts in den randomisierten kontrollierten Studien (RCT) mit
Arzneimitteln aus den drei genannten Wirkstoffgruppen überprüft (7). Ihre
Hypothese war, dass die Plazebowirkung in Qualität und Quantität der Wirkung
des aktiven Comparators (Verums) folgt. Sie postulierten, dass eine Behandlung
mit einem zu injizierenden Plazebo-GLP-1-RA eine gleichsinnige und damit die
größte Wirkung auf das Körpergewicht und den HbA1c-Wert hat. Entsprechend
sollte unter Plazebo-DPP4I kein Effekt auf Gewicht und HbA1c nachweisbar sein
und unter Plazebo-SGLT2I ein intermediärer Effekt.
Zur Prüfung dieser Hypothese führten die Autoren eine
umfassende Literatursuche in PubMed, EMBASE sowie dem Cochrane Central Register
of Controlled Trials durch (Stichtag 31.8.2014). Es wurden plazebokontrollierte
RCT an Erwachsenen ausgewählt, bei denen das Gewicht und/oder HbA1c als
primärer Endpunkt nach 24-30 Wochen angegeben waren. Ausgeschlossen wurden u.a.
Studien, bei denen im Plazeboarm ein anderes Antidiabetikum als Metformin,
Sulfonylharnstoff oder ein Thiazolidin erlaubt war oder eine nicht
medikamentöse Intervention im Protokoll stand (z.B. Training). Primärer
Studienendpunkt war die Veränderung des Gewichts unter Plazebo-GLP-1-RA im
Vergleich zu Plazebo-DPP4I bzw. zu Plazebo-SGLT2I.
Ergebnisse: 67 RCT wurden in die Metaanalyse
eingeschlossen. 18 testeten einen GLP-1-RA (Exenatid, Liraglutid, Lixisenatid,
Dulaglutid, Taspoglutid), 34 einen DPP4I (Sitagliptin, Vildagliptin,
Linagliptin, Saxagliptin, Alogliptin) und 15 einen SGLT2I (Dapagliflozin,
Canagliflozin, Empagliflozin). Die Studien umfassten über 29.000 Patienten
(durchschnittlich 443 pro Studie, Spanne 165-1.058). 9.840 Patienten erhielten ein
Plazebo (2.522 Plazebo-GLP-1-RA; 5.290 Plazebo-DPP4I; 2.028 Plazebo-SGLT2I).
Bei den meisten RCT erfolgte eine Therapie mit den erlaubten oralen
Antidiabetika (s.o.).
Mit Plazebo-GLP-1-RA kam es innerhalb von rund einem
halben Jahr zu einer statistisch signifikanten durchschnittlichen Gewichtsabnahme
von 670 g (95%-Konfidenzintervall = CI: -1030 g bis -310 g). Dabei
hatten die „kurzwirksamen“ und daher öfter zu injizierenden Plazebo-GLP-1-RA einen
größeren Effekt auf das Gewicht als die „langwirksamen“ Plazebo-GLP-1-RA (-760 g
vs. -320 g). Mit Plazebo-SGLT2I wurde ebenfalls eine signifikante
Gewichtsabnahme um im Durchschnitt 480 g beobachtet (CI: -810 g bis -150 g).
Die Gewichtsabnahme unter Plazebo-DPP4I betrug im Mittel 310 g und war
nicht signifikant (CI: -640 g bis +10 g). Der Gewichtsverlauf unter
Plazebo war in den Studien insgesamt recht heterogen, was auf Unterschiede im
Umgang mit dem jeweilig verwendeten Plazebopräparat und/oder der Verblindung
hinweisen könnte. Prinzipiell kommen die Autoren aber zu dem Schluss, dass die
Plazebowirkung bei allen untersuchten Wirkstoffen jeweils in Qualität und
Quantität gleichsinnig ist zum jeweiligen Comparator.
Das HbA1c wurde durch die Behandlung mit Plazebo im
gleichen Ausmaß beeinflusst wie das Gewicht. Mit Plazebo-GLP-1-RA sank das
HbA1c absolut um durchschnittlich 0,23%-Punkte (kurzwirksame -0,22%;
langwirksame -0,26%), mit Plazebo-SGLT2I um durchschnittlich 0,13%-Punkte und
mit Plazebo-DPP4I um 0,10%-Punkte.
Die in den Studien angegebenen Nebenwirkungen waren
in der Häufigkeit und Art recht unterschiedlich. Tab. 1 zeigt die Inzidenz
von allgemeinen und spezifischen Nebenwirkungen. Hypoglykämien wurden bei den mit
Plazebo behandelten Patienten in allen drei Wirkstoffgruppen seltener
beobachtet als mit dem aktiven Comparator (Verum). Mit Plazebo-GLP-1-RA waren
sie aber etwa doppelt so häufig wie mit Plazebo-DPP4I oder Plazebo-SGLT2I. Diese
Befunde sind schwer zu erklären. Es ist kaum vorstellbar, dass die Erwartungshaltung
der Patienten oder eine Injektion per se (durch Stress?) eine Hypoglykämie
auslösen kann. Möglicherweise spielen die unterschiedlichen zusätzlich
verordneten Antidiabetika oder die Definition der Hypoglykämie eine Rolle.
Vielleicht liegt es aber auch an der Inzidenz anderer Nebenwirkungen,
beispielsweise wurden Übelkeit und Erbrechen unter Plazebo-GLP-1-RA 2-4mal
häufiger beobachtet.
Die Autoren folgern aus den Zahlen, dass in den Studien mit
neueren Antidiabetika eine beträchtliche Plazebowirkung bei der Senkung des
Gewichts und des HbA1c vorliegt. Sie schätzen den Plazeboeffekt bei den GLP-1-RA-Studien
auf > 40%, ohne jedoch anzugeben, wie sie auf diesen Wert kommen. Dabei
folgt der Plazeboeffekt in Qualität und Quantität den Effekten des aktiven
Komparators, auch bei den Nebenwirkungen.
Die Aussagen der Studie werden – wie immer bei
systematischen Reviews – eingeschränkt durch Auswahl der Studien, Ein- und Ausschlusskriterien,
Heterogenität u.a. Darüber hinaus wurden die unterschiedlichen Dosierungen der
aktiven Wirkstoffe statistisch vermischt und die Wirkungen der Begleit- bzw.
antidiabetischen Hintergrundtherapie bleiben unklar. Auch zur Dauer der Plazeboeffekte
lässt sich bei der Nachbeobachtung von nur etwa einem halben Jahr keine Aussage
treffen.
Literatur
- Kong, J., et al.: PLoS One 2013, 8, e67485.

- AMB 2001, 35, 55b.

- AMB 2008, 42, 47b.

- AMB 2014, 48, 16.

- http://www.awmf.org/...

- AMB 2007, 41, 50.

- de Wit, H.M., et al.:Br. J. Clin. Pharm. 2016, 82, 301.

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