Vor fünf Jahren haben wir unter dem Titel
„Revolution durch Resorption?“ kritisch über die europäische CE-Zertifizierung eines
weltweit erstmals zugelassenen resorbierbaren Koronar-Stents berichtet (1). Insbesondere
von Seiten der Hersteller wird bei resorbierbaren Stents die Bezeichnung
Scaffold (= Gerüst) in Abgrenzung zum Stent verwendet. Da dies offensichtlich
aus Marketinggründen geschieht und mitunter zur Verwirrung führt, verwenden wir
diese Bezeichnung nicht. Es handelte sich bei dem resorbierbaren Koronar-Stent um
ein Sirolimus-beschichtetes Implantat aus Polylactid, einem Biopolymer auf
Milchsäurebasis (Absorb®, Fa. Abbott). Die Zulassung erfolgte damals
auf der Grundlage zweier kleiner Fallserien (ABSORB I und II mit 23 bzw. 101
Patienten) mit Daten intravaskulärer Bildgebung als primären Endpunkten (1).
Im Juli 2016 hat nun überraschend und
nicht unumstritten die im Sektor Medizinprodukte eher restriktivere
US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA die Zulassung für diesen resorbierbaren
Koronar-Stent erteilt (2). Grundlage war die ABSORB-III-Studie (3), in der mehr
als 2.000 Patienten mit stabiler oder instabiler Angina pectoris (193 Zentren)
2:1-randomisiert mit dem resorbierbaren Drug-Eluting-Stent (n = 1.322)
vs. einem Standard-Drug-Eluting-Stent (n = 686) behandelt wurden. Der primäre
Endpunkt war „Target Lesion Failure“ (TLF) nach einem Jahr (d.h. kardialer Tod,
Infarkt im behandelten Zielgefäß oder eine Zweitintervention der behandelten
Zielläsion). Die Studie war sowohl auf Überlegenheit als auch auf
Nicht-Unterlegenheit (prädefinierte Grenze: 4,5% der Risikodifferenz)
ausgerichtet. Der Endpunkt wurde bei 7,8% vs. 6,1% der Patienten erreicht.
Dieser Unterschied von 1,7% zu Ungunsten des resorbierbaren Stents war nicht
signifikant, erfüllte aber die Kriterien der Nicht-Unterlegenheit (95%-Konfidenzintervall
= CI: -0,5 bis 3,9%; p = 0,16 für Überlegenheit und p = 0,007
für Nicht-Unterlegenheit). Stent-Thrombosen traten etwas häufiger bei Patienten
mit resorbierbaren Stents auf (1,5% vs. 0,7%; statistisch ebenfalls nicht
signifikant, aber nicht unterlegen).
Die FDA-Entscheidung ausschließlich auf
Basis der Daten zur Nicht-Unterlegenheit verwundert. Die in ABSORB III als
„nicht unterlegen“ klassifizierten, aber tendenziell höheren Ereignisraten
unter dem resorbierbaren Stent waren in aktuellen Metaanalysen statistisch
signifikant: Eine kürzlich in Lancet publizierte Metaanalyse (4) von sechs
prospektiven Studien mit 3.738 Patienten fand zwar ähnliche TLF-Raten nach 12
Monaten, aber eine doppelt so hohe Rate von Stent-Thrombosen unter dem
resorbierbaren Stent (Odds Ratio = OR: 1,99; CI: 1,00-3,98; p = 0,05)
mit dem höchsten Risiko zwischen einem und 30 Tagen nach Implantation (OR:
3,11; CI: 1,24-7,82; p = 0,02). Dies wird durch eine weitere
Metaanalyse (5) bestätigt, die auch Registerdaten und retrospektive Studien mit
insgesamt 10.510 Patienten umfasst: Die Häufigkeit von Stent-Thrombosen nach
6,4 Monaten war beim resorbierbaren Stent doppelt so hoch (OR: 2,06; CI: 1,07-3,98;
p = 0,03), ebenso die von Myokardinfarkten (OR: 2,06; CI: 1,31-3,22;
p = 0,002). Verschiedene Register zeigen ähnliche Resultate.
Nach diesen ernüchternden Ergebnissen ruhen
die Hoffnungen nun auf einem neuartigen resorbierbaren Stent-System, das im
Juni 2016 die europäische CE-Zertifizierung erhielt. Es handelt sich um einen Everolimus-beschichteten
Metall-Stent auf Magnesiumbasis (Magmaris®, Fa. Biotronik).
Zulassungsstudie war die BIOSOLVE-II-Studie (6), in die prospektiv, nicht-randomisiert
123 Patienten mit stabiler oder instabiler Angina
pectoris eingeschlossen wurden, die alle den resorbierbaren Stent erhielten.
Primärer Endpunkt dieser Beobachtungsstudie waren auch hier Daten der intravaskulären
Bildgebung, nämlich der sogenannte „Late Lumen Loss“ (LLL) nach sechs Monaten,
d.h. der Verlust an Querschnittsfläche als Maß für die Tendenz der
Re-Stenosierung des Stents. Dieser lag mit 0,08 mm2 verglichen
mit den Werten bekannter Stent-Systeme in einem akzeptablen Bereich. Der sekundäre
Endpunkt der TLF trat bei vier Patienten (3%) auf (ein kardialer Tod, ein
periprozeduraler Myokardinfarkt, zwei Zweitinterventionen der behandelten
Zielläsion). Im später publizierten Nachbeobachtungzeitraum über zwölf Monate
traten bei stabilem LLL keine weiteren Stent-Thrombosen und auch keine anderen Fälle
von TLF mehr auf (7). Es bleibt abzuwarten, ob sich diese günstigen Daten auch
in größeren Studien bestätigen, oder ob sich hier die Geschichte des
Absorb-Stents wiederholt.
Die FDA-Entscheidung für die Absorb®-Zulassung
im Juli 2016 wurde in Fachkreisen vielfach kritisch kommentiert – so z.B. in
einem lesenswerten Kommentar des Internet-Portals theheart.com/medscape.com (8)
mit dem Titel „Dissolving Coronary Stents: The Fog of Hype“. In ihm werden verschiedene
Gegenargumente anführt, die sich alle mit unseren Kritikpunkten nach der
EU-Zulassung 2011 decken.
- „Neu“ heißt nicht immer „besser“: Moderne Standard-Drug-Eluting-Stents sind ausgereifte Produkte mit guten Früh- und Spätergebnissen. Im Hinblick auf Thrombosierung und Restenosen besteht wenig Bedarf für einen neuen Stent.
- Stent-Thrombosen sind ernste Komplikationen und in der Regel gleichbedeutend mit akuten Myokardinfarkten. Jede höhere Rate von Stent-Thrombosen – auch wenn statistisch nicht signifikant – ist als klinisch relevant anzusehen. Dies gilt besonders für die stabile KHK, bei der die Datenlage ohnehin eine restriktive Indikation für die Koronarintervention (gleich mit welchem Stent) ratsam erscheinen lässt.
- Die Befürworter des neuen Stents sehen die Überlegenheit darin, dass das Stent-Gerüst (im Tierversuch) nach 36 Monaten vollständig aufgelöst ist und damit ein anatomisch und funktionell „normal“ erscheinendes Gefäß hinterlässt. Obwohl der resorbierbare Stent in Europa seit 2011 zugelassen ist, gibt es aber kaum verlässliche Daten, die über ein Jahr hinausreichen. Ein klinischer Vorteil für diese Technologie ist somit nicht belegt.
Die Kosten sind deutlich höher – für das
Stent-System selbst, aber auch für die komplexere Intervention (z.B.
Interventionsmaterial, spezielle intravaskuläre Bildgebung). Die
Kosteneffizienz ist nicht nachgewiesen. Bis zum eindeutigen Nachweis einer
klinischen Überlegenheit in weiteren Postmarketing-Studien müssen alle diese
Argumente für jedes neue Stent-System gelten.
Fazit: Aktuelle Metaanalysen zeigen, dass die Skepsis bei
der EU-Zulassung des ersten vermarkteten resorbierbaren Koronar-Stents
(Milchsäurebasis) vor fünf Jahren berechtigt war: Stent-Thrombosen dürften etwa
zweimal häufiger sein als bei herkömmlichen beschichteten Stents. Dass dennoch
nun auch in den USA eine Marktzulassung erfolgte, ist aus unserer Sicht nicht
nachvollziehbar und offensichtlich nur den theoretischen und versprochenen –
aber bisher klinisch nicht belegten – Vorteilen einer vollständigen „Auflösung“
des Implantats zuzuschreiben. Kürzlich wurde in Europa nun der zweite
resorbierbare Koronar-Stent (Magnesiumbasis) zugelassen. In Anbetracht der
Erfahrungen empfehlen wir Zurückhaltung in der Anwendung außerhalb klinischer
Studien.
Literatur
- AMB 2011, 45,27.

- http://www.fda.gov/...

- Ellis, S.G., et al. (ABSORB III): N. Engl. J. Med. 2015, 373,1905.
- Cassese, S., et al.:Lancet 2016, 387,537.

- Lipinski,M.J., et al.: JACC Cardiovasc. Interv. 2016, 9, 12.

- Haude, M., et al.(BIOSOLVE-II): Lancet 2016, 387, 31.

- Haude, M., et al.: Eur. Heart J. 2016.

- Mandrola, J.M.:

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