Eine aktuelle Publikation zur experimentellen
Immuntherapie bei Morbus Alzheimer (MA) in einer sehr angesehenen Zeitschrift
(1) hat kürzlich für große Aufmerksamkeit in den Medien gesorgt. Demnach
scheint es einen Fortschritt zu geben mit einem Therapieansatz bei MA, der vereinfachend
und sehr euphorisch bereits als „Impfung gegen das Vergessen“ bezeichnet wurde (2, 3).
Nach der sog. Amyloid-Hypothese ist das bei Patienten mit MA im Gehirn als
Plaques abgelagerte und nicht abgeräumte Amyloid beta (Aβ) nicht
wirkungslos, sondern für die vielfältigen morphologischen und funktionellen
Abbauprozesse mitverantwortlich. Nun wurde nachgewiesen, dass ein monoklonaler
Antikörper (Aducanumab = BIIB037) an diese Aβ-Aggregate bindet und Mikrogliazellen
diese mit Antikörpern markierten Plaques aus dem Gehirn abräumen, zumindest im
Mausmodell.
Dass dieses Konzept auch beim Menschen
funktioniert, glaubt nun eine Gruppe aus Cambridge/Massachusetts und Zürich
nachgewiesen zu haben (1). Die Studie ist eine Phase-I-Studie, dient also nicht
zum Nachweis der Wirksamkeit, sondern der Dosisfindung bzw. der Ermittlung von
pharmakokinetischen und – falls möglich – pharmakodynamischen Eigenschaften des
Antikörpers. Weil die Daten nicht an gesunden Probanden, sondern bereits an
Patienten mit MA ermittelt wurden, ist sie als Phase-Ib-Studie deklariert.
Primärer Studienendpunkt sind unerwünschte Ereignisse über einen Zeitraum von vier
Jahren. Sekundäre Endpunkte sind pharmakokinetische Eigenschaften,
immunologische Reaktionen und Veränderungen im PET-CT (vgl. 4) des
Gehirns, speziell das Verhalten der Ablagerungen von Aβ. Die nun
publizierten Daten sind Zwischenergebnisse nach 12 Monaten, d.h. die
Studie ist noch nicht abgeschlossen. Fast alle Autoren (26 von 27) sind oder
waren Angestellte und Aktionäre der Firmen Biogen und Neurimmune, die den
Antikörper entwickelt haben.
Insgesamt wurden an 33 Studienorten in den
USA 165 Patienten eingeschlossen. Über die Zahl der gescreenten Patienten,
die Art der Aufklärung und der Einwilligung wird nicht berichtet.
Eingeschlossen wurden Patienten mit einer prodromalen oder frühen Form von MA.
Die Diagnose wurde von den behandelnden Ärzten an Hand von Funktionstests gestellt,
z.B. Mini-Mental-State-Examination (MMSE; vgl. 5) oder global Clinical
Dementia Rating (CDR; vgl. 6) sowie einem bildgebenden Verfahren
(Florbetapir-PET; 7). Andere pathologische Veränderungen im Gehirn wurden
mittels zerebralen MRI ausgeschlossen. Die Studienteilnehmer waren im Mittel
72,6 Jahre alt, 50% waren weiblich, 41% hatten eine prodromale und 59%
eine milde Form des MA. Der mittlere MMSE-Wert betrug bei Studienbeginn
24,2 ± 3,5 Punkte (maximal 30) und der sog. PET SUVR composite
Score (Standard Uptake Value Ratio), ein
Maß für die Amyloidlast, betrug 1,44 ± 0,17 (s.u.).
Die Patienten erhielten über ein Jahr
monatlich eine Plazebo- oder Aducanumab-Infusion. Es gab fünf Gruppen: ein
Plazeboarm (n = 40) und vier Arme mit unterschiedlichen Antikörper-Dosierungen
(1, 3, 6, oder 10 mg/kg KG; Größe der Gruppen: n = 30-32). Bei
40 von 165 Patienten (24,2%) wurde die Studie vorzeitig abgebrochen, bei 12,1%
wegen Nebenwirkungen. Die häufigsten waren sog. Amyloid Related Imaging Abnormalities
(ARIA) im Verlauf des zerebralen MRI (n = 34) sowie Kopfschmerzen und
Infekte (Harnwege, obere Luftwege). Patienten mit ARIA (27 der 34) hatten ein
fokales Hirnödem, wahrscheinlich ausgelöst durch eine reaktive Entzündung.
Solche Ödeme wurden bei keinem der Patienten mit Plazebo, aber – dosisabhängig –
bei 3%-41% der Patienten gesehen, die den Antikörper erhielten. Bei 15 von 27
Patienten mit Hirnödem wurde die Studie abgebrochen. Alle Patienten mit einem
ARIA wurden, da zur Verlaufskontrolle dieser Nebenwirkung häufigere MRI
erforderlich waren, teilweise entblindet, d.h. also rund ein Drittel aller mit
Verum Behandelten.
Die Behandlung mit Aducanumab führte nach
einem Jahr dosisabhängig zu einer Abnahme des PET SUVR composite Score, also zu
einer Verminderung des Aβ (Plazebo: +0,003 vs. Verum -0,055 bis -0,26 im
Vergleich zum Ausgangswert von 1,44 ± 0,17). Hierbei handelt es sich
allerdings nicht um eine Intention-to-treat-Analyse, sondern um die Ergebnisse
der Patienten unter laufender Behandlung (30 mit Plazebo, 91 mit Verum). Der
prognostische Wert des verwendeten Scores für den Verlauf bei MA wird nicht weiter
erläutert. Klinische Veränderungen wurden auch erfasst. Allerdings weisen die
Autoren darauf hin, dass die Studie hierfür weder ausgelegt noch ausreichend
statistisch gepowert war. Sie berichten trotzdem über eine dosisabhängige
Verlangsamung der funktionellen Verschlechterung, z.B. beim MMSE: -2,8 mit
Plazebo vs. -2,1 bzw. -0,7 bzw. -1,9 bzw. -0,5 Punkte mit Aducanumab.
Eigentlich sollten Zwischenergebnisse von Phase-I-Studien
mit ihren vielen potenziellen Störfaktoren hier nicht besprochen werden. Andere
pharmazeutische Unternehmer (pU), die das gleiche Konzept verfolgt haben,
nämlich Aβ-Plaques mit Hilfe monoklonaler humanisierter Antikörper zu
entfernen, z.B. Solanezumab (8) oder Bapineuzumab (9), sind mit weit größeren
Phase-III-Studien (> 1.000 Patienten) gescheitert. In ihnen wurde nicht,
wie in dieser Studie (1) ein Surrogat als Endpunkt der Wirksamkeit bewertet,
sondern bereits klinische Ergebnisse. Somit steht das auf pathophysiologischen
Hypothesen basierende Behandlungskonzept als Ganzes noch auf dem Prüfstand (10).
Es bleibt abzuwarten, ob Aducanumab nicht nur hilft, Aβ-Plaques abzubauen,
sondern auch die neurodegenerativen Veränderungen und damit die kognitiven Verschlechterungen
bei Patienten mit MA deutlich zu verlangsamen. Ein wissenschaftlicher
Fortschritt ist möglicherweise erreicht, aber von einem Durchbruch in der Behandlung
oder gar in der Prävention kann nach unserer Meinung, aber auch nach einem kritischen
Kommentar in der Neuen Zürcher Zeitung, nicht gesprochen werden (11).
Fazit: Ablagerungen von Amyloid
beta im Gehirn von Patienten mit Morbus Alzheimer können offenbar durch wiederholte
Injektionen des Antikörpers Aducanumab reduziert werden. Dies zeigen
präklinische Daten an Mausmodellen und aktuelle Zwischenergebnisse einer Phase-I-Studie,
die viel Aufmerksamkeit in den Medien hervorgerufen hat. Ob durch ein solches
Konzept auch der kognitive Abbau wirksam gebremst werden kann, ist ungewiss und
somit auch die Nutzen-Risiko-Relation.
Literatur
- Sevigny,J., et al. (PRIME): Nature 2016, 537, 50.

- http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/alzheimer-antikoerper-zerstoert-eiweissablagerungen-im-gehirn-a-1110334.html

- http://www.welt.de/gesundheit/article155645438/Eine-Impfung-soll-die-Alzheimer-Epidemie-stoppen.html

- http://www.nuklearmedizin.de/docs/petct_broschur.pdf

- https://www.dgho.de/informationen/dokumente-der-arbeitskreise/geriatrische-onkologie/MMSE%20Folstein.pdf

- Hughes,C.P, et al.: Br. J. Psychiatry 1982, 140, 566.
- http://www.ema.europa.eu/docs/de_DE/document_library/EPAR_-_Product_Information/human/002422/WC500137635.pdf

- Doodey,R.S., et al. (EXPEDITION 1 und 2): N. Engl. J. Med. 2014, 370, 311.
- Salloway,S., et al.: N. Engl. J. Med. 2014, 370, 322.

- http://deutsch.medscape.com/artikel/4901849
- http://www.nzz.ch/meinung/kommentare/alzheimerdemenz-warten-auf-den-durchbruch-ld.114358

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