Die deutsche Gesellschaft für Neurologie
(DGN) empfiehlt in ihren S1-Leitlinien zur Anfallsprophylaxe bei Kindern mit
Migräne (1) Flunarizin (5 mg/d, „gesicherte Wirksamkeit“), Topiramat
(15-100 mg, „ebenfalls wirksam“) und Propranolol („gewisse Hinweise auf
eine Wirksamkeit“). Nach einer Umfrage unter US-amerikanischen Spezialisten für
Kopfschmerzen bei Kindern werden in Nordamerika bevorzugt Topiramat und
Amitriptylin zur Prophylaxe der Migräne eingesetzt. Zumindest Topiramat hat
sich nach einem Cochrane Review aus dem Jahre 2013 bei Erwachsenen mit
episodischer Migräne als wirksam erwiesen (2).
Eine randomisierte kontrollierte Studie (CHAMP)
untersuchte nun die Wirksamkeit von Topiramat und Amitriptylin im Vergleich mit
Plazebo (3). Bemerkenswert ist, dass Topiramat, während die Studie lief, von
der FDA zur Behandlung von episodischer Migräne bei Heranwachsenden
(Altersgruppe 12-17 Jahre) zugelassen wurde. CHAMP wurde Industrie-unabhängig
von den National Institutes of Health finanziert und an 31 Zentren in den USA
durchgeführt. Eingeschlossen wurden junge Patienten (8-17 Jahre) mit
Migräne. Nach einem 2:2:1-Schlüssel erhielten sie doppelblind Amitriptylin (A),
Topiramat (T) oder Plazebo (P) in zwei Kapseln täglich. Die Zieldosis von A
betrug 1 mg/kg Körpergewicht, die von T 2 mg/kg.
Zunächst wurden über vier Wochen die
Ausgangsbefunde an Hand der Einträge in einem Kopfschmerztagebuch und mit Hilfe
eines speziell für Kinder entwickelten Fragebogens (PedMIDAS) erhoben. Er misst
die Auswirkungen auf die schulischen, häuslichen, spielerischen und sozialen
Aktivitäten (0-240 Punkte, wobei 0-10 keine Beeinträchtigung bedeutet).
Dieser initialen Phase folgte eine 8-wöchige Auftitrierungs- und eine 16-wöchige
Erhaltungsphase. Danach wurden die Wirkstoffe über zwei Wochen wieder
ausgeschlichen und die Patienten über weitere vier Wochen nachbeobachtet (Gesamt-Studiendauer
34 Wochen).
Der primäre Studien-Endpunkt war eine
relative Minderung der Kopfschmerztage um ≥ 50% im Vergleich zum
Ausgangsbefund. Sekundäre Endpunkte waren Verbesserungen im PedMIDAS-Score, die
absolute Reduktion der Kopfschmerztage, die Studienabbruchrate und die Zahl der
schwerwiegenden Nebenwirkungen. Da bei der Behandlung von Kopfschmerzen −
bei Erwachsenen − ein erheblicher Plazeboeffekt bekannt ist, ging die
Studienhypothese davon aus, dass 50% der Patienten mit Plazebo den primären
Endpunkt erreichen und mindestens 70% mit A oder T. Weiterhin rechnete man mit
15% Studienabbrechern, woraus sich statistisch eine aussagekräftige Fallzahl
von 675 Patienten errechnete.
Ergebnisse: Die Studie wurde
nach der ersten von zwei geplanten Zwischenanalysen vom Data and Safety
Monitoring Board wegen Zwecklosigkeit („futility“) abgebrochen. Zu diesem
Zeitpunkt waren 361 Patienten randomisiert. 144 von diesen erhielten A,
145 T und 72 P. Die Charakteristika waren gleich verteilt: mittleres
Alter 14,2 ± 2,4 Jahre; 68% Mädchen; 11,4 ± 6,1 Tage pro
Monat mit Kopfschmerzen; PedMIDAS-Score 41,9 ± 26,8. Insgesamt
328 Patienten schlossen das Studienprotokoll ab und bildeten die Grundlage der
Auswertung.
Es zeigte sich beim primären Endpunkt (Zahl
der Kopfschmerztage halbiert) kein Unterschied zwischen den drei Behandlungsarmen:
52% (A), 55% (T) bzw. 61% (P). Die Zahl der Kopfschmerztage verminderte sich um
6,7 Tage (A und T) bzw. 5,9 Tage (P). Der Rückgang im PedMIDAS-Score
betrug in jeder Gruppe mindestens 50%: -22,5 (A), -26,8 (T) und -22,6 (P). Der
Anteil der Patienten, die die 24-wöchige Behandlung korrekt beendeten, betrug
80% (A), 78% (T) und 89% (P). Insgesamt wurden 12 schwerwiegende Nebenwirkungen
registriert: sechs unter Behandlung mit A (drei starke Stimmungsschwankungen,
eine Synkope, ein Bronchospasmus, eine anaphylaktische Reaktion), vier unter T
(ein Suizidversuch, eine Gehirnerschütterung, eine Darminvagination, ein
Lebertrauma) und zwei unter P (Streptokokken-Pharyngitis, Appendizitis).
Insgesamt traten unter den beiden aktiven
Substanzen 2-3-mal häufiger Nebenwirkungen auf (301 mit A, 419 mit T und 132
mit P). Typische Nebenwirkungen von A waren Müdigkeit (30%) und Mundtrockenheit
(25%) und von T Parästhesien (31%), Müdigkeit (25%), Gedächtnisstörungen (17%),
Aphasie (16%) und Gewichtsabnahme (8%).
Bemerkenswert ist nicht nur die hohe
Wirksamkeit des Plazebos im Vergleich zu den aktiven Vergleichstherapien,
sondern auch das deutlich ungünstige Nutzen-Risiko-Verhältnis von Amitriptylin
und Topiramat. Das zeigt, dass die an Erwachsenen gewonnenen Ergebnisse nicht
auf Kinder und Jugendliche übertragen werden dürfen und wie wichtig eigene Studien
mit Kindern und Jugendlichen sind. Da die Nebenwirkungen von Topiramat und
Amitriptylin teilweise lebensbedrohlich waren, dürfen diese Wirkstoffe bei der hier
untersuchten Indikation nach unserer Einschätzung einstweilen überhaupt nicht eingesetzt
werden. Die US-Zulassung von Topiramat für Jugendliche mit episodischer Migräne
sollte dringend „überdacht“ werden.
Fazit: Topiramat und Amitriptylin
sollten bei Kindern und Jugendlichen mit Migräne wegen ungünstiger
Nutzen-Risiko-Relation nicht zur Rezidivprophylaxe angewendet werden. Plazebo
war in dieser Altersgruppe ähnlich stark wirksam, aber wesentlich verträglicher
und sicherer.
Literatur
- DGN.S1-Leitlinie: Therapie der Migräne vom September 2012, Gültigkeit bis29.9.2017:

- Linde,M., et al.: Cochrane Database Rev.: 2013, (6), CD10610.

- Powers,S.W., et al. (CHAMP = CHildhoodand Adolescent Migraine Prevention study):N. Engl. J. Med. 2016, October 27.

|