Die Ergebnisse abgeschlossener Studien müssen veröffentlicht
werden, auch wenn die Studien bei der Durchführung misslingen (z.B. wegen
Sicherheitsproblemen vorzeitig abgebrochen werden oder die Rekrutierung der
Patienten unzureichend ist) oder nicht zu dem erwünschten Ergebnis führen. Dies
ist im Wesentlichen aus zwei Gründen erforderlich: Zum einen spiegeln nur die
Ergebnisse aller Studien die wissenschaftliche Evidenz korrekt wider und
zum anderen besteht eine ethische Verpflichtung gegenüber den teilnehmenden
Patienten/Personen, dass die aus ihrer persönlichen Bereitschaft zur
Studienteilnahme gewonnenen Ergebnisse nicht verloren gehen. Diese
Verpflichtung ist auch in der Deklaration des Weltärztebundes zu den ethischen
Grundsätzen für die medizinische Forschung am Menschen festgeschrieben
(Deklaration von Helsinki; 1).
Tatsächlich wird diese Verpflichtung jedoch häufig
missachtet, und die Ergebnisse unzähliger Studien wurden nie veröffentlicht,
weder als vollständige Publikation in einer Fachzeitschrift noch als kurze Zusammenfassung
der Ergebnisse in öffentlich zugänglichen Studienregistern (z.B.
ClinicalTrials.gov, EudraCT). Es gibt Untersuchungen, wonach in der
Vergangenheit nur etwa die Hälfte der Studienergebnisse in einer
Fachzeitschrift publiziert wurden (2) und vorzugsweise solche mit positiven
Ergebnissen („Publikationsbias“). Dieser Zustand wurde wiederholt – auch von
uns – aus wissenschaftlicher und ethischer Sicht kritisiert und muss abgestellt
werden (3; vgl. 4).
Die Kampagne „AllTrials“ möchte einen Beitrag zur Beendigung
dieses Missstandes leisten und versucht, Druck auf Regierungen,
Zulassungsbehörden und Forschungseinrichtungen auszuüben. Diese sollen Sorge
dafür tragen, dass Studienergebnisse aufzufinden sind und nicht einfach
verschwinden können. Jede/r kann online eine entsprechende Petition
unterzeichnen (5). Bislang haben dies knapp 90.000 Personen und > 700
Institutionen und Patientenverbände getan. Die Forderung ist, dass nicht nur alle
Studien prospektiv in öffentlich zugänglichen Studienregistern (z.B.
ClinicalTrials.gov, EudraCT) angemeldet werden, sondern auch die wichtigsten
Studienergebnisse („basic results“: demographische Daten und primäre sowie
sekundäre Endpunkte zur Wirksamkeit) dort spätestens ein Jahr nach Studienende
zumindest als „registry reports“ veröffentlicht werden. Dies ist in den USA ein
per Gesetz vorgegebener Standard (Food and Drug Administration Amendments Act =
FDAAA; 6), und auch wir haben an dieser Stelle wiederholt auf diese
Verpflichtung hingewiesen (4).
Die Studienregister werden mittlerweile gut genutzt, nicht
zuletzt, weil die Anmeldung einer Studie in einem Studienregister seit 2007 nicht
nur von der FDA gefordert wird, sondern auch Voraussetzung für eine
wissenschaftliche Veröffentlichung in den meisten renommierten Fachzeitschriften
ist (7). Im größten Studienregister der US National Institutes of Health (ClinicalTrials.gov; 8)
wurden bislang über 230.400
Studien aus 193
Ländern registriert („study records“). Allerdings findet sich nur bei einem kleineren
Teil der abgeschlossenen Studien tatsächlich eine Zusammenfassung der Studienergebnisse
(„registry reports“; 9).
Anna Powell-Smith und Ben Goldacre aus
Großbritannien haben versucht, dieses Phänomen näher zu analysieren (10). Mit
Hilfe einer speziell entwickelten Software („TrialsTracker“) wird das
Studienregister ClinicalTrials.gov fortlaufend dahingehend überprüft, ob die Ergebnisse
der nach dem 1.1.2006 als abgeschlossen gemeldeten Studien spätestens zwei Jahre
nach Studienabschluss (also ein Jahr nach der vorgeschriebenen Frist;
vgl. 6) in diesem Studienregister als „registry report“ oder als volle Publikation
in einer Zeitschrift in PubMed zu finden sind (Identifikation an Hand der
Studien-Nummer). Die
Ergebnisse dieser Analysen können auch auf einer eigenen Webseite eingesehen
werden (11).
Ergebnisse: Aktuell erfüllen knapp 26.000 Studien die
Einschlusskriterien, sind also bei ClinicalTrials.gov ≥ 2 Jahre
als abgeschlossen gemeldet. Bei 11.714 Studien (45,2%) konnten mit der
gewählten Suchmethodik weder ein „registry report“ noch eine Publikation in
einer Fachzeitschrift gefunden werden. An diesen Studien mit nicht auffindbaren
Ergebnissen nahmen über 8,7 Mio. Menschen teil. Es ist wahrscheinlich,
dass die tatsächliche Zahl unpublizierter Studien niedriger ist. Zumindest bei
den jüngeren Studien besteht die Möglichkeit, dass noch eine Publikation folgt.
So ergab eine Analyse von > 1.300 klinischen Studien aus dem Jahre
2009, dass die mediane Zeit vom Ende der Studie bis zur Veröffentlichung in
einer Fachzeitschrift 21 Monate beträgt, mit einer Spanne von 13-32 Monaten
(12). Es ist auch möglich, dass die Ergebnisse in Fachzeitschriften publiziert
wurden, die nicht in Pubmed gelistet sind. Dies könnte v.a. für Studien aus
China oder Indien zutreffen. Und es ist denkbar, dass die Studien in mehreren Studienregistern
gemeldet wurden und anderweitig als „registry report“ veröffentlicht wurden. Die
im „TrialsTracker“ angewendete Methodik und der Wert 45% müssen also
hinterfragt werden.
Trotzdem sind die weiteren Analysen der
extrahierten 26.000 Studien interessant. So ergab eine Auswertung von Sponsoren
mit ≥ 30 gemeldeten Studien (insgesamt 291 Sponsoren), dass bei etwa
einem Drittel die Industrie der Hauptsponsor ist (n = 8.799), und bei
zwei Dritteln sind es öffentliche oder kommerzielle Forschungseinrichtungen. Die
errechnete Quote der nicht auffindbaren Ergebnisse liegt bei den Industriestudien
bei 27,2% und bei Studien mit anderen Sponsoren bei 54%. Der Befund, dass die
Ergebnisse aus nicht von der Industrie gesponserten Studien lückenhafter
bekanntgegeben werden, stimmt überein mit den Ergebnissen einer aktuellen Untersuchung
aus den USA (13). Demnach finden sich bei einer Literatursuche nur bei 35,9%
der Studien, die von akademischen Zentren durchgeführt wurden, innerhalb von
zwei Jahren Ergebnisse (Gesamtquote 66%). Ein „registry report“ auf ClinicalTrials.gov
wurde nur bei 26,8% dieser Studien gefunden, wobei dieser nur bei 12,6% der
Studien innerhalb von zwei Jahren nach Studienabschluss erfolgte.
Auch bei „TrialsTracker“ finden sich sehr renommierte
akademische Institutionen, die in weniger als der Hälfte der Fälle innerhalb
von zwei Jahren ein Ergebnis veröffentlicht haben (z.B. Mayo Clinic, Brigham
and Women’s Hospital, Johns Hopkins University, Stanford University, Charité
Berlin, TU und LMU München, Universität Graz). Dies deutet darauf hin, dass
wohl eher Defizite bei der Organisation und/oder Durchführung der Studien dazu geführt
haben, die Ergebnisse nicht zu publizieren, als dass sie bewusst verheimlicht
wurden, etwa aus kommerziellen Interessen.
Beate Wieseler et al. (14) haben 2012 eine Analyse veröffentlicht
zur Publikation der Ergebnisse von 268 Arzneimittelstudien, die zwischen 2006
und 2011 beim IQWiG im Rahmen von 16 HTA-Berichten untersucht wurden (mehr als
die Hälfte betrafen Antidepressiva). Verglichen wurden hierfür die Veröffentlichung
von Ergebnissen in Studienregistern, klinischen Studienberichten („clinical
study reports“) und Publikationen in Fachzeitschriften. Immerhin wurden 72%
dieser Studien in Fachzeitschriften publiziert; 38% lagen als „clinical study
reports“ (eingereichte Dokumente bei den Zulassungsbehörden) und gerade einmal 29%
als „registry reports“ vor. Die Quote der Nichtveröffentlichung in
Fachzeitschriften lag bei diesen ausgewählten Studien (klinische Studien zum
Antrag auf Zulassung) also bei < 30%. Interessant an dieser Analyse des
IQWiG ist besonders, dass die Berichterstattung bei den „clinical study reports“
(90% Vollständigkeit) und den „registry reports“ (71% Vollständigkeit) deutlich
besser bewertet wurde als bei den Publikationen in Fachzeitschriften (52%
Vollständigkeit). Der Informationsgewinn zu neuen Arzneimitteln aus den
Studienregistern und den klassischen Quellen (Veröffentlichung in
Fachzeitschriften) ist also nicht nur deutlich zeitverzögert sondern auch sehr
lückenhaft (15). Daher ist ein Blick in die Dokumente der Zulassungsbehörden (EMA)
oder in die Dossiers beim IQWiG im Rahmen der frühen Nutzenbewertung von neuen
Arzneimitteln dringend anzuraten (16; vgl. 17).
Fazit: Eine aktuelle Analyse der Datenbanken ClinicalTrials.gov
und Pubmed zeigt, dass sich bei 45% der registrierten klinischen Studien auch
zwei Jahre nach deren Abschluss keine Ergebnisse finden lassen, weder als
Publikation in einer Fachzeitschrift noch als Kurzbericht in einem
Studienregister, was heute als Standard gelten sollte. An diesen klinischen Studien
mit unauffindbaren Ergebnissen haben > 8 Mio. Menschen
teilgenommen. Bei aller berechtigten Kritik an der Methodik dieser Untersuchung
ist es aus wissenschaftlichen und ethischen Gründen inakzeptabel,
patientenrelevante Ergebnisse aus abgeschlossenen klinischen Studien nicht
rechtzeitig zu publizieren. Für die konsequente Veröffentlichung der
Studienergebnisse müssen die verantwortlichen Prüfer und die Sponsoren verantwortlich
gemacht werden. Bei der Bewertung neuer Arzneimittel muss dieser blinde Fleck
der Evidenz unbedingt berücksichtigt und mehr als bisher auf die Unterlagen von
Zulassungsbehörden und des IQWiG zugegriffen werden.
Literatur
- Deklaration von Helsinki, letzteAktualisierung bei der 64. Generalversammlung der World Medical Association,Oktober 2013:

- Schmucker, C., et al.(OPEN = To Overcomefailure to Publish nEgative fiNdings): PLoS One 2014, 9,e114023.
- Song, F., et al.: HealthTechnol. Assess. 2010, 14, 8.

- AMB 2015, 49,32DB01
. AMB 2014, 48, 32DB01 . AMB2011, 45, 54. 
- http://www.alltrials.net/

- https://clinicaltrials.gov/ct2/about-site/results#WhatIsResultsDB

- International Committeeof Medical Journal Editors: Recommendations for the Conduct, Reporting,Editing, and Publication of Scholarly work in Medical Journals.
- https://clinicaltrials.gov/ (Zugriffam 20.11.2016).

- Zarin, D.A., et al.: N. Engl. J.Med. 2016, 375, 1998.

- Powel-Smith, A., und Goldacre, B.:F1000Research 2016, 5, 2629.

- https://trialstracker.ebmdatalab.net

- Ross,J.S., et al.: JAMA Intern. Med. 2013, 173,825.

- Chen,R., et al.: BMJ 2016, 352, i637.

- Wieseler, B., et al.: BMJ 2012, 344, d8141.
- Köhler, M., et al.: BMJ 2015, 350, h796.
- Wieseler, B.: Vortrag „AMNOG: unabhängigeInformationen aus der frühen Nutzenbewertung“ bei der Jubiläumsveranstaltungaus Anlass des 50. Jahrgangs DER ARZNEIMITTELBRIEF, Berlin, 15.10.2016.
- AMB 2010, 44, 89.

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