Zwei aktuelle Registerstudien mit Daten aus der sog. „Real
World“ beschäftigen sich mit sehr wichtigen Aspekten der Auswahl von oralen
Antikoagulanzien bei einer Neueinstellung von Patienten mit Vorhofflimmern.
Eine schwedische Studie ging der Frage nach, ob neue orale Antikoagulanzien
(NOAK) auch dann weniger Blutungskomplikationen als Vitamin-K-Antagonisten
(VKA) verursachen, wenn die INR gut eingestellt wird (1). Außerdem vergleicht eine
US-amerikanische Studie die Wirksamkeit und Sicherheit der beiden NOAK
Dabigatran und Rivaroxaban bei älteren Patienten mit neu begonnener
Antikoagulation (2).
Die schwedischen Daten wurden auf der diesjährigen
Jahrestagung der American Heart Association in New Orleans vorgestellt und sind
bislang nur als Abstract verfügbar (1). Die Autoren verglichen retrospektiv den
klinischen Verlauf von 12.694 Patienten, die zwischen Juli 2011 und Dezember
2014 wegen Vorhofflimmerns neu ein NOAK erhielten (26% aller Patienten mit neu
begonnener Antikoagulation), mit dem von 36.317 Patienten, die im gleichen
Zeitraum auf einen VKA (Warfarin) eingestellt wurden. Die Verordnungsdaten und
Gerinnungswerte stammen aus dem „Swedish Clinical Register for AF” (Akronym: Auricula).
Dieses Register enthält Informationen aus über 200 schwedischen Gerinnungsambulanzen
und Primary-Health-Care-Zentren. Der klinische Verlauf dieser Patienten wurde
aus den „Swedish Hospital Administrative and Clinical Registers“ extrahiert.
Das Besondere an diesen Daten ist, dass die INR-Einstellung im internationalen
Vergleich in Schweden besonders gut gelingt: 2015 lag der Anteil der INR-Messungen,
bei denen sich die Patienten im therapeutischen INR-Bereich (Time
in the Therapeutic Range = TTR) befanden, bei 73,4%. Das ist deutlich
besser als in den vier großen randomisierten kontrollierten Phase-III-Studien
(RCT), die NOAK mit VKA verglichen (TTR zwischen 55-64%). Die Tatsache, dass in
den VKA-Armen der RCT mehr als ein Drittel der INR-Messungen außerhalb des
therapeutischen Bereichs lagen, könnte die Studienergebnisse zu Gunsten der
NOAK beeinflusst haben. Dies war für uns ein zentraler Kritikpunkt bei der Bewertung
dieser Studien (3).
Um die beiden Kohorten (NOAK und VKA) miteinander
vergleichen zu können, erfolgte ein rechnerischer Ausgleich der Grundrisiken (Propensity
score matching). Die Patienten waren durchschnittlich 72 Jahre alt, 58%
waren Männer. Der mittlere CHA2DS2-VASc-Score (vgl. 4)
wird mit 3,3 angegeben, die verwendeten NOAK waren Dabigatran (40,3%),
Rivaroxaban (31,2%) und Apixaban (28,5%). Die mittlere TTR betrug in der
Warfarin-Kohorte 70%, die mittlere Nachbeobachtungszeit 10 Monate
(290 Tage). In dieser Zeit betrug die Inzidenz von Schlaganfällen plus
systemische Embolien mit Warfarin 1,64/100 Patientenjahre und mit NOAK
1,35/100 Patientenjahre (s. Tab. 1). Dieser Unterschied war
nicht signifikant und bestätigt die Ergebnisse aus den RCT. Bei den
Blutungskomplikationen schnitten die NOAK statistisch signifikant besser ab als
Warfarin mit Ausnahme gastrointestinaler Blutungen. Keine signifikanten
Unterschiede fanden sich bei der Häufigkeit von Myokardinfarkten und der
Gesamtletalität. Die Autoren – 4 von 7 erklären finanzielle Beziehungen mit den
Herstellern von NOAK – folgern, dass unter NOAK signifikant seltener Blutungen
auftreten als unter VKA, auch wenn die INR sehr gut eingestellt ist. Daher
seien NOAK bei Neueinstellungen zu bevorzugen. Wichtig ist nach unserer
Beurteilung vor allem die Frage, wann der Vorteil für die NOAK hinsichtlich der
Blutungen entsteht. Wenn dieser in den ersten Wochen auftritt und die
Kaplan-Meier-Kurven danach parallel verlaufen, dann dürfte der beobachtete
Effekt auf die Ersteinstellung mit den jeweiligen Antikoagulanzien
zurückzuführen sein (kein „steady state“, starke INR-Schwankungen). Falls die
Kurven jedoch in den folgenden Monaten weiter auseinander laufen, würde dies nach
Jahren einen beträchtlichen Vorteil für die NOAK anzeigen – vorausgesetzt, die Wirksamkeit
bleibt gleich gut.
Die zweite Registerstudie wurde in den USA an 118.891
Medicare-Patienten ≥ 65 Jahre mit Vorhofflimmern durchgeführt (2).
Die Patienten wurden zwischen November 2011 und Juni 2014 neu auf ein NOAK
eingestellt, entweder auf Dabigatran (n = 52.240) oder Rivaroxaban (n = 66.651).
Auch diese beiden Kohorten wurden hinsichtlich ihres klinischen Verlaufs in den
ersten vier Monaten nach Neueinstellung verglichen. Bei den großen
Patientenzahlen konnten > 15.000 (Dabigatran) bzw. > 20.000
Personenjahre (Rivaroxaban) unter Behandlung untersucht werden. Die
Ausgangsrisiken der beiden Kohorten wurden ebenfalls mittels Propensity score
matching ausgeglichen. Das mittlere Alter wird nicht angegeben, der Median
dürfte um 75 Jahre liegen (50% zwischen 65-74 Jahre, 40% zwischen
75-84 Jahre und 10% ≥ 85 Jahre alt). 53% waren Männer, 33%
hatten einen CHADS2-Score von 0 oder 1 (also keine harte Indikation
für eine orale Antikoagulation), 40% hatten 2 Punkte und 27% ≥ 3 Punkte.
In den ersten vier Monaten traten in der
Dabigatran-Kohorte nicht signifikant mehr Schlaganfälle auf als in der
Rivaroxaban-Kohorte: 9,7 vs. 7,7 (Angaben jeweils pro 1.000 Patientenjahre;
adjustierte HR: 0,8; CI: 0,65-1,01). Bei den Blutungen zeigte sich
dagegen ein statistisch signifikanter Nachteil für Rivaroxaban: intrakranielle
Blutungen 3,7 vs. 5,8 (adj. HR: 1,65; CI: 1,20-2,26),
extrakranielle Major-Blutung 26,6 vs. 39,4 (adj. HR: 1,48; CI: 1,32-1,67),
und gastrointestinale Major-Blutung 23,3 vs. 32,5 (adj. HR: 1,40; CI: 1,23-1,59).
Hinsichtlich Tod war der Nachteil von Rivaroxaban nicht signifikant: 22,2 vs.
24,7 (adj. HR: 1,15; CI: 1,0-1,32). In den meisten Subgruppen
waren diese Unterschiede konsistent, so z.B. auch bei den Patienten, die
jeweils wegen eingeschränkter Nierenfunktion eine reduzierte Dosis erhielten.
Bei den gastrointestinalen Major-Blutungen scheint der Nachteil von Rivaroxaban
mit zunehmendem Alter geringer zu werden und beim Endpunkt Sterblichkeit
scheint er mit dem Alter und dem Schlaganfall-Grundrisiko zuzunehmen (ab 75
Jahren und einem CHADS2-Score > 2 signifikant).
Als mögliche Gründe für die vermehrten Blutungen
unter Rivaroxaban werden in erster Linie pharmakokinetische Aspekte diskutiert:
höhere Spitzenspiegel durch Einmalgabe und höhere Akkumulationsgefahr durch
längere Halbwertszeit. Dennoch wird Rivaroxaban in den USA und in Deutschland deutlich
häufiger verordnet als Dabigatran.
Die Autoren dieser Untersuchung erklären, dass sie
keine Interessenkonflikte mit den Herstellern von NOAK haben. Die Durchführung
und Finanzierung der Studie erfolgte als Teil des sog. „SafeRx”-Projekts, das
von den Centers for Medicare & Medicaid Services (CMS) und der US Food and
Drug Administration (FDA) finanziert wird.
Fazit: Die
Auswertung eines schwedischen Registers ergab, dass NOAK bei Patienten mit Vorhofflimmern
im ersten Jahr nach Therapiebeginn hinsichtlich der Prävention von
Schlaganfällen gleich effektiv wie VKA sind, jedoch hinsichtlich Blutungskomplikationen
sicherer – auch wenn die INR-Einstellung bei den VKA-Patienten sehr gut ist. Ob
diese Beobachtung nur ein Phänomen der Ersteinstellung ist, oder ob dieser
Vorteil der NOAK über die Jahre noch zunimmt, ist eine sehr wichtige Frage. Sie
kann nur durch Langzeit-Registerstudien beantworten werden. Registerdaten aus
den USA geben Hinweise darauf, dass bei Patienten > 65 Jahre eine
Neueinstellung mit Dabigatran innerhalb der ersten vier Monate zu weniger
Blutungen führt als eine Neueinstellung mit Rivaroxaban. Ob diese Beobachtung
pharmakokinetisch begründet ist (Dosisproblem) oder tatsächlich ein Nachteil
des Wirkstoffs Rivaroxaban, ist noch unklar. Sie belegt jedoch erneut die
Notwendigkeit unabhängiger und langfristiger „Head-to-head“-Vergleiche zwischen
den verschiedenen NOAK.
Literatur
- Sjögren, V., et al.:American Heart Association Scientific Sessions. November 13, 2016; New Orleans. Abstract 651.

- Graham, D.J., et al.: JAMA Intern. Med. 2016, 176,1662.

- AMB 2014, 48, 41.

- AMB 2012, 46, 17.

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