Etwa 15-20% der zugelassenen Arzneimittel können nach den
Angaben ihrer Hersteller die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen, und 3,3% aller
Fahrer, die an einem Unfall beteiligt sind, stehen nach französischen
Untersuchungen unter dem Einfluss eines Arzneimittels mit solchem Risiko (1, 2).
Über potenziell verkehrsgefährdende Arzneimittel, die Verantwortung von Ärzten
und Apothekern bei der Verordnung bzw. Abgabe von Arzneimitteln, legale Aspekte
sowie vorbeugende Maßnahmen haben wir 2009 ausführlich berichtet (1). Eine besondere
Gefahrenquelle sind Wirkstoffe aus der Gruppe der Benzodiazepine und die sog.
Z-Substanzen (Zolpidem, Zopiclon, Zaleplon; vgl. 3). Sie können die
Reaktionsfähigkeit erheblich beeinträchtigen. In älteren Untersuchungen aus den
USA fanden sich bei 13% der den Unfall verursachenden Personen Benzodiazepine
im Blut (4).
Während in Deutschland und Österreich Warnungen, dass solche
Wirkstoffe einen „großen Einfluss auf die Verkehrstüchtigkeit und die
Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen haben können“ irgendwo im langen Beipackzettel
versteckt sind (Abschnitt 4.5 und/oder 4.7: Warnhinweise), hat man in
Frankreich einen anderen Weg eingeschlagen. Die „Agence Française de Sécurité SAnitaire
des Produits de Santé“ (AFSSAPS), zu deren Hauptaufgabe die Erfassung von
Gesundheitsrisiken und unerwünschten Arzneimittelwirkungen gehört, hat auf der
Basis eines Expertenkonsenses von 2003 eine 3-stufige Risikoklassifizierung für
Arzneimittel erstellt (ausführliche Liste unter 5). Bei diesen Arzneimitteln
wird in Frankreich seit 2006 ein Piktogramm (Warndreieck) auf die Medikamentenpackung
gedruckt: 1. ein gelbes Warndreieck mit der Warnung „Seien Sie vorsichtig
und lesen Sie die Packungsbeilage sorgfältig vor dem Fahren“; 2. ein
orangefarbenes Warndreieck mit der Warnung: „Seien Sie sehr vorsichtig und
besprechen Sie sich vor dem Fahren mit Ihrem Arzt oder Apotheker“; und 3. ein
rotes Warndreieck mit der Warnung: „Gefahr! Nicht fahren“! Die Einführung der
Kennzeichnung auf den Packungen wurde 2006 auch von einer Informationskampagne
in den Apotheken begleitet. Ziel dieser Maßnahmen war es, die Zahl der
Verkehrsunfälle zu vermindern, die sich unter dem Einfluss potenziell verkehrsgefährdender
Arzneimittel ereignen.
Eine Gruppe des INSERM (Institut National de la Santé et de
la Recherche Médicale) hat nun untersucht, ob dieses Ziel auch erreicht wurde
(6). Hierzu wurden Daten aus drei nationalen französischen Datenbanken erhoben:
dem Register mit allen Polizeiberichten (PRs), dem mit allen Unfallberichten
mit Personenschäden (ICs), sowie der Datenbank der nationalen
Krankenversicherung (HCI). Aus den PRs und ICs wurden alle an Verkehrsunfällen
beteiligten Fahrzeuglenker gefiltert und nach Unfallverursacher und Unfallbeteiligter
getrennt. Bei etwa einem Drittel dieser Fahrzeuglenker, überwiegend diejenigen,
die medizinisch behandelt werden mussten, lässt sich aus den ICs auch die
Krankenversicherungsnummer (NID) erheben. Von diesen wurden aus dem HCI die zum
Unfallzeitpunkt laufenden Arzneimittelverordnungen erfasst.
Die Studie wurde hinsichtlich der Unfallbeteiligung
(Unfallverursacher vs. Unfallopfer) und dem Gebrauch von Hypnotika
(Benzodiazepine, Z-Substanzen, beide gelten nach AFSSAPS als Warnstufe 3)
als Fall-Kontroll-Studie angelegt. Die unfallverursachenden Fahrer dienten als
Fälle und die Unfallopfer als Kontrollen. Außerdem wurde jedem Fall aus dem HCI
eine alters- und geschlechtsgleiche Kontroll-Person ohne Unfall zugeordnet, um
die Prävalenz des Hypnotikagebrauchs von unfallbeteiligten Kraftfahrzeuglenkern
abschätzen zu können. Die Autoren untersuchten vier Zeitperioden: 7/2005-12/2006
(vor der Einführung der Piktogramme); 1/2007-5/2008 (Zeit der flächendeckenden
Einführung der Piktogramme); 8/2008-12/2009 sowie 1/2010-12/2012 (Zeit, in
denen sich die Piktogramme etabliert hatten).
Ergebnisse: Insgesamt wurden in den untersuchten
6,5 Jahren 142.763 unfallbeteiligte Autofahrer mit NID identifiziert. Es
waren überwiegend Männer (69%) in der Altersgruppe zwischen 25-44 Jahren
(44%). Bei ca. 5% aller Unfallbeteiligten wurde ein Blutalkoholgehalt > 0,5‰
nachgewiesen. Bei 14,3% bestand zum Unfallzeitpunkt eine Verordnung für ein Arzneimittel
der Risikokategorie 2 oder 3.
48% der Unfallfahrer wurden für den Unfall verantwortlich
gemacht (= 69.353 Fälle). Die Prävalenz von Benzodiazepinen betrug
bei diesen über den gesamten Zeitraum knapp 5% (4,5% Indikation Anxiolyse und
0,45% Indikation Schlafstörungen) und von Z-Substanzen 1,9%. Bei den Fahrern,
die nicht für den Unfall verantwortlich waren, betrugen die korrespondierenden
Prävalenzen 3,2% und 1,4%. Somit lag die Prävalenz von Benzodiazepinen und
Z-Substanzen bei den Unfallverursachern um 33% höher als bei den Unfallopfern
(Odds ratio = OR: 1,42; 95%-Konfidenzintervall: 1,24-1,62). Die Prävalenz
dieser Substanzen bei den gematchten Kontrollen ohne Unfall lag bei 2,4%
(Benzodiazepine) und bei 1% (Z-Substanzen), also um etwa die Hälfte niedriger.
Dies bestätigt die Ergebnisse aus vielen anderen Untersuchungen, wonach
Benzodiazepine und Z-Substanzen das Risiko, einen Unfall zu verursachen,
signifikant erhöhen.
Das Aufbringen der Warnpiktogramme auf die
Arzneimittelpackungen hatte eine vorübergehende, aber keine nachhaltige Wirkung.
Unmittelbar nach Einführung dieser Piktogramme und der begleitenden
Informationskampagne in den Apotheken kam es bei den Benzodiazepinen (nicht bei
den Z-Substanzen) zu einer vorübergehenden deutlichen Abnahme der OR von 1,42
auf 1,08. In Periode 4 wurde dann aber wieder nahezu der Ausgangswert
erreicht (OR: 1,35). Außerdem wurde eine leichte Zunahme der Einnahmeprävalenz
sowohl von Benzodiazepinen als auch von Z-Substanzen in Periode 4
registriert.
Die Autoren stellen fest, dass die ergriffenen Maßnahmen
prinzipiell wirksam sind, der Effekt jedoch nicht nachhaltig war. Dies führen
sie in erster Linie darauf zurück, dass die begleitende Informationskampagne nur
zeitlich begrenzt und nur in den Apotheken erfolgte. Sie empfehlen vor dem
Hintergrund der Zunahme des Gebrauchs solcher Arzneimittel die Kennzeichnung
der Packungen beizubehalten sowie eine dauerhafte und wesentlich breitere
Aufklärungskampagne.
Nach unserer Einschätzung müssen sich Ärzte mehr als bislang
mit diesem wichtigen Thema beschäftigen. Für viele Arzneimittel (z.B.
Antibiotika) ist das Risiko nicht so offensichtlich wie bei den Hypnotika.
Daher sollten die Praxisprogramme bereits bei der Verordnung dieses spezielle
Risiko erwähnen und die Patienten immer darauf hingewiesen werden. Da auch
viele der in den Medien stark beworbenen rezeptfreien Arzneimittel Wirkstoffe
der Risikokategorie 2 und 3 enthalten (z.B. Erkältungsmittel mit
Antihistaminika der ersten Generation), sollte auch in der Radio- und
TV-Werbung explizit auf eine mögliche Beeinträchtigung im Straßenverkehr
hingewiesen werden.
Fazit: Arzneimittel, die die Verkehrstüchtigkeit signifikant
beeinträchtigen können, wurden bei französischen Unfallbeteiligten deutlich
häufiger gefunden als relevant erhöhte Alkoholspiegel (14,3% vs. 5%).
Benzodiazepine und Z-Substanzen waren bei den unfallverursachenden Fahrern
deutlich häufiger nachzuweisen als bei den anderen beteiligten Fahrern (OR = 1,35
für Benzodiazepine und 1,32 für Z-Substanzen). Eine Informationskampagne und
neu eingeführte Warnpiktogramme auf den Packungen dieser Arzneimittel hatten in
Frankreich einen vorübergehenden, aber keinen nachhaltigen Einfluss auf diese
Zahlenverhältnisse. Trotzdem erscheint uns dieser Ansatz richtig und sollte
auch hierzulande diskutiert werden.
Literatur
- AMB2009, 43, 89.

- Orriols, L., et al.(CESIR =Combination of studies on health and road safety): PLoS Med 2010, 7, e1000366.

- http://www.akdae.de/Arzneimittelsicherheit/DSM/Archiv/2014-19.html
(vgl. AMB 2016, 50, 25 ).
- Brunnauer, A., undLaux, G.: J. Neurol. Neurochir. Psych. 2008, 9, 31.
- Agence Française deSécurité SAnitaire des Produits de Santé (AFSSAPS).
- Orriols,L., et al.: Br. J. Clin. Pharmacol. 2016, 82, 1625.

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