Kürzlich ist im Lancet ein ausführlicher, 29seitiger Übersichtsartikel
britischer Autoren zum Nutzen-Risiko-Verhältnis von Statinen erschienen (1). Er
enthält mehrere wesentliche und praxisrelevante Aspekte.
Nachgewiesene Wirksamkeit einer LDL-Senkung durch Statine: Mehrere große randomisierte
kontrollierte Studien (RCT) haben gezeigt, dass durch Statine mit jedem mmol/l
(ca. 40 mg/dl) LDL-Senkung pro Jahr (ab dem zweiten Behandlungsjahr;
im ersten Jahr etwas geringer) das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse
(tödlicher und nicht-tödlicher Myokardinfarkt, Schlaganfall, koronare Revaskularisation)
um ein Viertel gesenkt wird (s. Tab. 1). Dieser proportionale Effekt findet
sich unabhängig vom kardiovaskulären Ausgangsrisiko, der Höhe des Ausgangscholesterins
und bei unterschiedlichen Patienten (z.B. Geschlecht, Alter). Dementsprechend
ist die absolute Senkung des Risikos umso höher, je höher das persönliche
kardiovaskuläre Ausgangsrisiko ist, und sie addiert sich unter anhaltender
Therapie in den Folgejahren (vgl. 2).
Nachgewiesene unerwünschte Wirkungen von Statinen: Eine eindeutig
belegte Nebenwirkung von Statinen ist die Myopathie, definiert als Muskelschmerzen
oder -schwäche mit erhöhten Serumwerten der Kreatinkinase (vgl. 3).
Muskelschmerzen oder -schwäche ohne erhöhte Kreatinkinase sind unter
Statin-Therapie wesentlich häufiger (vgl. 4; s.a. Tab. 1). Randomisierte
plazebokontrollierte Studien haben aber gezeigt, dass einer Statin-Therapie zugeordnete
Nebenwirkungen nicht immer auch durch Statine verursacht sind (5). Eine weitere
belegte, aber seltene Nebenwirkung von Statinen ist ein neu aufgetretener
Diabetes (6); außerdem besteht möglicherweise ein erhöhtes Risiko für
hämorrhagische Schlaganfälle (7, 8). Diese beiden Nebenwirkungen sind in
der hier besprochenen Bewertung des positiven Gesamteffekts von Statinen auf
kardiovaskuläre Endpunkte bereits berücksichtigt (1). Bei sehr hoher Statin-Dosis,
Wechselwirkungen mit Begleitmedikation (Übersicht bei 9) und bestimmten
Patientengruppen (Patienten > 80 Jahre, Frauen, Diabetiker) treten
Nebenwirkungen häufiger auf (1, 6, 10-12).
Die Autoren konstatieren, dass aufgrund der großen Zahl von
Menschen, die ein Statin einnehmen, die absolute Zahl von Patienten mit
Nebenwirkungen durchaus beträchtlich ist. Da die Nebenwirkungen (auch
vermeintliche) von den Betroffenen wahrgenommen werden – im Gegensatz zu verhinderten
kardiovaskulären Ereignissen – besteht die Gefahr, dass das Risiko für
Nebenwirkungen, verglichen mit den günstigen Wirkungen, überproportional hoch
eingeschätzt wird. Hinzu kommt, dass sowohl in der Fach- als auch in der
Laienpresse verbreitet wird, dass die sogenannte Statin-Intoleranz ein sehr häufiges
Problem ist (vgl. 4). Public-Health-Studien aus verschiedenen Ländern, z.B.
Großbritannien (13), Australien (14) und Dänemark (15) ergaben Hinweise,
dass infolge einer inadäquaten Darstellung der Statin-Intoleranz in den Medien Ärzte
in ihrem Verordnungsverhalten und Patienten in ihrer Adhärenz beeinflusst
werden. Die Autoren dieser Studien legen dar, dass mit tausenden
kardiovaskulären Ereignissen gerechnet werden muss, wenn eine klar indizierte
Therapie mit einem Statin nicht eingeleitet oder ungerechtfertigt abgesetzt
wird. Dies ist teilweise auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Hersteller
der neuen LDL-senkenden Wirkstoffe (PCSK9-Antikörper; vgl. 16) versuchen,
über die (in der EU offiziell zugelassene) Indikation „Statin-Intoleranz“ verstärkt
auf den Markt zu drängen. Eindeutige Endpunktdaten liegen für diese Wirkstoffe noch
nicht vor. Sie sollten restriktiv und nur bei eindeutiger Statin-Myopathie
(Muskelschmerzen oder -schwäche mit erhöhter Kreatinkinase) eingesetzt
werden.
Fazit: Eine aktuelle, ausführliche Zusammenfassung zu Nutzen
und Risiken von Statinen kommt zu dem Ergebnis, dass das Problem der Intoleranz
und der Nebenwirkungen von Statinen in den Fach- und Laienmedien überbewertet
wird. Die Autoren mahnen zu einer rationalen Darstellung und Wahrnehmung des
Nutzens und der Risiken. Teilweise wird dies durch Werbestrategien der
Hersteller neuer cholesterinsenkender Wirkstoffe konterkariert mit der Gefahr,
dass Statine bei klaren Indikationen zu selten verordnet werden und es dadurch zu
vermeidbaren kardiovaskulären Ereignissen kommt.
Literatur
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- AMB2012, 46, 65.

- AMB2013, 47, 91.

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Vgl. AMB 2011, 45, 52a . AMB 2010, 44, 31. 
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- Link, S., et al. (SEARCH = Study ofthe Effectiveness of Additional Reductions in Cholesteroland Homocysteine): N. Engl. J. Med. 2008, 359, 789.
AMB 2011, 45, 25 . AMB 2011, 45, 52a. 
- http://www.picker.org/ wp-content/uploads/2016/07/P2941-BHF-Statins_Final-Report _Publication.pdf

- Schaffer, A.L., et al.: Med. J. Aust. 2015, 202,591.

- Nielsen, S.F., und Nordestgaard, B.G.: Eur. Heart J. 2016, 37, 908.

- AMB 2016, 50, 72DB01
. AMB 2015, 49, 74 . AMB 2015, 49, 30. 
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