Wir hatten 2006 ausführlich über die Ergebnisse der damals
publizierten vier Phase-III-Studien an etwa 7.000 Patientinnen mit
HER2-positivem Mammakarzinom (HER2 = Humaner „Epidermal growth
factor Receptor 2“) berichtet (1). Diese Studien hatten ein
unterschiedliches Design, und die Dauer der Nachbeobachtung war zum Zeitpunkt
ihrer Publikation noch kurz. Zu diesen Studien gehört auch die HERA-(HERceptin
Adjuvant bzw. BIG 1-01)Studie, eine internationale,
multizentrische, offene Phase-III-Studie an insgesamt 5.102 Patientinnen mit
HER2-positivem frühem Mammakarzinom (2).
Die HERA-Studie wurde unter der Federführung der „Breast International
Group“ (BIG) durchgeführt und vom pharmazeutischen Unternehmer (pU) Roche
gesponsert (3). Sie rekrutierte zwischen Dezember 2001 und Juni 2005 insgesamt
5.102 Patientinnen, die von Zentren in Europa, Nord- und Südamerika sowie Japan
behandelt wurden. Die Patientinnen wurden nach Abschluss der primären Therapie
(einschließlich Operation, Chemotherapie und, sofern indiziert, Bestrahlung) im
Verhältnis 1:1:1 randomisiert und nur beobachtet oder über ein Jahr bzw.
2 Jahre adjuvant mit Trastuzumab (Herceptin®) behandelt.
Patientinnen mit Hormonrezeptor-positivem Mammakarzinom (Estrogen- oder
Progesteronrezeptor-positiv oder beides) erhielten nach Abschluss der
Chemotherapie eine adjuvante Hormontherapie (mit Tamoxifen oder
Aromatasehemmern). Genaue Angaben zur adjuvanten Behandlung (Hormontherapie,
Chemotherapie und Trastuzumab) sowie zu den Einschlusskriterien (HER2-positives
Mammakarzinom mit Bestätigung der HER2-Positivität in einem zentralen Labor;
linksventrikuläre Ejektionsfraktion ≥ 55% nach Abschluss der
adjuvanten Chemotherapie und ggf. Bestrahlung) finden sich in der ersten
Publikation der HERA-Studie und in unserem Artikel von 2006 (1, 2). Eine
Zwischenauswertung von 3.387 Patientinnen mit HER2-positivem Mammakarzinom
hatte damals eine signifikante absolute Risikoreduktion im primären Endpunkt erkrankungsfreies
Überleben („disease-free survival“ = DFS) nach ein- bzw. zweijähriger
Behandlung mit Trastuzumab gegenüber Beobachtung ergeben (2). Eine Verbesserung
des Gesamtüberlebens der Patientinnen nach Gabe von Trastuzumab konnte
jedoch damals noch nicht gezeigt werden. Auch waren Aussagen zur kardialen Sicherheit
von Trastuzumab (vgl. 4) aufgrund der kurzen Beobachtungsdauer nicht
möglich (1, 2). In der 2013 publizierten Analyse der Ergebnisse der
HERA-Studie wurde dann bereits gezeigt, dass die zweijährige Gabe von
Trastuzumab der einjährigen Behandlung nicht überlegen ist (5). Die HERA-Studie
unterschied sich von den anderen randomisierten kontrollierten Studien zum
therapeutischen Stellenwert der adjuvanten Therapie mit Trastuzumab, da in
dieser Studie vor Randomisierung die adjuvante Chemotherapie beendet sein
musste und Patientinnen auch 2 Jahre adjuvant Trastuzumab erhielten
(3, 6).
Die zuvor geplante und jetzt im Lancet publizierte endgültige
Analyse zur Wirksamkeit und den Risiken von Trastuzumab erfolgte nach einer medianen
Nachbeobachtung von 11 Jahren und basierte auf der sogenannten „Landmark“-Analyse
von 3.105 Frauen, die nach mindestens 12 Monaten und Randomisierung in
einen der beiden Trastuzumab-Arme lebten und erkrankungsfrei waren (2). Diese
Analyse gilt als Meilenstein für die wichtige Entscheidung, ob bei Patientinnen
mit HER2-positivem Mammakarzinom eine adjuvante Behandlung mit Trastuzumab über
1 oder 2 Jahre durchgeführt werden sollte. Genau die Hälfte der
Patientinnen hatte entweder ein Hormonrezeptor(HR)-positives oder HR-negatives
Mammakarzinom und bei 92% der Patientinnen mit HR-positivem Mammakarzinom
erfolgte eine adjuvante Hormontherapie. Die meisten Patientinnen erhielten die
adjuvante Chemotherapie (Anthrazykline bei 94% und Taxan bei 26% der Patientinnen)
postoperativ und bei nur 11% der Patientinnen wurde zusätzlich präoperativ eine
neoadjuvante Chemotherapie verabreicht. Etwa ein Drittel der Patientinnen (32%)
hatte eine nodal negative Erkrankung. Sowohl im DFS als auch im Gesamtüberleben
(overall survival = OS) konnte jetzt nach 11 Jahren Nachbeobachtung ein
signifikanter Unterschied gezeigt werden zwischen den mit Trastuzumab
behandelten Patientinnen und den Patientinnen im Beobachtungsarm. Die
Hazard-Ratio für die einjährige Behandlung mit Trastuzumab gegenüber
Beobachtung betrug 0,74 (95%-Konfidenzintervall = CI: 0,64-0,86) und für das OS
0,70 (CI: 0,57-0,85). Die Ergebnisse der einjährigen adjuvanten Behandlung mit
Trastuzumab unterschieden sich im DFS und OS nicht signifikant von der
zweijährigen Gabe von Trastuzumab. Unerwünschte Ereignisse (18% bzw. 22% unter
ein- bzw. zweijähriger Gabe von Trastuzumab) traten jedoch erwartungsgemäß
unter der adjuvanten Behandlung häufiger auf als in der Beobachtungsgruppe
(9%).
Die Autoren der HERA-Studie heben in der Diskussion einige
wichtige Ergebnisse hervor (3). Auch bei HER2-positivem Mammakarzinom ist der
HR-Status ein wichtiger prognostischer Faktor für Patientinnen mit frühem
Mammakarzinom. Rezidive und Todesfälle traten nach langfristiger Beobachtung
bei Frauen mit HR-negativer Erkrankung häufiger auf als bei Patientinnen mit
HR-positiver Erkrankung. Außerdem unterschieden sich diese beiden Gruppen in
der Lokalisation der Rezidive, wobei mit Ausnahme von Skelettmetastasen
(häufiger bei Frauen mit HR-positiver Erkrankung) alle anderen Lokalisationen
(ZNS, viszeral, Weichgewebe) häufiger bei Frauen mit HR-negativem Mammakarzinom
waren. Unabhängig davon zeigte sich trotz besserer Ergebnisse für die
HR-positiven Frauen auch bei den HR-negativen Patientinnen eine signifikante
Verbesserung nach einjähriger adjuvanter Behandlung mit Trastuzumab gegenüber
Beobachtung.
Bei der Interpretation des therapeutischen Stellenwerts von
Trastuzumab ist zu beachten, dass der Vorteil dieser ein- bzw. zweijährigen
adjuvanten Erhaltungstherapie gegenüber Beobachtung vermutlich größer ist, als
es die Ergebnisse der HERA-Studie in der finalen Analyse ausdrücken (3, 6).
Wesentlicher Grund hierfür ist, dass etwa 50% der Patientinnen nach Publikation
der Ergebnisse der HERA-Studie im Jahr 2005 aus dem Beobachtungsarm in die
beiden Arme mit adjuvanter Behandlung mit Trastuzumab wechselten. Die absolute
Risikoreduktion im DFS nach 11 Jahren betrug für Frauen mit einjähriger
adjuvanter Therapie mit Trastuzumab gegenüber Beobachtung 6,8% und im OS 6,5%
(nach 12 Jahren).
In der HERA-Studie erfolgte auch ein gründliches kardiales
Monitoring anhand klinischer Untersuchungen und Bestimmung der linksventrikulären
Ejektonsfraktion (LVEF) mittels Echokardiographie oder nuklearmedizinischer
Untersuchung (Multi-Gating Acquisition-Scan) – initial (im 1. Jahr) alle
3 Monate, anschließend alle 6 Monate (bis zum 3. Jahr) und dann
jährlich bis 10 Jahre nach Randomisierung (3). Der primäre kardiale
Endpunkt wurde wie folgt definiert: Grad-III- oder -IV-Toxizität entsprechend der
New York Heart Association (NYHA) und eine klinisch bedeutsame Abnahme der LVEF
um 10% gegenüber Ausgangswert und unter 50% oder kardial bedingter Tod.
Sekundärer kardialer Endpunkt war: NYHA Grad I oder Grad II mit
wiederholt bestätigter Abnahme der LVEF entsprechend den Kriterien im primären
kardialen Endpunkt. Signifikante Unterschiede im Auftreten des primären
kardialen Endpunkts (jeweils 1% in den beiden Trastuzumab-Armen) fanden sich
nicht beim Vergleich der ein- versus der zweijährigen adjuvanten Therapie mit
Trastuzumab. Sie unterschieden sich jedoch hinsichtlich der Häufigkeit (jeweils
1% bei ein- bzw. zweijähriger Gabe von Trastuzumab) gegenüber der Beobachtung
(0,1%). Auch der sekundäre kardiale Endpunkt wurde nach ein- (4,4%) bzw.
zweijähriger Gabe von Trastuzumab (7,3%) deutlich häufiger erreicht als im Arm
mit Beobachtung (0,9%). Eindeutige Hinweise auf klinisch relevante kardiale Langzeitschäden
ergab diese finale Analyse der HERA-Studie jedoch nicht.
Unbeantwortet ist bisher die Frage, ob die Wirksamkeit der –
aufgrund der Ergebnisse der HERA-Studie – heute als medizinischer Standard
geltenden einjährigen adjuvanten Therapie mit Trastuzumab bei Patientinnen mit
HER2-positivem Mammakarzinom (6) weiter verbessert werden kann. Untersucht wird
die gleichzeitige Kombination von Chemotherapie plus Trastuzumab oder plus verschiedene,
gegen HER2 gerichtete medikamentöse Therapien (z.B. Pertuzumab/Perjeta®,
Trastuzumab Emtasin/Kadcyla®, Lapatinib/Tyverb®) bzw.
eine Behandlung mit dem irreversiblen gegen HER1, HER2 und HER4 gerichteten
Tyrosinkinase-Inhibitor Neratinib nach adjuvanter Gabe von Trastuzumab
(6, 8). Für Schlagzeilen sorgen derzeit insbesondere die Ergebnisse der APHINITY
(Adjuvant Pertuzumab and Herceptin IN Intial TherapY)-Studie,
in der die adjuvante Behandlung mit Pertuzumab (6, 9) zusätzlich zu
Trastuzumab und Chemotherapie mit Taxanen untersucht wird. Trastuzumab hat in
Europa 2015 den Patentschutz verloren, und erste Biosimilars werden vermutlich
Ende 2017 verfügbar sein (10). Für den pU von Trastuzumab und Pertuzumab
(Roche) und Investoren hängt vom Ergebnis der APHINITY-Studie sehr viel ab,
denn bei besserer Wirksamkeit der Kombination beider Wirkstoffe könnten drohende
Umsatzeinbußen bei Trastuzumab durch Pertuzumab wettgemacht werden (9, 11).
Kürzlich haben jetzt bei Roche die Champagnerkorken geknallt, wie die Neue
Zürcher Zeitung am 4. März 2017 berichtete (12). In einer
Pressemitteilung von Roche vom 2.3.2017 wurde über eine statistisch
signifikante Verlängerung des invasiven DFS bei Patientinnen mit HER2-positivem
Mammakarzinom unter der kombinierten Behandlung mit Chemotherapie und
Trastuzumab plus Pertuzumab gegenüber Chemotherapie und Trastuzumab berichtet
(13). Aufgrund des positiven Resultats dieser Studie erwarten Beobachter Erlöse
für Pertuzumab bis 2021 in Höhe von 6 Mrd. CHF (12). Angesichts der
enormen ökonomischen Bedeutung dieses monoklonalen Antikörpers für Roche darf
man gespannt sein auf die Analyse der detaillierten Studiendaten – die bisher
weder auf einem Kongress vorgestellt noch in einer Fachzeitschrift publiziert
wurden – durch FDA und EMA bzw. die frühe Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen
Bundesausschuss.
Fazit: Die jetzt publizierten Langzeitergebnisse der
HERA-Studie nach medianer Beobachtung von 11 Jahren bestätigen den
therapeutischen Stellenwert der adjuvanten Behandlung mit Trastuzumab bei
Patientinnen mit HER-2-positivem Mammakarzinom. Da sich weder erkrankungsfreies
noch Gesamtüberleben nach ein- oder zweijähriger Gabe von Trastuzumab
signifikant unterscheiden, gilt heute die einjährige Therapie mit Trastuzumab
als medizinischer Standard. Aussagekräftige Ergebnisse, ob die Kombination von
Trastuzumab mit anderen, gegen HER2 gerichteten Wirkstoffen die
Therapieergebnisse weiter verbessern können, liegen noch nicht vor.
Literatur
- AMB 2006, 40, 41.

- Piccart-Gebhart, M.J., et al. (HERA = HERceptin Adjuvanttrial): N. Engl. J. Med. 2005, 353, 1659.

- Cameron, D., et al. (HERA = HERceptinAdjuvant trial): Lancet2017 Feb16. pii: S0140-6736(16)32616-2. doi: 10.1016/S0140-6736(16)32616-2. [Epub aheadof print].
- AMB 2016, 50, 89.

- Goldhirsch, A., et al. (HERA= HERceptin Adjuvant trial): Lancet 2013, 382, 1021.

- Specht, J.M., und Davidson, N.E.: Lancet 2017 Feb 16. pii: S0140-6736(17)30322-7. doi: 10.1016/S0140-6736(17)30322-7. [Epub ahead of print].
- http://www.awmf.org/...

- http://eprints.hta.lbg.ac.at/1116/

- https://www.nzz.ch/wirtschaft/ pharmaindustrie-roche-bangt- einer-diagnose-entgegen-ld.145375

- Ludwig, W.-D., und Dicheva, S.: Z. Gastroenterol.2016, 54, 1223.

- http://www.wallstreet-online.de/ nachricht/9328912-jefferies-belaesst-roche-holdings-ag-buy

- https://www.nzz.ch/finanzen/ pharmaindustrie-roche-titel-feiern-einen-erfolg-ld.148751

- http://www.roche.com/...

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