Kreuzschmerzen sind ein Symptom, keine definitive Diagnose.
Viele Menschen leiden rezidivierend unter Kreuzschmerzen, z.B. ausgelöst durch
einseitige physische Belastungen, oft auch durch zu langes Sitzen. Ob
Kreuzschmerzen im Einzelfall durch eine entzündliche oder tumoröse Erkrankung
verursacht sind, muss differentialdiagnostisch abgeklärt werden. R. Chou et al.
aus den USA (1) haben kürzlich für das US-amerikanische College of Physicians
(ACP) die Ergebnisse einer systematischen Review über die Medikation bei Kreuzschmerzen
(low back pain) veröffentlicht. Sie soll die Leitlinie des ACP aus dem Jahr
2007 (2) ersetzen. Der Artikel basiert auf der üblichen Suche und Auswahl englischsprachiger
Abstracts (n = 2847) und ausführlicher Publikationen (n = 746),
von denen am Ende 46 für die genaue Auswertung in Frage kamen. Es handelt sich überwiegend
um randomisierte kontrollierte Studien (RCT) mit großer Patientenzahl und
akzeptabler Methodik.
Die Ergebnisse werden gesondert nach akuten (seit
< 4 Wochen) und chronischen Kreuzschmerzen mit oder ohne Schmerzausstrahlung
wiedergegeben. Sie betreffen folgende Wirkstoffe bzw. Wirkstoffgruppen:
Paracetamol (Acetaminophen), nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAID), Opioide,
Tramadol, Tapentadol, Antidepressiva, Muskelrelaxanzien, Benzodiazepine, Glukokortikosteroide
(systemisch) und bestimmte Antiepileptika, alle jeweils verglichen mit Plazebo,
keiner Therapie oder anderen Therapien. Patienten mit rheumatologischen,
spezifisch entzündlichen oder tumorösen Krankheiten wurden ausgeschlossen.
Anhand einheitlicher Beschwerde- bzw. Funktionsskalen wurde versucht, die
Wirksamkeit der verschiedenen Wirkstoffe, immer hinsichtlich einer klinischen
Relevanz, als „fehlend“, „moderat“ oder „groß/substanziell“ zu klassifizieren.
Ergebnisse: Wie schon in unserer Kleinen Mitteilung
vom Mai 2015 dargestellt (3), wird dem bisher oft zur Ersttherapie empfohlenen
Paracetamol keine klinisch relevante Wirksamkeit zuerkannt. Das trifft für akute
und chronische Kreuzschmerzen zu. Der schmerzlindernde Effekt von NSAID bei
akuten Kreuzschmerzen wird als gering bis moderat eingeschätzt, etwas
stärker bei chronischen Beschwerden, und hinsichtlich einer Funktionsverbesserung,
in die auch die Arbeitsfähigkeit eingeht, ebenfalls als gering. Die möglichst
zu vermeidenden Opioide sowie Buprenorphin als Pflaster oder sublingual (vgl.
Übersicht bei 9) werden bei akutem Kreuzschmerz als schwach wirksam eingestuft.
Zu diesen Wirkstoffen waren bei chronischem Rückenschmerz keine
Bewertungen möglich. Tramadol soll bei akutem Kreuzschmerz moderat
wirksam sein und die Funktion etwas verbessern. Auf die erheblichen Nebenwirkungen
der Opioide und von Tramadol wird hingewiesen. Zu Langzeitschäden, besonders
Sucht- und Überdosierungsgefahr, kann die Review keine substanziellen Aussagen
machen. Muskelrelaxanzien seien bei akutem Kreuzschmerz für einige Tage moderat
schmerzlindernd, zu chronischen Schmerzen sind keine Aussagen möglich.
Zu Benzodiazepinen und systemischen Kortikosteroiden bei akutem
Kreuzschmerz lauten die Beurteilungen unklar bzw. wirkungslos. Ähnlich sind die
Aussagen zum chronischen Kreuzschmerz, wobei hier auch Antiepileptika,
wie Gabapentin und Pregabalin, sowie Antidepressiva (trizyklische und
Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer) als wirkungslos bezeichnet werden. Für das
Antidepressivum Duloxetin wurde jedoch ein geringer schmerzlindernder und die
Funktion verbessernder Effekt ermittelt.
Mit einer weiteren aktuellen systematischen Review
versuchten Chou et al. die Wirksamkeit nicht-medikamentöser Interventionen
(nicht invasiver Art) bei Rückenschmerzen zu beurteilen (4). Sie bestätigen
frühere Feststellungen, dass Bewegungsübungen, manuelle Therapien und Massagen
sowie Akupunktur schmerzlindernd sein können. Mit schwacher Evidenz wurde als
neues Ergebnis Tai Chi als wirksam befunden.
Insgesamt ist die Lektüre dieser Review aus klinischer Sicht
unbefriedigend. Die Anwendung der mitgeteilten Erkenntnisse im Rahmen individueller
Krankenversorgung ist begrenzt, weil die Aussagen zu fast allen Wirkstoffgruppen
aus einzelnen RCT mit unterschiedlichen Ergebnissen stammen und eine
summarische Bewertung vermutlich die Tendenz zur Nivellierung hat. Das von den
Autoren herausgestellte wichtigste Ergebnis, nämlich die geringe bis fehlende
Wirksamkeit von Paracetamol, ist aus neueren Studien bekannt. Insgesamt ergibt
sich eine Bestätigung der vermutlich bei den meisten Patienten mit
Kreuzschmerzen angewandten Methoden: Entlastung der LWS, Bewegungsübungen, Wärmeanwendung
und moderater Gebrauch von NSAID, möglichst kurzfristig. Zumindest bei akutem
Kreuzschmerz besitzen Opioide, Benzodiazepine und Antiepileptika sowie
systemische Glukokortikosteroide keine überzeugende Wirksamkeit und sollten auch
wegen ihrer Nebenwirkungen gemieden werden.
Besonders bei Kreuzschmerzen mit Ausstrahlung nach distal ergibt
sich die Differenzialdiagnose zum Ischias-Syndrom. Hierzu sind in einer
aktuellen Ausgabe des N. Engl. J. Med. mehrere Artikel erschienen: Ein RCT
belegt, dass Pregabalin, ein Antiepileptikum mit Wirksamkeit auch bei
neuropathischen Schmerzen, beim Ischias-Syndrom unwirksam ist (5). Ein
Editorial kommentiert diesen Artikel (6) und in einem weiteren diskutieren zwei
Antipoden das Für und Wider operativer Eingriffe bei Ischiasbeschwerden mit
gesichertem lateralem Bandscheibenvorfall und Nervenwurzel-Kompression (7).
Auch hierzu haben wir bereits früher Stellung genommen (8).
Fazit: Eine systematische Review zur pharmakologischen
Therapie bei akutem und chronischem Rückenschmerz ergab als Hauptbefund eine
weitgehende Wirkungslosigkeit von Paracetamol, eine schwache Wirksamkeit von
NSAID und Muskelrelaxanzien und bei chronischem Rückenschmerz eine gewisse
Wirksamkeit des Antidepressivums Duloxetin. Die Wirksamkeit von Opioiden im
nebenwirkungsarmen Dosisbereich ist gering, speziell auch die von Tramadol.
Antiepileptika sind bei akutem und chronischem Kreuzschmerz wirkungslos.
Literatur
- Chou, R., etal.: Ann. Intern. Med. 2017, 166, 480.

- Chou, R., etal.: Ann. Intern. Med. 2007, 147, 478.
Erratum: Ann. Intern. Med.2008, 148, 247.
- AMB 2015, 49, 37.

- Chou, R., et al.: Ann. Intern. Med. 2017. doi.10.7326/M16-2459.

- Mathieson,S., et al. (PRECISE = Pregabalin in addition to usual care for sciatica): N.Engl. J. Med. 2017, 376, 1111.
- Attal,N., und Barrot, M.: N. Engl. J. Med. 2017, 376, 1169.

- Ramaswami,R., et al.: N. Engl. J. Med. 2017, 376, 1175.

- AMB 2013, 47, 28.

- AMB 2011, 45,65.

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