Frage von U.N.
aus N.: >> Ich bin Arzt i.R. und habe selbst eine Statin-Myopathie ohne Erhöhung
der Kreatinkinase (CK) mit Muskelschmerzen und -schwäche im Laufe einer
15-jährigen Statin-Therapie entwickelt. Vor 1,5 Jahren wurden die Statine
schließlich abgesetzt, und ich bekam Evolocumab. Danach kam es zu einer
Reduktion der Muskelbeschwerden um nur 50%. Wie schätzen Sie dies ein? <<
Antwort: >> Die Häufigkeit von Muskelschmerzen unter Evolocumab
beträgt laut europäischen Zulassungsunterlagen dosisabhängig 1,7-3,1%, und
Muskelkrämpfe werden bei 1,4-2,0% beschrieben (1). Diese Werte liegen jeweils
im Bereich von Plazebo. In der großen FOURIER-Studie mit über 24.000 Patienten
wurden „muskelbezogene Ereignisse“ auch bei 5% der Patienten beobachtet,
ebenfalls im Bereich von Plazebo (2). Spezifische Nebenwirkungen an der
Skelettmuskulatur werden in der Fachinformation zu Evolocumab nicht explizit
genannt und sind bislang nach unserem Wissen auch nicht beschrieben.
Patienten mit bekannter Statin-Myopathie wurden 2016 in der GAUSS-3-Studie untersucht (3). In
diese Studie wurden 511 Patienten mit wiederholten Muskelbeschwerden
(83,5% nur Schmerzen, 16,5% mit CK-Anstieg) unter mindestens zwei verschiedenen
Statinen (81,5% ≥ 3 Statine) eingeschlossen. 492 Patienten ohne
bedeutsame CK-Erhöhung wurden zunächst plazebokontrolliert mit Atorvastatin
reexponiert, um diejenigen mit relevanten Nozebo-Reaktionen herauszufiltern. 19
Patienten hatten im Vorfeld eine > 10-fach über die Norm erhöhte CK und
wurden aus Sicherheitsgründen nicht reexponiert, sondern in die zweite Studienphase
(s.u.) eingeschleust.
Die 492 Re-Exponierten (50% Frauen, mittleres Alter
60,7 Jahre) erhielten nach einer 4-wöchigen Washout-Phase ohne Lipidsenker
in einem Cross-Over-Design doppelblind jeweils über 10 Wochen nacheinander
20 mg/d Atorvastatin oder Plazebo bzw. vice versa. Das Cross-Over wurde
nochmals durch eine 2-wöchige Washout-Phase unterbrochen. Alle
Studienteilnehmer wurden über 28 Wochen insgesamt achtmal einbestellt und
standardisiert nach ihrem Wohlbefinden und Unverträglichkeiten befragt (SF-36
und Brief Pain Inventory Fragebögen), und es wurde ihnen Blut zur Messung der
CK entnommen.
3,9% brachen die Studie vorzeitig ab. 17,3% hatten während
dieser Zeit weder unter Plazebo noch unter Atorvastatin Muskelschmerzen. 9,8%
hatten sowohl unter Plazebo als auch unter Atorvastatin Muskelschmerzen und
26,5% nur unter Plazebo, nicht aber unter Atorvastatin. Bei allen diesen
Patienten (53,6%) wurde die Diagnose „Statin-Myopathie“ in Frage gestellt bzw.
bedeutsame Nozeboeffekte postuliert.
209 Patienten (42,6%) hatten nur unter Atorvastatin, nicht
aber unter Plazebo Muskelschmerzen. Bei diesen wurde eine tatsächliche
Statin-Myopathie angenommen, und sie gingen, gemeinsam mit den 19 Patienten
mit ausgeprägten CK-Anstiegen im Vorfeld, in die zweite Studienphase über.
Letztlich erhielten 218 Patienten mit erwiesener Statin-Myopathie in einer
zweiten Studienphase über 24 Wochen doppelblind in einem 1:2-Doppel-Dummy-Design
entweder Ezetimib (10 mg/d, n = 73) oder Evolocumab (einmal 420 mg/Monat,
n = 145). Während dieser 6 Monate erfolgten weitere 8 Visiten
mit körperlichen Untersuchungen, Fragebögen und Blutentnahmen. Hierbei wurden
in der Ezetimib-Gruppe bei 21 (28,8%) und in der Evolocumab-Gruppe bei 30 Patienten
(20,7%) Muskelbeschwerden registriert. Bedeutsame CK-Anstiege wurden bei einem
Patienten mit Ezetimib und bei vier mit Evolocumab gefunden.
Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass
wahrscheinlich mehr als die Hälfte der Muskelbeschwerden unter Statinen durch
Nozebo- (Konditionierung, negative Erwartungen) und unspezifische Effekte
(Muskelbeschwerden aus anderen Gründen, Beobachtungs-Artefakte) hervorgerufen
werden. Bei diesen Patienten ist zu erwarten, dass sie auch unter jedem anderen
Lipidsenker –
also auch unter einem PCSK9-Hemmer – in einem erheblichen Anteil
Muskelbeschwerden entwickeln. Uns ist leider keine Methode bekannt, wie dieser
Nozeboeffekt nachhaltig überwunden werden kann.
Etwa ein Fünftel der Statin-intoleranten Patienten, bei
denen Nozeboeffekte keine große Rolle zu spielen scheinen, entwickelten in der
GAUSS-3-Studie auch unter Evolocumab Muskelschmerzen. Die Gründe hierfür sind
(noch) nicht bekannt. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass hierfür nicht toxische,
inflammatorische oder metabolische Prozesse eine bedeutsame Rolle spielen,
sondern spontane muskuläre Störungen, negative Erwartungen und
Beobachtungsartefakte. <<
Literatur
- http://www.ema.europa.eu/...

- Sabatine,M.S., et al. (FOURIER = Further cardiovascular OUtcomes Research withPCSK9 Inhibition in subjects with Elevated Risk): N. Engl. J. Med. 2017,March 17. DOI: 10.1056/NEJMoa1615664.

- Nissen,S., et al. (GAUSS-3= Goal Achievement after Utilizing an Anti-PCSK9 antibodyin Statin intolerant Subjects-3): JAMA 2016, 315, 1580.

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