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Chemotherapie: Kühlkappen gegen Haarausfall?

Haarausfall gehört zu den häufigsten Nebenwirkungen einer Chemotherapie und wird von den Patient(inn)en oft als besonders belastend und stigmatisierend erlebt. Um den Haarausfall zu verringern, werden seit den 1970-iger Jahren spezielle Kühlkappen verwendet (1). Man nimmt an, dass die Hypothermie der Kopfhaut über eine Vasokonstriktion der lokalen Blutgefäße die Aufnahme der zytotoxischen Wirkstoffe in die Haarfollikel begrenzt und ihre Stoffwechselaktivität vermindert. Die Kühlkappen werden 10-30 Minuten vor Beginn der Chemotherapie aufgesetzt und bis zu 90 Minuten nach der Behandlung getragen. Zur Wirksamkeit von Kühlkappen gibt es nur wenige Daten aus meist kleinen Studien, die zudem schwer zu interpretieren sind, weil unterschiedliche Kühlsysteme bei verschiedenen Chemotherapie-Schemata angewendet wurden. Eine Metaanalyse zur Wirksamkeit von verschiedenen Interventionen zur Prävention von Haarausfall unter einer Chemotherapie ergab, dass die Kühlung der Kopfhaut die einzige Maßnahme ist, die das Risiko von Haarausfall signifikant reduziert (1). In der S3-Leitlinie „Supportive Therapie bei onkologischen Patient(inn)en“ (2) heißt es zur Kopfhautkühlung, dass sie angeboten werden kann (Empfehlungsgrad 0, Level of Evidence 2b).

Nun wurden zwei prospektive Untersuchungen zum Nutzen von Kühlkappen zur Prävention von Haarausfall unter adjuvanter Chemotherapie bei Brustkrebs veröffentlicht (3, 4). Die Studien wurden von zwei verschiedenen Herstellern von Kopfhaut-Kühlsystemen finanziert, durchgeführt und publiziert.

In die eine Untersuchung, eine randomisierte, kontrollierte Studie, wurden 182 Frauen mit Brustkrebs im Stadium I oder II eingeschlossen, die entweder eine Taxan- oder eine Anthrazyklin-basierte Chemotherapie (vier Zyklen) erhielten (3). Primärer Endpunkt zur Wirksamkeit war der erfolgreiche Erhalt der Haare (Common Terminology Criteria for Adverse Events = CTCAE Grad 0: kein Haarverlust oder Grad 1: < 50% Haarverlust, keine Perücke notwendig). Zu den sekundären Endpunkten gehörte die Lebensqualität der Patientinnen, gemessen mit drei verschiedenen Instrumenten (European Organisation for Research and Treatment of Cancer Quality of Life Questionnaire-Core 30 = EORTC QLQ-C30), Hospital Anxiety and Depression Scale, Zusammenfassung des Body Image Scale). Zum Zeitpunkt einer vorab geplanten Zwischenanalyse waren 142 Patientinnen auswertbar. Die Studie wurde nach Auswertung der Zwischenanalyse auf Grund der Wirksamkeit der Kühlkappe abgebrochen: 48 von 95 Patientinnen, die eine Kühlkappe getragen hatten, behielten ihre Haare, aber keine der 47 Frauen in der Kontroll-Gruppe (95%-Konfidenzintervall = CI: 40,7%-60,4%) vs. 0% (CI: 0%-7,6%). Zur Lebensqualität ergaben sich keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Als Nebenwirkungen der Kühlkappen wurden Kältegefühl und Kopfschmerzen berichtet, schwere Nebenwirkungen wurden nicht dokumentiert.

Die andere Studie wurde als prospektive, multizentrische Kohortenstudie durchgeführt, in die insgesamt 122 Frauen mit Brustkrebs im Stadium I oder II eingeschlossen wurden (4). Primärer Endpunkt zur Wirksamkeit war ebenfalls ein Haarverlust von < 50%, den die Patientinnen auf der Basis standardisierter Fotos selbst einschätzten. Die Fotos wurden außerdem von einem Panel von drei Personen bewertet, die nicht wussten, ob die Patientinnen eine Kühlkappe getragen hatten. Zu den sekundären Endpunkten gehörte auch in dieser Studie die Lebensqualität, die mit einem krankheitsspezifischen Fragebogen (EORTC QLQ) erhoben wurde. Die Patientinnen erhielten über durchschnittlich 2,3 Monate eine Taxan-basierte Chemotherapie, keine Patientin erhielt ein Anthrazyklin. Auch in dieser Studie wurde eine vorab geplante Zwischenanalyse durchgeführt. Von den 101 Patientinnen mit Kühlkappe hatten 67 (66%) < 50% Haarverlust, verglichen mit keiner Patientin in der Kontroll-Gruppe (0/16). Die Rekrutierung der Patientinnen in die Gruppe ohne Kühlkappe wurde deshalb gestoppt. Zur Lebensqualität ergaben sich bei 3 von 5 Items bessere Werte bei den Patientinnen, die eine Kühlkappe getragen hatten. Zu den Nebenwirkungen gehörten auch in dieser Studie in erster Linie Kopfschmerzen und Kältegefühl.

Die Ergebnisse beider Studien weisen ein hohes Risiko für systematische Verzerrungen (Bias) auf, u.a. aufgrund der Beteiligung der Hersteller der Kühlkappen, des Abbruchs der Studie nach einer Zwischenanalyse und der sehr niedrigen Patientinnenzahlen. In der Zusammenschau mit den bereits vorliegenden Daten kann man jedoch von einer gewissen Wirksamkeit von Kühlkappen zur Verhinderung von Haarausfall unter einer Chemotherapie ausgehen. Allerdings wird von einigen Autoren die Gefahr von Metastasen in der Kopfhaut als Folge der verringerten Exposition gegenüber den Zytostatika diskutiert. Dazu gibt es wenige Fallberichte, z.B. bei einem Patienten mit Mycosis fungoides (5). Deswegen wird die Verwendung von Kühlkappen bei Patienten mit zirkulierenden malignen Zellen wie bei Lymphomen und Leukämien nicht empfohlen (1). Kontraindiziert sind Kühlkappen u.a. bei Kryoglobulinämie oder Nachweis von Kälteagglutininen (1). Bei Leberfunktionsstörungen ist ihre Wirksamkeit möglicherweise eingeschränkt wegen der verzögerten Metabolisierung der Chemotherapeutika (1).

Je nach Zahl der Chemotherapie-Zyklen werden die Kosten des Verfahrens für die USA auf 1.500-3.000 US-$ geschätzt (6). In Deutschland werden Kopfhautkühlsysteme nur vereinzelt in Praxen und Krankenhäusern angeboten.

Fazit: Kühlkappen können den Haarverlust bei einer Chemotherapie begrenzen, wie Daten aus einer Metaanalyse und zwei aktuell publizierten Studien zeigen. Aufwand, Kosten und vor allem Fragen zur Langzeitsicherheit sprechen allerdings gegen eine generelle Empfehlung für den Einsatz von Kühlkappen zur Vermeidung dieser meist vollständig reversiblen Nebenwirkung.

Literatur

  1. Shin,H., et al.: Int. J. Cancer 2015, 136, E442. Link zur Quelle
  2. http://leitlinienprogramm-onkologie.de/… Link zur Quelle
  3. Nangia,J., et al. (SCALP = SCALpcooling to Prevent chemo-induced hair loss): JAMA 2017, 317, 596. Link zur Quelle
  4. Rugo,H.S., et al.: JAMA 2017, 317, 606. Link zur Quelle
  5. Witman,G., et al.: Cancer Treat. Rep. 1981, 65, 507. Link zur Quelle
  6. Hershman,D.L.: JAMA 2017, 317, 587. Link zur Quelle