Diese Frage wird von
Praktischen Ärzten und Diabetologen sehr unterschiedlich
beantwortet. Ergebnisse von randomisierten, kontrollierten Studien
(RCT) sind kontrovers, verneinen aber überwiegend diese Frage
(1). Bei Typ-1- und bei Typ-2-Diabetikern, die einer Insulintherapie
bedürfen, ist die Selbstmessung der Blutglukose (SMBG) Standard.
L.A. Young et al.,
Mitglieder einer 15 allgemeinärztliche Praxen umfassenden
Vereinigung in North Carolina, USA, die sich um praxisnahe
Versorgungsforschung bemühen (Stakeholder-driven comparative
effectiveness research; 2) führten von Januar 2014 bis Juli 2015
folgende pragmatische, offene RCT durch (3): 450 Typ-2-Diabetiker
> 30 Jahre mit HbA1c-Werten zwischen 6,6% und 9,4% während
der letzten sechs Monate wurden (nach Aufklärung und Zustimmung)
in drei Gruppen randomisiert: 1. Keine geplante SMBG,
2. Einmaltägliche SMBG mit Schulung über
Verhaltensregeln als Folge der Messergebnisse, 3. Wie Gruppe 2,
aber mit anschließendem Feedback mittels automatischer
Empfehlung vonseiten des Blutzucker-Messgeräts („Telcare
meter“) unter Berücksichtigung des BG-Werts sowie der Zeit
und des Abstands von der letzten Mahlzeit. Die Glukometer zeichneten
alle BG-Werte auf, so dass das betreuende Forschungsteam die Adhärenz
der Probanden bezüglich der vorgesehenen Messungen überprüfen
konnte. Primärer
Endpunkt
der Studie waren die HbA1c-Werte im Vergleich mit den Ausgangswerten
sowie die mit Fragebögen ermittelte Änderung der
gesundheitsbezogenen Lebensqualität (HRQOL) nach 52 Wochen.
Charakteristika der Patienten in den drei Gruppen (Mediane): Alter
61-63 Jahre; 51-55% Frauen; bekannte Diabetes-Dauer: 6 Jahre;
bei 10-18% Diabetes-Dauer < 1 Jahr; BMI 33-34 kg/m2;
geringes Wissen über Diabetes: 36-40%; 58-68% „kaukasisch“,
27-34% „schwarz“; Zahl der Komorbiditäten: 3.
Medikation: Metformin: 76-81%, Sulfonylharnstoffe 33-40%,
Thiazolidinedione/GLP-1-Antagonisten/DPP4-Inhibitoren: zusammen
16-27%. Über 90% der Probanden hatten bereits SMBG-Geräte
benutzt, 72-78% benutzten solche Geräte vor Beginn der Studie
regelmäßig oder gelegentlich.
Ergebnisse:
Ca. 93% der Probanden erfüllten das gesamte Programm (HbA1c und
HRQOL). Mittlere HbA1c-Werte in allen Gruppen waren initial 7,5%.
Intermediäre HbA1c-Messungen sechs Monate nach Beginn der Studie
ergaben in Gruppe 1 eine Senkung von ca. 0,15%-Punkten, in
Gruppen 2 und 3 von ca. 0,5%-Punkten. Am Ende der Studie, nach
12 Monaten, lagen alle drei Gruppen bei ca. 7,5% wieder nahezu
gleichauf. Die Häufigkeit der (vorgesehen täglichen)
BG-Messungen nahm im Laufe des Jahres kontinuierlich ab, mehr in
Gruppe 3 (auf ca. 55%) als in Gruppe 2 (auf ca. 65%). Die
Fragebögen hinsichtlich Lebensqualität ergaben keinen
signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen und im Vergleich mit
den Basiswerten zu Beginn der Studie. Im Laufe der Studie hatten 8,6%
versus 4% versus 5,4% der Patienten in Gruppen 1, 2 und 3 eine
Insulintherapie begonnen. Es traten keine unerwünschten
Ereignisse ein, die der Studie oder der Zuordnung zu
unterschiedlichen SMBG-Gruppen zugeordnet werden konnten. Die Autoren
schließen aus ihren Ergebnissen, dass die regelmäßige
SMBG mit oder ohne automatische Feedback-Informationen bei
Typ-2-Diabetikern ohne Insulintherapie keinen klinisch relevanten
Vorteil hat, auch hinsichtlich Verbesserung der HbA1c-Werte, im
Vergleich mit Standardkontrollen durch den behandelnden Arzt.
Diskussion:
Diese Ergebnisse stimmen weitgehend mit denen einer
Cochrane-Metaanalyse aus dem Jahr 2012 von 12 RCT an insgesamt
3.259 Patienten mit vergleichbaren Charakteristika (DM Typ 2
ohne Insulin) überein (1): Bei Patienten mit einer bekannten
Diabetes-Dauer von > 1 Jahr ist der Effekt regelmäßiger
SMBG auf die Kontrolle der Glykämie bis zu sechs Monaten gering
und verliert sich nach einem Jahr. Übereinstimmung ergab sich
auch hinsichtlich fehlender Effekte auf HRQOL. Unklar blieb der
Effekt von regelmäßiger SMBG auf die Vermeidung von
Hypoglykämien und Spätkomplikationen des Diabetes. Die
Autoren der jetzigen Studie (2) räumen ein, dass „absence
of evidence“ nicht gleich sei mit „evidence of absence“
eines potenziell positiven Effekts von SMGB bei Diabetikern mit
dieser Behandlungsart. So hatten auch Probanden der Gruppe 1
gelegentlich BG-Messungen durchgeführt und deren Ergebnisse mit
den behandelnden Ärzten diskutiert. Aus unserer Sicht sollte
Typ-2-Diabetikern ohne Insulintherapie nicht generell regelmäßige
SMBG empfohlen werden. Das trifft sicher auf Patienten zu, die nur
diätetisch oder zusätzlich mit Metformin behandelt werden.
Bei Verwendung von oralen Antidiabetika mit Hypoglykämie-Potenzial
sollte die Empfehlung für gelegentliche (situative) oder
regelmäßige SMBG aufgrund der Vorgeschichte des Patienten,
seiner Präferenz und der Evidenz-gestützten Präferenz
des behandelnden Arztes geschehen.
Die Ergebnisse von Young
et al. (3) werden in einem kurzen Editorial (4) kommentiert mit der
Bemerkung „less is more“ und begrüßt im Sinne
der „Choosing Wisely“-Initiative der Society of General
Internal Medicine und der Endocrine Society (5).
Fazit:
Eine Cochrane-Metaanalyse von 12 randomisierten, kontrollierten
Studien aus dem Jahr 2012 und eine aktuelle pragmatische Studie aus
den USA an Typ-2-Diabetikern ohne Insulintherapie ergaben, dass
regelmäßige Selbstmessung der Blutglukose mit oder ohne
Rückinformation bzw. Anweisung vonseiten des Messgeräts
nach sechs Monaten zu einer geringen Senkung des HbA1c führte.
Nach einem Jahr war sie aber nicht mehr nachzuweisen. Auch die
gesundheitsbezogene Lebensqualität wurde durch die regelmäßige
SMBG nicht verbessert.
Literatur
-
Malanda,
U.L., et al.: Cochrane Database Syst. Rev. 2012
Jan 18;1:CD005060.

-
Selby,
J.V., et al.: JAMA 2015, 314,
2235.

-
Young,
L.A., et al.: JAMA Intern. Med. 2017, 177,
920.

-
Khoong,
E.C., und Ross, J.S.: JAMA Intern. Med. 2017, 177,
929.

-
ABIM
Foundation (American
Board
of Internal
Medicine).
Choosing Wisely.

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