Etwa 50% aller stationär
aufgenommenen Patienten bekommen während ihres Aufenthalts
mindestens ein Antibiotikum (1). Bei 20-30% besteht keine Indikation,
d.h. die Therapie ist überflüssig (2-6). Als Gründe
gelten u.a. ungenügende Ausbildung, Unsicherheit und
ungerechtfertigtes Sicherheitsgefühl bei der Verordnung von
Antibiotika. Dabei wird aber häufig vergessen, dass Antibiotika
zum Teil erhebliche, klinisch relevante Nebenwirkungen (NW)
verursachen können (vgl. 7). Hierzu gehören
allergische Reaktionen, Endorgan-toxische Schädigungen,
Ausbreitung von resistenten Keimen, neurologische Symptome mit
Verwirrtheit (besonders bei Älteren) und die
Clostridium-difficile-assoziierte
Erkrankung (CDAD; 8-13). Schätzungen zum Ausmaß der durch
Antibiotika verursachten NW in Krankenhäusern sind kaum
verfügbar. In einer retrospektiven Analyse von Patienten, die
wegen NW von Arzneimitteln in Notaufnahmen vorstellig wurden, waren
19% auf Antibiotika zurückzuführen (14). Zu NW von
Antibiotika im Krankenhaus wurde kürzlich eine retrospektive
Studie publiziert (15).
Diese Studie wurde an der
Johns Hopkins Universität in Baltimore, USA, durchgeführt.
Eingeschlossen wurden Patienten ≥ 18 Jahre, die zwischen
September 2013 und Juni 2014 dort auf eine der Inneren Abteilungen
aufgenommen worden waren. Als antibiotisch behandelte Patienten
galten solche, die mindestens ein Antibiotikum über mindestens
24 Stunden erhalten hatten. Ausgeschlossen wurden Patienten mit
prophylaktisch verordneten Antibiotika, mit Antibiotika wegen nicht
infektiöser Indikationen (z.B. Erythromycin für die
Darmmotilität, Rifaximin zur Verhinderung der hepatischen
Enzephalopathie), sowie mit topischen bzw. inhalativen Antibiotika
oder Tuberkulostatika.
Die Patientenakten wurden
im Zeitraum von 30 Tagen nach Beginn der antibiotischen Therapie
auf folgende Antibiotika-assoziierte NW untersucht:
gastrointestinale, dermatologische, muskulo-skelettale,
hämatologische, hepatobiliäre, renale, kardiologische und
neurologische. Es wurde ein Nachbeobachtungszeitraum von 90 Tagen
eingeplant, um die Entwicklung einer CDAD und Infektionen mit
multiresistenten Keimen zu erfassen. Die Erhebung wurde von zwei
erfahrenen Ärzten mit infektiologischer Expertise durchgeführt.
Von den 5.579 in dem oben
genannten Zeitraum aufgenommenen Patienten erhielten 1.488 (27%) eine
antibiotische Therapie. Den meisten dieser Patienten (1.176 = 79%)
wurde mehr als ein Antibiotikum während des stationären
Aufenthalts verordnet. Die
Patienten waren im Median 59 Jahre alt (IQR: 49-69 Jahre)
und 758 (51%) waren Frauen. Die
häufigsten Gründe für die Verschreibung eines
Antibiotikums waren Harnwegsinfektionen (12%), Haut- und
Weichteil-Infektionen (8%) sowie ambulant erworbene Pneumonien (7%).
Von den insgesamt 324
festgestellten NW, traten 186 (57%) in den ersten 30 Tagen auf.
Der Zeitpunkt bis zum Auftreten von NW in der 30-Tage-Auswertung war
im Median 5 Tage (IQR: 3-8 Tage). Gastrointestinale (42%),
renale (24%) und hämatologische NW (15%) waren am häufigsten.
Nach jeder 10. Applikation eines Antibiotikums pro Patient
erhöhte sich das Risiko für eine NW um 3%.
Bei 287
(19%) Patienten, die ein Antibiotikum (oder mehrere Antibiotika)
systemisch erhalten hatten, bestand keine Indikation für eine
antibiotische Behandlung. Auch in dieser Gruppe ohne Indikation für
eine antibiotische Behandlung entwickelten 56 Patienten (20%)
eine Antibiotika-assoziierte NW, einschließlich 7 CDAD.
In der 90-Tage-Analyse wurden 138 NW gefunden, davon 54 (29%)
CDAD und 84
(61%) Infektionen mit multiresistenten Erregern.
Die genauere Analyse
ergab, dass 314 der 324 (97%) NW klinisch relevant waren, denn sie
waren verbunden mit Wiederaufnahme ins Krankenhaus, Verlängerung
des stationären Aufenthalts oder mit zusätzlichen
apparativen oder Laboruntersuchungen. In dieser Studie kam es zu
keiner tödlichen NW.
Fazit:
Antibiotika-assoziierte Nebenwirkungen sind häufig und oft auch
klinisch relevant. Antibiotika sollten – auch deswegen –
nur bei klarer Indikation verordnet werden.
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