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Gabe von Antibiotika vor stationärer Aufnahme bei Verdacht auf Sepsis nicht hilfreich?

In den letzten Jahren hat sich die sehr frühzeitige antibiotische Therapie bei Sepsis quasi als Doktrin durchgesetzt (1), obwohl die Evidenz für dieses Vorgehen nur von retrospektiven, unkontrollierten Studien stammte und prospektive Studien dies nicht nahelegten (2-4). Bis heute gibt es keine prospektive, randomisierte, kontrollierte Studie, die einen Nutzen einer sehr frühen antibiotischen Therapie bei Verdacht auf Sepsis belegt. Neben den Hausärzten sind es oft Rettungssanitäter und Notärzte, die schwer erkrankte Patienten als erste sehen. Bei einigen schwerwiegenden Erkrankungen haben Sofortmaßnahmen vor Einlieferung ins Krankenhaus einen großen Nutzen. Dazu gehören Polytrauma, Herzinfarkt und Schlaganfall (5-7). Nun wurde eine multizentrische, prospektive, randomisierte Studie bei Verdacht auf Sepsis vorgelegt (8). Im Rahmen dieser Studie wurde das Rettungspersonal auch trainiert, eine Sepsis zu erkennen (z.B. Temperatur > 38°C oder < 36°C; Herzfrequenz > 90/min., RR < 100 mm Hg). Ziel der Studie war es zu prüfen, ob eine frühe, d.h. prähospitale Injektion von Ceftriaxon bei Sepsis, schwerer Sepsis oder beim septischen Schock einen Überlebensvorteil bringt.

Die Studie wurde an 34 Zentren in den Niederlanden durchgeführt und von der niederländischen Gesellschaft für Innere Medizin (NutsOhra Foundation, Netherlands Society of Internal Medicine) finanziert. Die Patienten wurden in Vierer-Blöcken randomisiert und erhielten alle die übliche Notfallversorgung einschließlich Volumensubstitution. Die eine Gruppe (Interventionsgruppe) erhielt zusätzlich unverblindet 2000 mg Ceftriaxon i.v., die andere Gruppe diente als Kontrolle. Zu Beginn der Studie haben die Notfallteams einiger Zentren die Randomisierung zugunsten der Interventionsgruppe durchbrochen; daher ist diese Gruppe größer als die Kontrollgruppe. Eine Analyse der Grundparameter in den Gruppen ergab jedoch keinen Unterschied, so dass man diese Patienten für die Auswertung in der Studie belassen hat.

Der primäre Endpunkt war die Gesamtletalität bis zum Tag 28, ein sekundärer die Letalität bis zum 90. Tag. Zusätzlich wurde überprüft, ob und in welcher Weise sich das Training des Rettungsstellenpersonals hinsichtlich der Erkennung einer Sepsis auswirkte.

In die Studie wurden vom 30.6.2014 bis 26.6.2016 insgesamt 2.698 Patienten eingeschlossen; davon konnten 2.672 Patienten in die “Intention-to-treat”-Analyse einbezogen werden, von denen 1.535 aus der Interventionsgruppe und 1.137 aus der Kontrollgruppe waren. In der Interventionsgruppe erhielten die Patienten das Antibiotikum im Median 26 Minuten (IQR: 36-128) vor der Ankunft im Krankenhaus. Die Patienten der Kontrollgruppe erhielten in der Rettungsstelle das Antibiotikum im Median nach 70 Minuten (IQR: 36-128) nach dem Training des Personals, verglichen mit 93 Minuten (IQR: 39-140) vor dem Training (p = 0,0142). Nach 28 Tagen waren 120 Patienten (8%) in der Interventionsgruppe und 93 (8%) in der Kontrollgruppe gestorben (Relatives Risiko: 0,95; 95%-Konfidenzintervall: 0,74-1,24). 102 (7%) Patienten aus der Interventionsgruppe und 119 (10%) aus der Kontrollgruppe wurden innerhalb der 28 Tage erneut ins Krankenhaus aufgenommen (p = 0,0004). Es wurden keine Unterschiede in den beiden Gruppen hinsichtlich des Schweregrads des Krankheitsbildes gefunden. Bei sieben Patienten traten mildere Allergien auf, die aber nicht auf Ceftriaxon zurückgeführt werden konnten.

Der Schweregrad wurde bei > 43% der Patienten als akut lebensbedrohlich und bei ca. 50% als Notfallindikation eingestuft; nur etwa 3% hatten einen septischen Schock. Die Verteilung in beiden Gruppen war weder hinsichtlich des Schweregrads noch der demographischen Daten unterschiedlich. Ca. 10% der Patienten wurden auf einer Intensivstation behandelt. 1.397 (91%) Patienten der Interventionsgruppe und 1.030 (91%) in der Kontrollgruppe erhielten Antibiotika während des stationären Aufenthalts. 107 Patienten der Interventionsgruppe und 85 Patienten der Kontroll-Gruppe erhielten während des stationären Aufenthaltes keine antibiotische Therapie, meistens wegen des Verdachts auf eine virale Infektion. Nach 90 Tagen waren 178 (12%) Patienten in der Interventionsgruppe und 134 (12%) in der Kontrollgruppe gestorben (p = 0,87).

Die Stärke dieser Studie liegt darin, dass sie kontrolliert und prospektiv durchgeführt wurde. Es ist bemerkenswert, dass sie eine Ethik-Kommission passiert hat. Nach dieser Studie kommt der Gedanke auf, eine weitere durchzuführen, die sich auf schwer Kranke mit septischem Schock beschränkt und in der statt Ceftriaxon ein Breitbandantibiotikum aus der Gruppe der Carbapeneme verwendet wird (z.B. Imipenem/Cilastin bzw. Meropenem je nach Wahrscheinlichkeit eines Gram-negativen bzw. Gram-positiven Erregers).

Fazit: Diese Studie zeigt, dass der sehr frühe Einsatz (noch vor stationärer Aufnahme) von Ceftriaxon bei Patienten mit Verdacht auf Sepsis keinen Vorteil bringt. Ob ein anderes Breitbandantibiotikum Vorteile bringt, muss offen bleiben. Hingegen trägt das Training des Personals in der Rettungsstelle dazu bei, eine Sepsis besser und schneller zu erkennen und die richtigen Diagnose- und Therapieschritte zu sichern.

Literatur

  1. Singer, M.: Am. J. Respir. Crit. Care Med. 2017, 196, 800. Link zur Quelle

  2. Ryoo, S.M., et al.: Am. J. Med. Sci. 2015, 349, 328. Link zur Quelle

  3. de Groot, B., et al.: Crit. Care 2015, 19, 194. Link zur Quelle

  4. Puskarich, M., et al. (EMSHOCKNET = Emergency Medicine SHOCK research NETwork): Crit. Care Med. 2011, 39, 2066. Link zur Quelle

  5. Moyer, P., et al.: Circulation 2007, 116, e43. Link zur Quelle

  6. Abdullah, A.R., et al.: Prehosp. Emerg. Care 2008, 12, 426. Link zur Quelle

  7. American College of Emergency Physicans: Ann. Emerg. Med. 2012, 60, 249. Link zur Quelle

  8. Alam, N., et al. (PHANTASi = PreHospital ANTibiotics Against Sepsis): Lancet Respir. Med. 2017 Nov 28. pii: S2213-2600(17)30469-1. [Epub ahead of print]. Link zur Quelle