Patienten mit eingeschränkter
Nierenfunktion, besonders Diabetiker, gelten seit Jahrzehnten als
Risikopatienten für ein Kontrastmittel (KM)-induziertes akutes
Nierenversagen (Acute Kidney Injury = AKIN), besonders nach
Applikation jodhaltiger Kontrastmittel (1).
Neben präemptiven Maßnahmen,
wie strenge Indikation oder Verzicht bzw. sparsamer Verbrauch von KM,
gilt eine gute Hydrierung (ausgeglichener Flüssigkeitshaushalt;
vgl. 13) als wichtigste Maßnahme zur sog. Nephroprotektion
(2). Die periprozedurale Infusion von isotoner NaCl-Lösung
(0,9%ig) wird deshalb weltweit praktiziert. Darüber hinaus
sollten Arzneimittel, die potenziell die Nierenfunktion
verschlechtern können, periinterventionell möglichst
pausiert werden, z.B. ACE-Hemmer,
Diuretika, nichtsteroidale Antiphlogistika (vgl. Übersicht in
17). Wir haben zuletzt 2004
darüber berichtet (3).
Unter der Hypothese, dass eine
Alkalisierung des Urins bzw. die Einnahme eines Antioxidans
nephroprotektiv wirken könnte, wurden auch die Infusion von
Natriumbikarbonat-Lösung (Nabi) bzw. Acetylcystein (ACC) vor und
nach der KM-Gabe untersucht. Zu beiden Prophylaxen gibt es
widersprüchliche Daten hinsichtlich ihrer nephroprotektiven
Wirksamkeit (4-8). In einigen
Studien senkte ACC bzw. Nabi zwar die Häufigkeit des durch KM
induzierten AKIN in den ersten Tagen nach KM-Exposition, nicht aber
die Letalität oder Dialysepflichtigkeit (9-11; vgl. 4).
Die meisten Studien zu dieser
Fragestellung hatten auch keine ausreichende statistische Power für
eine verlässliche Aussage (12). In der nationalen
Versorgungsleitlinie "Nierenerkrankungen bei Diabetes im
Erwachsenenalter" wird ACC (u.a. auch anschließend
durchgeführte Dialyse, Gabe von Diuretika, Mannitol oder
vasoaktive Stoffe) unter „Maßnahmen ohne gesicherte
Indikation zur Nephroprotektion“ aufgeführt (13).
Jetzt wurde im N. Engl. J. Med. die
bisher größte randomisierte, kontrollierte
Vergleichsstudie zur Nephroprotektion (Nabi versus NaCl bzw. ACC
versus Plazebo) nach Kontrastmittelgabe veröffentlicht
(PRESERVE; 14; vgl. 15). Mit 5.177 Patienten wurden
insgesamt mehr als doppelt so viele Teilnehmer wie in die bisher
größte Studie zu ACC – die Studie kam zu einem
negativen Ergebnis (16) – und weit mehr als in die Studien zu
Nabi eingeschlossen (4). Die PRESERVE-Studie wurde von 2013 bis 2017
in 53 medizinischen Zentren durchgeführt, davon 35 in den USA,
13 in Australien, weitere in Malaysia und Neuseeland. Es wurden
Patienten mit geplanter koronarer oder nicht-koronarer Angiographie
sowie hohem Risiko für AKIN für die Studie randomisiert.
Einschlusskriterium war eine
reduzierte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) von
15-44,9 ml/min/1,73 m2
Körperoberfläche bzw. 45-59,9 ml/min bei Patienten mit
Diabetes mellitus. Patienten mit Indikation zu einer
Notfall-Angiographie oder instabiler Nierenfunktion mit Anstieg oder
Abfall des Kreatinins von ≥ 25% innerhalb der letzten drei
Tage vor Randomisierung wurden ausgeschlossen.
In einem faktoriellen 2x2-Design
erhielten die Patienten doppelblind entweder 1,26%ige Nabi-Lösung
oder 0,9%ige NaCl-Lösung i.v. plus ACC oral oder Plazebo oral
über jeweils 5 Tage. Laut vorgegebenem Infusions-Protokoll
konnten folgende Volumina nach individueller Einschätzung durch
den Studienleiter verabreicht werden: 1-3 ml/kg Körpergewicht
(KG)/Std. über einen Zeitraum von 1-12 Std. oder ein
Gesamtvolumen von 3-12 ml/kg KG vor Angiographie,
1-1,5 ml/kg KG/Std. während der Angiographie und
1-3 ml/kg KG/Std. über eine Zeit von 2-12 Std.
bis zu einem Gesamtvolumen von 6-12 ml/kg KG nach
Angiographie. Für einen 70 kg schweren Patienten errechnen
sich somit mindestens 210 ml, maximal 840 ml 2-12 Std.
vor Angiographie, 70-105 ml während und 420-840 ml bis
zu 12 Std. nach Angiographie. Innerhalb dieser Rahmenbedingungen
lagen Beginn, Dauer und Infusionsrate im Ermessen des Studienarztes.
ACC wurde eingenommen in einer Dosis von 1.200 mg (oder Plazebo)
ca. 1 Std. vor der Angiographie sowie 1 Std. nach der
Untersuchung. Die Einnahme von zweimal 1.200 mg ACC/d bzw.
Plazebo wurde anschließend über weitere 4 Tage
fortgesetzt. Blutuntersuchungen erfolgten 3-5 Tage nach
Angiographie sowie nach 90-104 Tagen.
Die Studie wurde finanziert vom U.S.
Department of Veterans Affairs Office of Research and Development und
dem National Health and Medical Research Council of Australia. Die
Medikation wurde von der Firma Baxter bezogen, die aber nicht am
Studiendesign und der Auswertung beteiligt war. Nach einer geplanten
Interims-Analyse wurde die Studie nach Einschluss von 5.177 der
geplanten 7.680 Patienten vorzeitig beendet.
In die modifizierte
Intention-to-treat-Analyse wurden 4.993 Patienten
eingeschlossen. Der primäre kombinierte Endpunkt bestand aus
Tod, dialysepflichtigem Nierenversagen oder einer nach 90-104 Tagen
noch persistierenden Verschlechterung der Nierenfunktion mit Anstieg
des Serum-Kreatinins um mindestens 50% im Vergleich zum Ausgangswert.
Sekundäre Endpunkte waren u.a.: KM-induziertes AKIN, definiert
als Anstieg des Serumkreatinins um mindestens 25% oder um 0,5 mg/dl
(44 μmol/l) gegenüber dem Ausgangswert innerhalb von
3-5 Tagen nach erfolgter Kontrastmittelgabe bzw. anhaltend
höhere Retentionsparameter zum Zeitpunkt 90-104 Tage nach
der Intervention, Tod oder Dialysepflichtigkeit innerhalb von
90 Tagen, stationäre Aufnahme wegen eines akuten
Koronarsyndroms, Herzinsuffizienz oder Schlaganfall sowie
Hospitalisierung aus anderen Gründen innerhalb von 90 Tagen
nach Angiographie.
Von den 4.993 ausgewerteten Patienten
hatten 2.511 Nabi erhalten, 2.482 NaCl, 2.495 ACC und 2.498 Plazebo.
Das i.v. applizierte Volumen betrug median 344 ml vor, 114 ml
während und 570 ml nach Angiographie.
Das mittlere Alter betrug
69,8 ± 8,2 Jahre; 93,6% der Studienteilnehmer
waren männlich und 4.041 (80,9%) hatten einen Diabetes mellitus.
Das mediane Serum-Kreatinin betrug zu Beginn 1,5 mg/dl, die
mediane eGFR 50,2 ml/min. Die applizierte KM-Menge betrug median
85 ml. Bei den Patienten-Charakteristika bestanden keine
relevanten Unterschiede zwischen den einzelnen Kollektiven.
Ergebnisse:
Der primäre Endpunkt wurde bei 110 Patienten (4,4%) in der
Nabi-Gruppe erreicht und bei 116 Patienten (4,7%) in der
NaCl-Gruppe (Odds ratio = OR: 0,93; 95%-Konfidenzinterval = CI:
0,72-1,22; p = 0,62). In der ACC-Gruppe waren es
114 Patienten (4,6%), verglichen mit 112 (4,5%) in der
Plazebogruppe (OR: 1,02; CI: 0,78-1,33; p = 0,88). Es
fanden sich keine signifikanten Unterschiede beim primären
kombinierten Endpunkt unter den einzelnen Behandlungskombinationen
oder in einer Subgruppenanalyse beim Vergleich von Nabi- mit
NaCl-Behandelten bzw. ACC- mit Plazebo-Behandelten. Bei Patienten mit
Angiographie anderer Gefäße als den Koronarien war Nabi
sogar mit einem höheren Risiko für den primären
kombinierten Endpunkt assoziiert als NaCl (OR: 3,19; CI: 1,03-9,94),
allerdings ohne Adjustierung für Mehrfachvergleiche. Die
Notwendigkeit einer Dialysebehandlung innerhalb von 90 Tagen ergab
sich in allen Gruppen bei ca. 1,2% der Patienten.
Ein KM-assoziiertes AKIN (sekundärer
Endpunkt) trat bei 239 Patienten (9,5%) in der Nabi-Gruppe auf
im Vergleich zu 206 (8,3%) in der NaCl-Gruppe (OR: 1,16; CI:
0,96-1,41; p = 0,13) bzw. bei 228 Patienten (9,1%) in
der ACC-Gruppe verglichen mit 217 (8,7%) in der Plazebogruppe (OR:
1,06; CI: 0,87-1,28; p = 0,58). Auch bei dieser Auswertung
wurde kein signifikanter Unterschied für eine Verschlechterung
der Nierenfunktion gefunden im Vergleich der Behandlungskombinationen
untereinander oder in der Subgruppenanalyse. Bei jedem einzelnen
weiteren sekundären Endpunkt ergab sich ebenfalls kein
Unterschied im Vergleich von Nabi- mit NaCl-Behandelten oder ACC im
Vergleich zu Plazebo.
Hinsichtlich der Übertragbarkeit
und der Validität der Ergebnisse geben die Autoren zu bedenken,
dass überwiegend Männer eingeschlossen wurden und dass den
Patienten keine gleichen Volumenmengen infundiert wurden, auch wenn
sie tatsächlich sehr ähnlich waren. Zudem war die
applizierte KM-Menge mit 85 ml relativ niedrig, weil überwiegend
diagnostische Angiographien durchgeführt wurden. Die
Ereignisrate des primären kombinierten Endpunkts war mit < 5%
entsprechend niedrig.
Fazit:
Bei Patienten mit Niereninsuffizienz und erhöhtem Risiko für
ein Kontrastmittel-bedingtes Nierenversagen ergab sich in der
PRESERVE-Studie kein Vorteil von einer prophylaktischen Infusion von
Natriumbikarbonat- (1,26%) gegenüber NaCl-Lösung (0,9%).
Auch zweimal 1.200 mg/d Acetylcystein oral über insgesamt
5 Tage waren nicht besser als Plazebo. Daher kann diese
vielerorts geübte Praxis mit Acetylcystein bzw.
Natriumbikarbonat beendet werden.
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