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Weltweite Marktrücknahme von Daclizumab

Der humanisierte monoklonale Antikörper Daclizumab (Zinbryta®, Biogen) wurde im Jahr 2016 zugelassen zur Behandlung der schubförmig verlaufenden Form der Multiplen Sklerose (relapsing multiple sclerosis = RMS). Daclizumab wirkt als Interleukin-2-Rezeptor-Antagonist immunsuppressiv. Das Arzneimittel und sein Hersteller wurden im September 2017 von dem branchennahen Marktforschungsinstitut „Pharma Trend“ sogar mit der „Goldenen Tablette“ als das „innovativste Produkt der Neurologen“ ausgezeichnet (1).

Im März 2018 wurde Daclizumab vom Markt genommen, nachdem es unter Behandlung mit diesem monoklonalen Antikörper zu schweren autoimmunbedingten Enzephalitiden und Meningoenzephalitiden gekommen war, die teils tödlich verlaufen sind. Auch andere immunvermittelte Erkrankungen wie Blutbildveränderungen, Thyreoiditis oder Glomerulonephritis werden mit der Anwendung von Daclizumab in Verbindung gebracht. Dies hat die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) aktuell bestätigt (2).

Bereits im Juni 2017 hatte die EMA ein Risikobewertungsverfahren zu Daclizumab eingeleitet. Eine Patientin aus Deutschland war nach der vierten Injektion des Arzneimittels an den Folgen eines akuten Leberversagens gestorben, obwohl die Leberfunktion vorschriftsmäßig überwacht worden war (3). Das Verfahren führte zu einer Einschränkung der Zulassung auf Patienten mit RMS, die zuvor auf mindestens zwei verlaufsmodifizierende Therapien nicht angesprochen hatten. Ursprünglich war der Antikörper ohne Einschränkungen zugelassen worden, obwohl das Risiko einer Leberschädigung zum Zeitpunkt der Zulassung schon bekannt war.

Daclizumab war seit 1999 bereits zur immunsuppressiven Behandlung akuter Abstoßungsreaktionen nach Nierentransplantationen zugelassen (Zenapax®), bis der pharmazeutische Unternehmer (pU; Roche) aus kommerziellen Gründen auf die Zulassung verzichtete (4). Bedenken zur Sicherheit des Arzneimittels bestanden zu dem Zeitpunkt laut Angaben des pU nicht. Weil Daclizumab kein neuer Wirkstoff war, musste Zinbryta® bei der Markteinführung zur Behandlung der RMS keine frühe Nutzenbewertung nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) durchlaufen. Damit wurde eine Chance verpasst, den Nutzen des Arzneimittels im Vergleich zur Standardtherapie festzulegen und die behandelnden Ärzte entsprechend zu informieren.

Zur Einführung von Daclizumab zur Behandlung der MS startete Biogen eine Anwendungsbeobachtung, die nur in Deutschland durchgeführt wurde (5). Dies dürfte ein Grund dafür sein, dass die weit überwiegende Zahl der Patienten, die in der Europäischen Union (EU) Daclizumab erhielten, aus Deutschland kamen. Nach Recherchen der Journalisten Markus Pohl und Ursel Sieber waren es in Deutschland 2.890 Patienten, im gesamten Rest der EU 400 (6). Teilnehmende Ärzte erhielten über fünf Jahre insgesamt ein Honorar von 1.320 € pro Patient. Ziel der Anwendungsbeobachtung war die Evaluierung der Therapiepersistenz unter Daclizumab bei RMS-Patienten, die in der klinischen Praxis eine Behandlung beginnen (5). Wir haben mehrfach darauf hingewiesen, dass Anwendungsbeobachtungen meist von fragwürdigem wissenschaftlichem Wert sind und überwiegend der Verkaufsförderung von Arzneimitteln dienen (7). Auch die am akuten Leberversagen gestorbene MS-Patientin war im Rahmen der Anwendungsbeobachtung behandelt worden.

Fazit: Nach nur eineinhalb Jahren wurde das MS-Medikament Daclizumab (Zinbryta®) vom Markt genommen. Vorausgegangen waren auch administrative Fehler, wie wir sie von vielen anderen Arzneimittelskandalen kennen, darunter eine uneingeschränkte Zulassung für die Behandlung der schubförmig verlaufenden Form der Multiplen Sklerose trotz bekannter Risiken. Zudem erfolgte vom pharmazeutischen Unternehmer der Versuch, trotz eines laufenden Risikobewertungsverfahrens mit Hilfe einer Anwendungsbeobachtung rasch einen größeren Marktanteil zu erlangen (seeding trial; vgl. 8). Patienten dürfen nicht mehr mit Daclizumab behandelt werden. Empfehlungen zur Medikamentenumstellung gibt zum Beispiel das Kompetenznetz Multiple Sklerose (9).

Literatur

  1. https://pharma-trend.com/zinbryta/ Link zur Quelle
  2. http://www.ema.europa.eu/… Link zur Quelle
  3. https://www.pei.de/DE/ arzneimittelsicherheit-vigilanz/ archiv-sicherheitsinformationen/ 2017/ablage2017/2017-06-20- ema-startet-schiedsverfahren- bezueglich-zinbryta.html Link zur Quelle
  4. http://www.ema.europa.eu/… Link zur Quelle
  5. https://www.pei.de/… Link zur Quelle
  6. https://www.rbb-online.de/… Link zur Quelle
  7. AMB 2017, 51, 48DB01. Link zur Quelle
  8. AMB 2009, 43, 30. Link zur Quelle
  9. http://www.kompetenznetz-multiplesklerose.de/… Link zur Quelle