John Mandrola ist ein
US-amerikanischer Kardiologe und Rhythmologe aus Louisville,
Kentucky. Er ist auch Journalist und bloggt seit 2009 als „Dr. John“.
Zugleich ist er Chief Cardiology Correspondent von Medscape, einer
medizinischen Informationsplattform im Internet. Mandrola wurde an
dieser Stelle schon öfter erwähnt. Er schwimmt häufig
gegen den Mainstream und vertritt wohltuend andere Meinungen als die
„key opinion leaders“ aus der Kardiologie. Nun rückt
er in einer sehr lesenswerten Kolumne den interventionellen
Kardiologen auf die Pelle, mit einer „Geschichte über
wissenschaftliche Beweise und deren Unfähigkeit, medizinische
Entscheidungen zu leiten“ (1).
Mandrola berichtet, dass
es an seiner Klinik üblich ist, im Rahmen der jährlichen
Personalversammlung einen wissenschaftlichen Disput auszutragen. Das
Thema war diesmal die perkutane Koronarintervention (PCI) bei
Patienten mit stabiler
koronarer Herzkrankheit
(KHK). Die zwei Diskutanten waren er selbst und ein kritischer
interventioneller Kardiologe. Als „unparteiische Jury“
des Disputs dienten die anwesenden Kliniker aus allen Bereichen der
Medizin.
Mandrola nennt die
PCI bei Patienten mit stabiler KHK
als den „größten blinden Fleck in der Kardiologie“.
Er ist davon überzeugt, dass die der PCI zugrunde liegende
„Theorie der verstopften Röhren“ falsch ist und
wollte versuchen, seine Kollegen mit Hilfe von stichhaltigen Beweisen
hiervon zu überzeugen. Die Diskussion sollte nicht um Lebensstil
und die medikamentöse Therapie der KHK gehen –
deren Nutzen stehen außer Zweifel. Der Streit ging allein
darum, ob den Patienten eine PCI und Stents einen zusätzlichen
Nutzen bringen.
Die Argumente:
Die Beweise gegen den Nutzen der PCI bei stabiler KHK seien
erdrückend. Schon in den einfachen Ballon-Angioplastie-Studien
der 1990er Jahre zeigte sich zwar eine Besserung der
Angina-pectoris-Symptome (APS), nicht aber eine Reduktion von
Myokardinfarkten oder der Letalität (RITA-2-Studie, s. 2).
Die Bare-Metal-Stents machten dann die PCI zwar sicherer, reduzierten
aber ebenfalls weder die Häufigkeit von Myokardinfarkten noch
die Letalität. Als Beweis wird die MASS-II-Studie angeführt,
in der PCI mit Stents gegen Bypass-OP oder eine rein medikamentöse
Therapie bei Patienten mit Mehrgefäßerkrankung verglichen
wurde. Das Gesamtüberleben unterschied sich zwischen den drei
Strategien nicht, und auch die Häufigkeit von Herzinfarkten
wurde durch die Koronarintervention nicht reduziert (vgl. 3).
Als wichtigsten Beweis
wird jedoch die COURAGE-Studie genannt. In dieser Studie verglichen
die Forscher eine optimale medikamentöse Therapie (OMT) mit OMT
plus PCI bei > 2.200 Patienten. Auch hier fand sich kein
Unterschied bei den Endpunkten Tod oder Myokardinfarkt (vgl. 3).
Seit 2007 haben die COURAGE-Autoren zahlreiche Sekundäranalysen
veröffentlicht, in denen nach einer Subgruppe gefahndet wurde,
die von einer PCI profitieren könnte. Sie fanden keine. Weder
Patienten mit pathologischer Myokardszintigraphie, noch mit
Mehrgefäß-KHK oder mit proximalen Stenosen der
Vorderwandarterie oder Dreigefäßerkrankung und reduzierter
linksventrikulärer Pumpfunktion. Auch die
Langzeit-Nachuntersuchungen (im Median nach 6,5 Jahren) hätten
keine Vorteile der PCI ergeben. Auch andere große Studien und
Meta-Analysen hätten keinen Zusatznutzen der PCI gegenüber
einer OMT allein zeigen können, auch nicht bei konsequenter
Verwendung medikamentenbeschichteter Stents.
Was ist mit der
Verbesserung von APS? Eine Koronarstenose von 90% auf 0% zu
reduzieren, muss doch APS reduzieren. In der Tat haben bis 2017
mehrere Studien dies auch zeigen können, wenngleich dieser
Vorteil nach einiger Zeit wieder verschwindet. Zudem könnte die
Tatsache, dass diese Studien ohne Scheininterventionen als Kontrollen
durchgeführt wurden, bei dem subjektiven Endpunkt APS einen
signifikanten Bias verursacht haben.
Tatsächlich deute
die als sehr mutig bezeichnete ORBITA-Studie vom Imperial College
London in diese Richtung. Die Autoren teilten 200 Patienten mit
einer nachgewiesenen Eingefäß-KHK am Kathetertisch nach
dem Zufallsprinzip einer echten PCI oder einer Schein-PCI zu. Während
des Eingriffs trugen die Patienten Kopfhörer und wussten nicht,
ob sie den Stent erhielten oder ob die Stenose in Ruhe gelassen
wurde. Die Behandlung blieb auch den nachuntersuchenden Ärzten
verborgen. Die Ergebnisse waren aufsehenerregend: Die PCI linderte
zwar die Ischämie vollständig, wenn diese mittels
Stresstests gemessen wurde, aber diese Verbesserung führte nicht
zu dem erwarteten Unterschieden bei der APS. Hier gab es keine
signifikanten Unterschiede der symptomfreien Trainingszeit (der
primäre Endpunkt), der Bewertung des APS-Grads durch die
behandelnden Ärzte oder der Lebensqualität (vgl. 4).
Nun hatte Mandrola das Gefühl, dass seine Beweisführung so
überzeugend war, daß er den Disput gewinnen würde.
Aber er irrte!
Die Gegenargumente:
Sein Opponent verwendete wenig Zeit darauf, die zitierten
Studienergebnisse zu widerlegen. Stattdessen präsentierte er
Krankengeschichten und zeigte Herzkatheterfilme mit Bildern von
bedrohlich aussehenden Koronarstenosen und fragte ins Auditorium:
"Was würdet Ihr tun, wenn das Eure Vorderwandarterie wäre?"
Er erzählte
Geschichten von Patienten mit ungestenteten hochgradigen
Koronarstenosen, die eine nicht-kardiale Operation benötigten,
z.B. eine Cholezystektomie wegen einer Cholezystitis. Er zeigte, wie
eine 90%ige Stenose in eine chronische Totalokklusion übergeht
und warnte, es sei allemal besser, diese Dinge früh zu
reparieren.
Während der
interventionelle Kardiologe weiter anekdotisch argumentierte, schaute
Mandrola ins Publikum, und die Gesichter signalisierten ihm, dass er
den Disput verlieren würde. Er dachte an die deckungsgleichen
Kaplan-Meier-Kurven aus den Publikationen seiner Studien und an die
konsistenten Ergebnisse aus den Meta-Analysen.
Warum glaubten die
Kollegen an die Einzelfälle und verstanden nicht, dass sich
Einzelfälle in Studien mit Tausenden von Patienten ausgleichen?
Genau dies ist ja der Grund, weshalb randomisierte kontrollierte
Studien durchgeführt werden, um uns nicht von unseren eigenen
Vorurteilen täuschen zu lassen.
Das Urteil und seine
Konsequenzen für die evidenzbasierte Medizin:
Am Ende bestätigte eine Abstimmung per Handzeichen Mandrolas
Vorahnung und die Niederlage. Vor dem Bild einer proximalen
LAD-Stenose stimmte die vermeintlich unparteiische Jury nahezu
ausnahmslos für den Stent.
Die wissenschaftliche
Methodik erfordert das Testen von Nullhypothesen. Im Falle der
stabilen KHK und dem Nutzen einer PCI wurde die Nullhypothese in über
61 Studien stichhaltig widerlegt ohne Hinweise auf eine bedeutsame
Ergebnisverzerrung. Zweifellos gibt es Patienten, die nicht von den
klinischen Studien abgebildet werden, in der Mehrzahl der Fälle
lässt sich ein Patient aber doch einer der genannten Studien
zuordnen.
Mandrola ist enttäuscht
und kommt zu dem Schluss, dass er zwar wisse, dass wissenschaftliche
Beweise bei politischen Entscheidungen keine Rolle spielen. Aber er
hätte doch gedacht, da Ärzte in Wissenschaft und Vernunft
ausgebildet sind, könnten sie durch Beweise überzeugt
werden.
Vielleicht habe Max
Planck eben doch recht gehabt, als er 1922 mit 64 Jahren
schrieb: "Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht
in der Weise durchzusetzen, dass ihre Gegner überzeugt werden
und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, dass
ihre Gegner allmählich aussterben und dass die heranwachsende
Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist."
Literatur
-
Medscape
1.5.2018.
-
AMB
2000, 34,
67a.

-
AMB 2014,
48,
17.

-
AMB 2018, 52,
13.

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