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Comeback der renalen Denervierung?

Eigentlich dachten wir, dass die interventionelle renale Sympathikus-Denervierung (RSD) als Behandlung der arteriellen Hypertonie nach den negativen Ergebnissen der Sham-kontrollierten SYMPLICITY-HTN-3-Studie nicht mehr als geeignete Intervention betrachtet wird (1, 2). Doch die Verfechter dieser Methode geben nicht auf. Sie kritisierten an den bisherigen Studien, dass die RSD durch die verwendeten Ablationskatheter unvollständig war, die Patienten nicht gut ausgewählt worden seien und dass die Adhärenz zur antihypertensiven Therapie während der Studien nicht kontrolliert wurde und folglich unsicher war. Daher werden weitere Studien unternommen mit neuen Ablationstechniken und anderen Einschlusskriterien. Ein weiterer Grund ist, dass die amerikanische Zulassungsbehörde (FDA) vor einer Zulassung der Methode in den USA „Proof-of-Concept“-Studien gefordert hat, um sicherzustellen, dass es sich bei der RSD nicht um einen reinen Plazebo-Eingriff handelt.

Zwei dieser Studien der sog. „zweiten Welle“ wurden nun im Lancet veröffentlicht. Beide Studien (und die Mehrzahl ihrer Autoren) werden von den Herstellern der Ablationskatheter gesponsert.

Die erste Studie trägt das Akronym RADIANCE-HTN SOLO und ist eine multizentrische Sham (Schein)-kontrollierte, einfach verblindete Studie (3). Anders als in den Vorgängerstudien wurden nur Patienten mit leichter und mittelschwerer Hypertonie eingeschlossen, und es durften möglichst keine Antihypertensiva gegeben werden. Zudem wurde eine neue Ablationsmethode (Ultraschall) verwendet.

Die 146 eingeschlossenen Patienten (803 wurden gescreent) sollten zunächst ihre Hochdruckmedikation 4 Wochen lang absetzen, dann erfolgte die Messung der Ausgangs-RR-Werte. Es erhielten 74 Patienten verblindet eine RSD und 72 eine Scheinintervention (Nierenarteriographie unter Sedierung und Tragen von Kopfhörern und Augenbinden). Die Effektivität der Verblindung ist jedoch zweifelhaft. Sie wurde mit einem Fragebogen überprüft. Demnach betrug der sog. „Bang Blinding Index“ in der RSD-Gruppe bei Krankenhausentlassung +0,3 und in der Schein-Gruppe -0,01 (ein Wert von 0 bedeutet keine Korrelation zwischen vermuteter und tatsächlicher Therapie, ein stark positiver oder negativer Wert weist auf eine fehlerhafte Verblindung hin).

Primärer Studienendpunkt war die Differenz des Praxis-RR (standardisierte Messung) zwischen Ausgangsmessung und nach 2 Monaten. Die Nachuntersucher waren hinsichtlich der Therapie verblindet.

Ergebnisse: Das mittlere Alter der Studienpatienten betrug 54 Jahre. Zum Zeitpunkt des Screenings nahmen 81% der Patienten Antihypertensiva ein, 42% eines und 38% zwei Wirkstoffe. Der Ausgangs RR betrug 143/93 mm Hg. Die Intention-to-treat-Analyse ergab nach RSD eine Senkung des systolischen Praxis-RR von 8,5 mm Hg (± 9,3) und nach Schein-Operation von 2,2 mm Hg (± 10,0). Der Unterschied beträgt 6,3 mm Hg und ist signifikant (95%-Konfidenzintervall = CI: -9,4 bis -3,1; p = 0,0001). An den großen Standardabweichungen ist zu erkennen, dass es erhebliche interindividuelle Unterschiede beim Therapieerfolg gab.

Aus keiner der beiden Gruppen wurden nach 2 Monaten schwerwiegende unerwünschte Ereignisse berichtet. Nach 6 Monaten erhielt jedoch ein Patient in der RSD-Gruppe einen Stent wegen einer Nierenarterienstenose. Gemäß Protokoll (Überschreiten bestimmter Grenzwerte) wurden 5 Patienten in der RSD- und 13 in der Sham-Gruppe nach 2 Monaten wieder mit einem Antihypertensivum behandelt.

Die zweite Studie trägt das Akronym SPYRAL HTN-ON MED und ist ebenfalls eine Sham-kontrollierte „Proof-of-Concept“-Studie (4). Die Studie läuft noch; die Publikation ist nur eine Interims-Analyse und beinhaltet die Ergebnisse der ersten 80 von 467 Patienten. Es dürften eher Marketing- als wissenschaftliche Gründe sein, dass diese Daten mit einem eigenen Editorial bereits jetzt im Lancet veröffentlicht wurden.

Die eingeschlossenen Patienten durften in dieser Studie mit bis zu 3 Standard-Antihypertensiva behandelt werden (im Mittel 2,2) und sollten hierunter weiter erhöhte RR-Werte haben (systolisch 150-180, diastolisch ≥ 90 mm Hg). Die Verblindung der Patienten und der Nachuntersucher erfolgte analog der RADIANCE-HTN SOLO-Studie, offensichtlich wurde aber deren Effektivität nicht überprüft. Die Adhärenz zu den Antihypertensiva wurde durch Wirkstoffnachweis in Urin und Plasma kontrolliert. Primärer Studienendpunkt war auch hier die Differenz des Praxis-RR (Ausgangsmessung) und nach 6 Monaten. Die Nachuntersucher kannten die durchgeführte Therapie nicht.

Ergebnisse: Das mittlere Alter der Patienten betrug 53 Jahre, 84% waren Männer, und der Ausgangs-RR betrug 164/100 mm Hg. Die Grundrisiken waren seltsamerweise nicht gleich verteilt (deutlich häufiger obstruktives Schlaf-Apnoe-Syndrom in der Sham-Gruppe: 24% vs. 5%).

Der Praxis-RR war in der RSD-Gruppe nach 6 Monaten signifikant niedriger als in der Sham-Gruppe: systolisch -9,4 (± 12,5) vs. -2,6 (± 12,9) mm Hg und diastolisch -5,2 (± 7,6) vs. -1,7 (± 7,9) mm Hg. Auch hier fallen die großen Standardabweichungen auf – ein Hinweis auf ein sehr heterogenes Ansprechen auf die Therapie.

Aus keiner der beiden Gruppen wurden bedeutsame unerwünschte Ereignisse berichtet. Die Adhärenz zur medikamentösen antihypertensiven Therapie war für Studienbedingungen bemerkenswert niedrig und betrug in beiden Gruppen nur etwa 60%.

Beide Studien erhalten im Lancet ein eigenes Editorial. Sverre Kjeldsen aus Norwegen und Murray Esler aus Australien (einer der Pioniere der RSD) fragen in ihrem Kommentar „Take a blood pressure pill or undergo renal denervation?“ zur RADIANCE-HTN SOLO-Studie, was wohl der klinische Nutzen einer RR-Senkung von 6,3 mm Hg bei antihypertensiv unbehandelten Patienten mit milden Hochdruckformen ist (5). Der erzielte Effekt entspreche maximal der RR-Senkung durch ein einziges Antihypertensivum – ohne dass es bislang eine Evidenz für protektive Effekte der RSD auf das Gehirn, das Herz, die Nieren und die großen Arterien gibt. Künftige Studien müssten daher nicht Surrogate, sondern klinisch relevante Endpunkte untersuchen und Subgruppen definieren, die von einer RSD profitieren könnten (Responder) und deren Behandlung auch kosteneffizient ist.

Peter Blankestijn und Michiel Bots aus Utrecht stellen in ihrem Kommentar zur SPYRAL HTN-ON MED Studie die Frage, ob die RSD nun soweit ist, dass sie breit angewendet werden kann (6). Ihre Antwort lautet: „not yet“. Zu viele Fragen seien unbeantwortet. Die RSD sei eine lokal umschriebene Intervention und funktioniere wahrscheinlich nur, wenn an dem anatomischen Ort, an dem sie angewendet wird, auch eine pathologische Situation vorliegt. In beiden Studien seien die blutdrucksenkenden Effekte interindividuell sehr unterschiedlich gewesen. Man müsse daher herausfinden, welche Patienten eine erhöhte sympathische Nervenaktivität aufweisen. Vermutlich würde nur diese Subgruppe von einer RSD profitieren. Sie diskutieren auch die schlechte Adhärenz zur antihypertensiven Medikation. Eine Non-Adhärenz von 40% bei einer Studienpopulation, die über die Urin- und Blutkontrollen informiert worden sei, deute darauf hin, dass eine große Zahl von Patienten die Therapieempfehlungen als unpassend empfindet. Dies müssten Ärzte viel mehr als bislang beachten und mehr Wert auf die gemeinsame Entscheidungsfindung mit dem Patienten in Bezug auf Behandlungsziele und -strategien legen.

Fazit: Neue, von den Herstellern der Ablationskatheter finanzierte Studien weisen darauf hin, dass die interventionelle renale Sympathikus-Denervierung (RSD) bei arterieller Hypertonie wahrscheinlich doch mehr als nur ein Plazeboeingriff ist. Durch die RSD wird der Blutdruck bei leichten und mittelgradigen Hochdruckformen etwa im Ausmaß der Wirkung eines einzelnen Antihypertensivums gesenkt. Ob dieser Effekt länger als 6 Monate anhält und ob dadurch auch klinisch relevante Endpunkte positiv beeinflusst werden, ist völlig offen. Es handelt sich bei der RSD also weiterhin um ein experimentelles Verfahren, das nur im Rahmen von Studien angewendet werden sollte. Mehr Grundlagenforschung und vor allem unabhängige Studien mit Langzeitdaten und patientenrelevanten Endpunkten sind notwendig, um die RSD hinsichtlich ihres Nutzens bewerten zu können. Vermehrte Anstrengungen zur Verbesserung der ungenügenden Adhärenz zur antihypertensiven Therapie (Lebensstil und Medikamente) dürften weit sinnvoller und auch kosteneffizienter sein.

Literatur

  1. Bhatt, D.L., et al. (SYMPLICITY HTN-3 = Renal denervation in patients with uncontrolled hypertension): N. Engl. J. Med. 2014, 370, 1393. Link zur Quelle
  2. AMB 2014, 48, 16. Link zur Quelle
  3. Azizi, M., et al. (RADIANCE-HTN SOLO = A study of the ReCor Medical Paradise system in clinical hypertension): Lancet 2018, 391, 2335. Link zur Quelle
  4. Kandzari, D.E., et al. (SPYRAL HTN-ON MED): Lancet 2018, 391, 2346. Link zur Quelle
  5. Kjeldsen, S., und Esler, M.: Lancet 2018, 391, 2298. Link zur Quelle
  6. Blankestijn, P.J., und Bots, M.: Lancet 2018, 391, 2300. Link zur Quelle