Zusammenfassung: Drei aktuelle große Studien
(ARRIVE,
ASCEND,
ASPREE)
belegen, dass Azetylsalizylsäure (ASS) in niedriger Dosierung
(100 mg/d) zur Primärprävention kardiovaskulärer
Erkrankungen bei gesunden älteren Menschen (> 70 Jahre)
und Menschen mit moderat erhöhtem kardiovaskulärem Risiko
nicht wirksamer ist als Plazebo. Auch in der Hochrisikogruppe der
Diabetiker ist niedrig dosierte ASS nur gering wirksam (Number Needed
to Treat = 90 bei > 7 Jahren Anwendung). Diesem
fehlenden bzw. geringen Nutzen von ASS steht ein zwar insgesamt
geringes, aber im Vergleich zu Plazebo signifikant höheres
Blutungsrisiko gegenüber und bei älteren Menschen sogar ein
höheres Sterberisiko. Deshalb ist ein regelhafter Einsatz von
ASS zur Primärprävention bei den genannten Populationen
abzulehnen. Ein protektiver Effekt von ASS auf die Entstehung von
Darmkrebs war in diesen Studien nicht nachweisbar, wird allerdings
auch nur für die längerfristige Einnahme diskutiert. Die
Einnahme von Omega-3-Fettsäuren (1 g/d) ergab nach
7,4 Jahren hinsichtlich der kardiovaskulären Prävention
keine größere Wirksamkeit als Plazebo.
Anders
als zur Sekundärprävention kardiovaskulärer
Erkrankungen (CVD) wird ASS in den Leitlinien der europäischen
kardiologischen Gesellschaft (ESC) zur Primärprävention
nicht allgemein empfohlen, auch nicht bei Diabetikern, die ein
2-3fach höheres Risiko für CVD haben (1). Trotzdem ist zu
beobachten, dass bei Patienten mit Diabetes, Hypertonie oder mit
metabolischem Syndrom ohne vorausgegangenes kardiovaskuläres
Ereignis ASS verordnet und auch von anderen Fachgesellschaften (z.B.
der U.S. Preventive Services Task Force) zur Primärprävention
empfohlen wird (2). Nun werden die nicht ausgesprochenen Empfehlungen
der ESC für ASS durch drei randomisierte kontrollierte Studien
bestätigt. Die Ergebnisse der ARRIVE- und die ASCEND-Studien
wurden Ende August auf der Jahrestagung der ESC vorgestellt und
zeitgleich im Lancet sowie dem N. Engl. J. Med. veröffentlicht
(3, 4) und die Ergebnisse der ASPREE-Studie am 16. September
ebenfalls im N. Engl. J. Med. publiziert – kurioserweise in
drei getrennten Mitteilungen mit den gleichen Erst- und Letztautoren
zu Letalität, kardiovaskulären und Blutungsereignissen
sowie behinderungsfreiem Überleben (5, 6). Alle drei
Studien liefern nicht nur wichtige Informationen zu Nutzen und
Risiken von ASS in der Primärprävention bei verschiedenen
Populationen, sondern auch zur Validität der etablierten
Risiko-Kalkulatoren oder zur Frage, ob ASS Dickdarmkarzinome
verhindert (vgl. 7).
ARRIVE-Studie:
In diese von Bayer finanzierte Studie (3) wurden
zwischen 2007-2016 insgesamt 12.546 Patienten
mit moderatem kardiovaskulärem Risiko an
501 Hausarztpraxen in Europa und den USA eingeschlossen.
Einschlusskriterien waren: Männer ≥ 55 Jahre mit
2-4 Risikofaktoren und Frauen ≥ 60 Jahre mit
≥ 3 Risikofaktoren. Als Risikofaktoren galten:
Gesamt-Cholesterin (Gesamt-C) > 200 mg/dl (Männer)
bzw. > 240 mg/dl (Frauen); LDL-C > 130 mg/dl
(Männer) bzw. > 160 mg/dl (Frauen); HDL-C
< 40 mg/dl (jeweils mit oder ohne Cholesterinsenker);
Rauchen innerhalb der letzten 12 Monate; systolischer Blutdruck
(RR) > 140 mm Hg sowie darüber hinaus die
Einnahme eines Antihypertensivums und eine positive Familienanamnese
für CVD.
Das 10-Jahres-Risiko für das Auftreten eines
kardiovaskulären Ereignisses (CVE) sollte zwischen 10-20%
liegen. Die Berechnung erfolgte mit zwei etablierten Risikorechnern
(Framingham- und ASCVD-Risk Score; 8, 9). Nach dem
Framingham-Rechner hat beispielsweise ein 60-jähriger nicht
rauchender Mann mit medikamentös ausreichend behandelter
Hypertonie, einem Gesamt-C von 280 mg/dl und einem HDL-C von
60 mg/dl ein 10-Jahresrisiko für Tod oder Herzinfarkt von
14,7%. Raucht der beschriebene Mann, dann steigt sein Risiko auf
22,1% (hohes Risiko); damit wäre er nicht in ARRIVE
eingeschlossen worden.
Ausgeschlossen wurden u.a. Patienten mit einer
manifesten CVD (Z.n. Schlaganfall, Myokardinfarkt etc.), Diabetes
oder mit hohem Blutungsrisiko. Eine klinisch stumme Atherosklerose
(z.B. ein Nachweis von Karotisplaques; nach der ESC ein sog.
„Risk-Modifier“, der die Patienten in die
Hochrisikogruppe bringt) war kein explizites Ausschlusskriterium, es
sei denn, die behandelnden Ärzte sahen eine „definitive
Indikation“ für eine Hemmung der Thrombozytenfunktion.
Die Patienten erhielten randomisiert und doppelblind
100 mg/d magensaftresistente ASS (n = 6.270) oder
Plazebo (n = 6.276). Primärer Studienendpunkt war das
erste Auftreten eines CVE: Tod, Myokardinfarkt, instabile Angina,
Schlaganfall oder TIA. Sicherheits-Endpunkte waren Blutungen und
andere unerwünschte Ereignisse (UAE). Die mediane
Nachbeobachtungszeit betrug 60 Monate.
Ergebnisse: Von 15.823
gescreenten Patienten wurden 12.546 eingeschlossen (79%). Das
mittlere Alter betrug 63,9 Jahre, 70,5% waren Männer, 28,6%
aktive Raucher, 58,2% hatten erhöhte Cholesterinwerte, 62,6%
einen erhöhten systolischen RR (Median 145 mm Hg),
Antihypertensiva nahmen 65% ein und 49% einen Cholesterinsenker.
3.718 Patienten (29,6%) beendeten die Studie vorzeitig (29,4% in
der ASS- und 29,9% in der Plazebogruppe). Die häufigsten Gründe
hierfür waren: Rücknahme der Einwilligung (13,4%),
unvollständige Nachbeobachtung oder „andere Gründe“
(10,7%), Tod oder „Lost to Follow-Up“ (4,6%).
Der primäre Endpunkt trat mit 4,38% wesentlich
seltener auf als erwartet (kalkuliert war > 13%), sodass das
Studienprotokoll nachträglich mehrfach verändert wurde, um
auf eine ausreichende Fallzahl zu kommen, z.B. Erweiterung des
kombinierten primären Endpunkts um instabile Angina und TIA,
Verlängerung der Nachbeobachtungsphase u.a. Die Ergebnisse
hinsichtlich der Wirksamkeit unterschieden sich nicht signifikant
zwischen ASS und Plazebo nach „intention to treat“
(s. Tab. 1). Auch bei den Subgruppen fand sich keine, die
von ASS profitiert hätte (Männer/Frauen, Ältere/Jüngere,
Raucher/Nichtraucher, hoher/niedriger BMI, adhärente Patienten,
mit/ohne Statin-Einnahme usw.).
Auch in einer vordefinierten Per-Protokoll-Analyse mit
7.702 Patienten, die während der gesamten Studiendauer „on
treatment“ waren (61,3%), zeigte sich kein signifikanter
Vorteil von ASS (3,4% vs. 4,19%; Hazard Ratio = HR: 0,81;
95%-Konfidenzintervall = CI: 0,64-1,02; p = 0,07).
Allein beim sekundären Endpunkt „Myokardinfarkt“
konnte per Protokoll ein Vorteil von ASS errechnet werden (0,98% vs.
1,84%; HR: 0,53; CI: 0,36-0,79; p = 0,001).
Diesem nicht nachweisbaren Nutzen von ASS stand eine
mehr als doppelt so hohe Blutungsrate gegenüber, besonders
gastrointestinale Blutungen (vgl. Tab. 1). Insgesamt war
das Blutungsrisiko mit knapp 0,2% pro Jahr jedoch niedrig, und die
gefürchteten Hirnblutungen traten nicht häufiger ein als
mit Plazebo. Es sei aber daran erinnert, dass Patienten mit erhöhtem
Blutungsrisiko von der Studie ausgeschlossen waren.
Schwerwiegende UAE wurden in beiden Gruppen gleich
häufig gemeldet: 20,1% vs. 20,8%. Es gab keine Hinweise darauf,
dass eine bestimmte UAE unter ASS wesentlich häufiger auftrat,
auch nicht gastrointestinale UAE (Dyspepsie 3,6% vs. 3,1%;
gastroösophagealer Reflux 1,1% vs. 0,9%, Oberbauchschmerz 1,0%
vs. 0,9%). Auch Dickdarmkarzinome waren unter ASS nicht seltener,
sondern tendenziell sogar etwas häufiger als unter Plazebo
(0,22% vs. 0,10%). Diese Ergebnisse sollen zu einem späteren
Zeitpunkt noch detailliert publiziert werden.
ASCEND-Studie:
Die zweite Studie zur Primärprävention mit ASS (4) wurde
von der britischen Herzgesellschaft finanziert. ASCEND schloss in
britischen Hausarztpraxen Diabetiker
≥ 40 Jahre (94% Typ-2-DM) ohne klinisch manifeste
CVD ein. Diabetiker gelten als
Hochrisikopatienten für ein CVE und waren in ARRIVE
ausgeschlossen. Die Lipid- und Blutdruckwerte spielten bei der
Auswahl der Patienten keine Rolle.
Es wurden insgesamt 423.000 Diabetiker angeschrieben,
wovon 121.000 (29%) Interesse an der Studienteilnahme bekundeten.
Letztlich wurden 15.480 Patienten (12,8%) eingeschlossen. Diese
wurden zweifach randomisiert (factorial design), einmal zu 100 mg/d
magensaftresistentes ASS-Präparat (n = 7.740) oder
Plazebo (n = 7.740) und einmal zu 1 g/d
Omega-3-Fettsäuren oder Plazebo. Primärer Studienendpunkt
war für beide Behandlungen das erste Auftreten eines
schwerwiegenden CVE (nicht tödlicher Myokardinfarkt,
Schlaganfall, TIA, kardiovaskulärer Tod). Primärer
Sicherheits-Endpunkt war das erste Auftreten einer Major-Blutung
(bestätigte intrakranielle Blutung, Augenblutung mit
Beeinträchtigung des Visus, sowie jede andere schwerwiegende
Blutung, die zu einem Krankenhausaufenthalt, einer Bluttransfusion
oder zum Tode führte). Auch die Inzidenz von Krebserkrankungen,
besonders gastrointestinaler Tumore, zählte zu den sekundären
Endpunkten. Die mittlere Nachbeobachtungszeit betrug 7,4 Jahre.
Eine vollständige Nachbeobachtung lag bei 99% der Patienten vor.
Die Adhärenz zur Studienmedikation wurde anhand eines
Fragebogens mit 70% in beiden Armen geschätzt.
Ergebnisse: Die Patienten
waren im Mittel 63,2 Jahre alt, 62,5% waren Männer. Die
mediane Diabetesdauer betrug 7 Jahre. Es wurden 16% diätetisch,
58% mit oralen Antidiabetika und 25% mit Insulin behandelt. Schon vor
der Studie nahmen 35% ASS ein (ersetzt durch die Studienmedikation)
und 75% ein Statin, 8,3% waren aktive Raucher, 46% hatten einen
Body-Mass-Index (BMI) ≥ 30. Das 5-Jahresrsiko für ein
CVE wurde zu Studienbeginn bei 40% der Patienten als niedrig, bei 42%
als moderat und bei 17% als hoch eingeschätzt. Für
diese Kategorisierung wurde ein eigenes Rechenmodell (Poisson
Regression) verwendet, welches Alter, Geschlecht, Raucherstatus,
systolischen RR, BMI, Diabetesdauer und HbA1c-Wert beinhaltete.
Der primäre Endpunkt in Bezug auf die Wirksamkeit
trat in der erwarteten Größenordnung bei 8,5% mit ASS und
bei 9,6% mit Plazebo auf. Die Rate Ratio (RR) zu Gunsten von ASS
betrug 0,88 (CI: 0,79-0,97; p = 0,01). Hieraus leitet
sich eine „Number needed to treat“ (NNT) von 90 über
7,4 Jahre ab. Keine der drei Komponenten des kombinierten
Endpunkts erreichte für sich allein statistische Signifikanz.
Nach den Kaplan-Meier-Kurven entstanden die Vorteile von ASS gegen
Plazebo in den ersten fünf Jahren, danach liefen die Kurven
parallel. Subgruppen, die möglicherweise von ASS profitieren,
waren: Männer (RR: 0,86), Diabetiker < 60 Jahre
(RR: 0,79), Diabetesdauer < 9 Jahre (RR: 0,85)
oder solche mit einem BMI ≥ 30 (RR: 0,76).
Bemerkenswerterweise hatten Patienten mit einem hohen CV-Risiko-Score
(RR: 0,94) und Patienten mit geringem Körpergewicht
(RR: 1,17) den geringsten Nutzen von ASS.
Dem insgesamt geringen Nutzen stehen signifikant mehr
sog. „Major-Blutungen“ unter ASS gegenüber: 4,1% vs.
3,2% (RR: 1,29; CI: 1,09-1,52; p = 0,003). Dies
entspricht einer „Number Needed to Harm“ (NNH) von 111
über 7,4 Jahre. Die jährliche Blutungsrate unter ASS
lag mit 0,5% mehr als doppelt so hoch wie in der ARRIVE-Studie. Es
wurden insbesondere vermehrt gastrointestinale (1,8% vs. 1,3%) und
„andere“ Major-Blutungen (1,0% vs. 0,6%) registriert,
während Augenblutungen (0,7% vs. 0,8%) und intrakranielle
Blutungen (0,7% vs. 0,6%) etwa gleich häufig auftraten. Günstige
Effekte von ASS auf die Entstehung von Dickdarm- oder anderen
Krebsarten waren auch in ASCEND nicht nachweisbar (2% in beiden
Armen).
Die Ergebnisse zur präventiven kardiovaskulären
Wirksamkeit von Omega-3-Fettsäuren (n-3; 1 g/d) bei
Diabetikern ohne kardiovaskuläre Erkrankungen wurden zeitgleich
veröffentlicht (10). Auch hier zeigten sich nach 7,4 Jahren
keine Unterschiede zwischen Verum und Plazebo (primärer Endpunkt
8,9% vs. 9,2%; RR: 0,97).
ASPREE-Studie:
Diese Studie (5, 6) schloss 19.114
gesunde ältere Menschen ohne
kardiovaskuläre Vorerkrankungen in
Australien (87%) und den USA ein (> 70 Jahre, bzw.
≥ 65 Jahre bei „Hispanics“ und
Afroamerikanern; 56% Frauen). Ausgeschlossen wurden u.a. Menschen mit
Demenz (modified Mini Mental State < 78/100), bedeutsamen
körperlichen Behinderungen, Vorhofflimmern oder einer
Vorbehandlung mit Gerinnungshemmern oder erhöhtem
Blutungsrisiko. Von den Studienteilnehmern waren 58% im Alter von
65-74 Jahren, 38% im Alter von 75-84 Jahren und 4%
> 84 Jahre alt. Sie erhielten entweder 100 mg/d ASS
als magensaftresistentes Präparat oder Plazebo. Der primäre
Endpunkt war zusammengesetzt aus Tod, neu diagnostizierter Demenz
oder persistierender körperlicher Behinderung. Wichtigster
sekundärer Endpunkt waren die Todesursachen (Krebs, CVD,
Blutungen, andere Ursachen). Die Studie wurde vom Sponsor – dem
australischen National Institute on Aging – nach einer
Zwischenanalyse vorzeitig abgebrochen, da es sehr unwahrscheinlich
war, dass die Interventionen mit ASS noch einen Nutzen hätten
zeigen können.
Ergebnisse: Die Adhärenz
zur Studienmedikation betrug am Studienende 62% (ASS) bzw. 64%
(Plazebo). Die klinische Nachuntersuchung war bei > 98%
komplett. Insgesamt starben während der medianen
Nachbeobachtungszeit von 4,7 Jahren 5,5% der Studienteilnehmer.
In der ASS-Gruppe war die Gesamtsterblichkeit knapp signifikant sogar
höher (5,9% vs. 5,2%; HR: 1,14; CI: 1,01-1,29).
Insbesondere die Krebs-Sterblichkeit war mit ASS relevant höher
(3,1% vs. 2,3%; HR: 1,31; CI: 1,10-1,56), auch die am
Dickdarmkarzinom (0,8 vs. 0,5/1.000 Personenjahre; HR: 1,7;
CI: 1,02-3,06). Der erhoffte Schutz vor kardiovaskulären
Ereignissen traf nicht ein. Die Wahrscheinlichkeit für die
Erstmanifestation einer kardiovaskulären Erkrankung wurde durch
ASS nicht vermindert (10,7 vs. 11,3/1.000 Personenjahre; HR: 0,95).
Dagegen waren Blutungen – überwiegend Blutungen aus dem
Gastrointestinaltrakt – signifikant häufiger: z.B.
Major-Blutungen (8,6 vs. 6,2/1.000 Personenjahre; HR: 1,38;
p < 0,001) und intrakranielle Blutungen (2,5 vs.
1,7/1.000 Personenjahre; HR: 1,5). Auch hinsichtlich der
Entstehung einer Demenz (6,4 vs. 6,4/1.000 Personenjahre) oder einer
anhaltenden Behinderung (3,9 vs. 4,8/1.000 Patientenjahre) ergab sich
kein signifikanter Vorteil von ASS.
Wie in der ARRIVE-Studie wich auch in der ASPREE-Studie
die tatsächliche Letalität erheblich von der erwarteten ab.
In einem Simulationsmodell mit einer gematchten Population wurden
34,9 Todesfälle pro 1.000 Personenjahre berechnet,
tatsächlich traten aber weniger als ein Drittel ein, nämlich
11,1.
Diese Beobachtung wird auch in einem Kommentar zur
ARRIVE-Studie (11) thematisiert. Die überraschend niedrigen
Ereignisraten sprächen dafür, dass sich das Management
kardiovaskulärer Risiken in der Primärversorgung in den
letzten Jahren erheblich verbessert haben muss. Zugleich sei die
Validität der verwendeten Risikorechner stark in Frage zu
stellen. Sie basieren auf älteren epidemiologischen Daten und
scheinen das Gesamtrisiko, zumindest bei Nicht-Diabetikern und
älteren Menschen, deutlich zu überschätzen. Der nicht
nachweisbare Nutzen von ASS könnte auch in einem Adhärenzproblem
begründet sein (knapp 30% Abbrechrate in ARRIVE und 35% in
ASPREE) oder einer unangemessenen ASS-Dosis. Die Patienten in ARRIVE
wogen zwischen 43 und 177 kg, erhielten aber alle gleichermaßen
100 mg/d ASS. Es sei pharmakologisch nicht plausibel, dass diese
Dosis bei allen Patienten gleich wirksam ist, schreiben die
Kommentatoren. Die Diskussion um die richtige ASS-Dosis flammt also
wieder auf und wird durch eine aktuelle Metaanalyse befeuert, die
11 RCT mit 116.000 Patienten einschloss (9 zur Primär-
und 4 zur Sekundärprävention mit ASS). Demnach soll eine
Wirksamkeit von niedrigen ASS-Dosen (75-100 mg/d) in der
Primärprävention nur bei Patienten < 70 kg
nachweisbar sein, nicht aber bei den Probanden mit einem Gewicht
≥ 70 kg (80% der Männer und knapp die Hälfte
aller Frauen; 12). Dem widersprechen allerdings die
Subgruppenanalysen von ARRIVE und ASPREE; hiernach hatten weder Norm-
noch Untergewichtige einen größeren Nutzen von ASS als
Übergewichtige.
Während die Unwirksamkeit von
Omega-3-Fettsäuren-Supplementen zur Prävention von CVE
jetzt wohl endgültig feststehen dürfte, müsse man
hinsichtlich der Beurteilung einer (fehlenden) präventiven
Wirkung von ASS für die Entstehung von Dickdarmkrebs noch
zurückhaltend sein und eine längere Nachbeobachtung
abwarten. Wir bleiben daher bei unserer Empfehlung von 2010 und 2011.
Demnach kann ASS bei Patienten mit sehr hohem Risiko für
Kolonkarzinom als Ergänzung zu den üblichen
Überwachungsmaßnahmen eingesetzt werden (vgl. 13).
Dabei muss ASS (mindestens 75 mg/d) langjährig (> 5 Jahre)
eingenommen werden, um die Inzidenz und Letalität des
Kolonkarzinoms zu senken (vgl. 14). Ob Menschen mit niedrigem
oder moderat erhöhtem Risiko für Kolonkarzinom überhaupt
von ASS profitieren, ist sehr fraglich.
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