Zusammenfassung: Ein aktuelles
Review untersuchte die Wirksamkeit von Nahrungsergänzungsmitteln
auf kardiovaskuläre Endpunkte bei Personen, die keinen
nachgewiesenen Mangel an Vitaminen und Mineralstoffen hatten.
Abgesehen von einer mäßigen Reduktion von Schlaganfällen
durch Folsäure zeigten sich dabei – wie bereits in einem
großen Review vor fünf Jahren (2) – allenfalls
geringfügige positive und bei Antioxidanzien und Niacin sogar
negative Effekte. Empfehlungen, solche Nahrungsergänzungsmittel
zur Protektion oder gar Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen
einzunehmen, sind nicht evidenzbasiert. Der nur aus einer einzigen
Studie stammende positive präventive Effekt von Folsäure
auf kardiovaskuläre Ereignisse muss in großen Studien
weiter untersucht werden.
Ein aktuell in J. Am. Coll. Cardiol.
publiziertes Systematisches Review mit Metaanalyse einer kanadischen
Arbeitsgruppe befasst sich mit der Nahrungsergänzung durch
Vitamine und Mineralstoffe zur Prävention und Behandlung
kardiovaskulärer (CV) Erkrankungen (1). Es wurden Metaanalysen,
Systematische Reviews und randomisierte kontrollierte Studien (RCT)
von 2012 bis Oktober 2017 analysiert, einschließlich eines 2013
publizierten großen Reviews der US Preventive Service Task
Force (USPSTF; 2). Aufbauend auf diesem – bis dahin
ausführlichsten – Review wurden folgende Vitamine und
Spurenelemente in die Auswertung einbezogen: Vitamine A, B1, B2,
B3 (Niacin), B6, B9 (Folsäure), C, D und E sowie Betacarotin
(Provitamin A), Kalzium, Eisen, Zink, Magnesium, Selen; außerdem
folgende Kombinationspräparate: Multivitamine, Vitamin-B-Komplex
(≥ 2 der Vitamine B6, B9 oder B12) und Antioxidanzien (≥ 2
der Vitamine A, C, E, Betacarotin, Zink, Selen). Berücksichtigt
wurden nur Studien mit ausreichendem Evidenzgrad (nach
GRADE-Kriterien; vgl. 5), und Metaanalysen mussten mindestens
zwei RCT enthalten.
Ergebnisse:
In die Metaanalyse gingen letztlich 179 Publikationen ein; davon
sind 15 in der Zeit nach dem USPSTF-Review erschienen. Detaillierte
Daten werden in der Publikation für die vier am häufigsten
verwendeten Substanzen aufgeführt sowie für alle Präparate,
die einen signifikanten Effekt auf mindestens einen der CV-Endpunkte
(Myokardinfarktrate, Schlaganfallrate, Letalität an
Myokardinfarkt und Schlaganfall sowie CV-Gesamtletalität)
ergeben hatten: Für keine der vier am häufigsten
verwendeten Substanzen (Multivitamine, Vitamin C, Vitamin D,
Kalzium) konnten signifikante Effekte auf CV-Endpunkte oder die
Gesamtletalität nachgewiesen werden. Die am meisten untersuchte
Substanz – Vitamin D (43 RCT) – zeigte einen
klaren Nulleffekt mit einer Risikoreduktion von 0,99
(95%-Konfidenzintervall: 0,9-1,03; p = 0,58) bei hohem
Evidenzgrad und ohne Heterogenität (I2 = 0).
Ergänzungsmittel mit signifikanten Effekten waren Folsäure
(signifikante Reduktion der Schlaganfallrate: Relatives Risiko = RR:
0,80; p < 0,01) und Vitamin-B-Komplexe (knapp
signifikante Reduktion der Schlaganfallrate: RR: 0,90; p = 0,04)
sowie Niacin und antioxidative Kombinationspräparate (jeweils
knapp signifikante Erhöhung der Gesamtletalität: RR: 1,10
bzw. 1,06; beide p = 0,05). Auf andere Endpunkte waren
keine signifikanten Effekte dieser Substanzen bzw. Präparate
nachzuweisen. Die Vitamine A, B und E sowie Betacarotin, Zink,
Eisen, Magnesium, Selen und Multivitaminpräparate hatten keinen
Einfluss auf die untersuchten CV-Endpunkte oder auf die
Gesamtletalität (s. Abb. 1)
Diskussion:
Wie die Studienautoren
ausführen, bestätigt das vorliegende Review im Wesentlichen
die Ergebnisse des erwähnten USPSTF-Reviews aus dem Jahre 2013:
Effekte einer Nahrungsergänzung mit Vitaminen und
Spurenelementen sind – sofern überhaupt nachweisbar –
inkonsistent und ganz überwiegend gering. Neu ist allerdings die
verhältnismäßig deutliche Reduktion von
Schlaganfällen durch Folsäure (und folsäurehaltige
Vitamin-B-Komplexe), die sich in der vorliegenden Metaanalyse durch
die positiven Ergebnisse eines einzigen großen RCT ergab,
nämlich des China Stroke Primary Prevention Trial (CSPPT) aus
dem Jahr 2015 (3). Die Autoren postulieren, dass dieses Ergebnis
darauf zurückzuführen ist, dass es in China keine
gesetzlichen Bestimmungen zur Beimengung von Folsäure zu
Grundnahrungsmitteln gibt und dass möglicherweise deshalb der
Effekt in Ländern mit anderen gesetzlichen Regelungen (z.B.:
Folsäurezusatz zum Mehl in den USA, Kanada) nicht nachweisbar
war. Die Schlaganfall-Letalität wurde jedoch, ebenso wie die
Gesamtletalität, durch Folsäure nicht reduziert. Die
Autoren fordern weitere große RCT zur kardiovaskulären
Prävention durch Folsäure und B-Vitamine, bevor
Empfehlungen Eingang in Leitlinien finden können. Abschließend
betonen sie den hohen Stellenwert einer ausgewogenen Ernährung
mit einem hohen Anteil an pflanzlichen Lebensmitteln, in denen viele
der genannten Vitamine und Mineralstoffe enthalten sind.
In der EU wird ein Folsäure-Zusatz
zu Grundnahrungsmitteln (analog zur Jod-Prophylaxe) diskutiert, ist
aber in keinem EU-Land gesetzlich vorgeschrieben. Hauptargument der
Befürworter ist die Prophylaxe von Neuralrohrdefekten bei
Neugeborenen (vgl. 6). Derzeit wird die Nahrungsergänzung
mit Folsäure nur während der Schwangerschaft (idealerweise
auch schon bei Kinderwunsch) empfohlen. Falls sich eine positive
Wirkung auf kardiovaskuläre Erkrankungen in Studien bestätigen
sollte, wäre das wohl ein zusätzliches Argument für
eine gesetzlich verankerte generelle Prophylaxe mit Folsäure.
Das Geschäft mit
Nahrungsergänzungsmitteln wird wohl unabhängig davon weiter
boomen: 2016 wurden in deutschen Apotheken, Online-, Drogerie- und
Supermärkten Nahrungsergänzungsmittel für 1,12 Mrd. €
gekauft – mit einer Umsatzsteigerung von 6% gegenüber dem
Vorjahr (4). Hinsichtlich Marktzulassung, Werbung und Abgabe
unterliegen diese nicht den strengen Regulierungen wie Arzneimittel,
sondern fallen unter die Kategorie Lebensmittel. Es darf nicht
vergessen werden, dass den (fraglichen) positiven Effekten auch
potenzielle (wenn auch seltene) Risiken gegenüberstehen, z.B.
Zunahme der Letalität durch Vitamin A und E in höherer
Dosierung (vgl. 7), von Bronchialkarzinomen bei Rauchern unter
Betacarotin (vgl. 8), von Hüftfrakturen unter Vitamin A
(vgl. 2) und von Prostatakarzinomen unter Vitamin E
(vgl. 9) – insbesondere bei hohen Dosierungen. Im
vorliegenden Review war eine geringfügig höhere
Gesamtletalität unter Niacin (von den Autoren hypothetisch im
Zusammenhang mit dem negativen Einfluss auf die Glukosetoleranz
interpretiert) und antioxidativen Kombinationspräparaten (von
den Autoren nicht kommentiert) zu verzeichnen.
Zwei wichtige Bemerkungen zum Schluss:
Die Analysen dieses Reviews und die hier diskutierten Punkte gelten
für die „Nahrungsergänzung“ bei Gesunden, nicht
für die klar indizierte therapeutische Substitution von
Vitaminen und essenziellen Spurenelementen bei nachgewiesenen
klinisch manifesten Mangelzuständen (Defizienz). Auch Schwangere
und Menschen, die dauerhaft eine extreme Diät durchführen,
sind nicht Inhalt des Reviews. Dass durch den extensiven Einsatz
labordiagnostischer Methoden (z.B. Mikronährstoff- und
Vitaminlabor) und Neudefinitionen von „Normalwerten“
immer häufiger „Defizienzen“ mit sehr fraglicher
klinischer Relevanz „diagnostiziert“ werden, ist wohl in
erster Linie als Marketing und Geschäftemacherei zu sehen.
Literatur
- Jenkins,
D.J.A., et al.: J. Am. Coll.
Cardiol. 2018, 71,
2570.
- Fortmann,
S.P., et al. (U.S.
Preventive Services Task Force): Ann. Intern.
Med.
2013, 159,
824.
- Huo,
Y., et al. (CSPPT = China
Stroke
Primary
Prevention
Trial):
JAMA
2015, 313,
1325.
- Freund,
M.:
.
10.4.2017 (Zugriff am 16.7.2018).
- Guyatt,
G.H., et al.: J. Clin. Epidemiol. 2011, 64,
407.
-
AMB
2004, 38,
29a
.
AMB
2007, 41,
62.

-
AMB 2007, 41,
76.

- Patrick,
L.: Altern. Med. Rev. 2000, 5,
530.
Vgl. AMB
2003, 37,
70b.

- Klein,
E.A., et al. (SELECT
= SELenium
and Vitamin E
Cancer
prevention Trial):
JAMA
2011, 306,
1549.
|