In Europa leiden > 1 Mio.
Menschen an M. Parkinson. Bei 38% der Betroffenen tritt
innerhalb von 10 Jahren nach Diagnosestellung eine Demenz auf
(Demenz bei idiopathischem Parkinson-Syndrom; engl.: Parkinson's
Disease Dementia = PDD; 1)
und laut Leitlinie der deutschen Gesellschaft für Neurologie
(DGN) erreichen 48-80% der Patienten im Krankheitsverlauf das Stadium
einer Demenz (2). Die kognitiven Defizite betreffen besonders die
visuell-räumlichen Funktionen, die Wortflüssigkeit und
Exekutivfunktionen (Arbeitsgedächtnis, mentale Flexibilität
und die Fähigkeit, Antworten und Reaktionen zu initiieren oder
zu unterdrücken). Als pathophysiologischer Hintergrund der PDD
wird ein cholinerges Defizit angenommen.
Typischerweise entwickelt sich die PDD mehr als ein Jahr nach dem
Auftreten erster motorischer Symptome. Eine Demenz, die bereits
vorher oder innerhalb des ersten Jahres nach Auftreten der
motorischen Symptome beginnt, wird als Demenz mit Lewy-Körpern
(DLB) bezeichnet (1).
Zur medikamentösen
Behandlung der PDD werden Acetylcholinesterase-Hemmer (AChEH)
eingesetzt, z.B. Rivastigmin, Donepezil oder Galantamin. Die
S3-Leitlinie der deutschen Gesellschaft für Neurologie aus dem
Jahr 2016 (1) empfiehlt auf Grund einer 14 Jahre alten Studie
(3) in erster Linie Rivastigmin zu verordnen (Empfehlungsgrad B1).
Orales Rivastigmin ist auch das einzige Antidementivum mit Zulassung
bei der Indikation PDD. Eine Behandlung mit Rivastigmin-Pflaster, die
zur Reduktion der UAW (gastrointestinal, Tremor) häufig
durchgeführt wird, ist nicht geprüft und stellt einen
Off-label-use dar. Donepezil
ist nach Einschätzung der Leitlinienautoren zwar besser
verträglich als Rivastigmin, ein signifikanter Effekt auf
kognitive Funktionen ist beim idiopathischen Parkinson-Syndrom jedoch
nicht nachgewiesen (Empfehlungsgrad 0). Für
die Verwendung anderer AChEH
oder des N-Methyl-D-Aspartat(NDMA)-Antagonisten
Memantin besteht in der Indikation PDD keine Evidenz der Wirksamkeit
und keine Zulassung.
Die Verbesserung
kognitiver Funktionen durch AChEH soll aus einer Steigerung der
cholinergen Aktivität im synaptischen Spalt resultieren.
Andererseits werden bei M. Parkinson aber auch teilweise häufig
potente Anticholinergika
zur Besserung der motorischen Symptome eingesetzt (z.B. Biperiden)
und auch andere Wirkstoffe mit anticholinergen Eigenschaften, etwa
wegen bestimmter Begleiterkrankungen wie Harninkontinenz,
Depressionen oder Schlafstörungen. Die anticholinerge Potenz von
Medikamenten (AntiCholinergic Burden = ACB) wird nach Expertenkonsens
in 3 Stufen klassifiziert (s. Tab. 1).
Medikamente mit
anticholinerger Wirkung erhöhen bei älteren Patienten das
Risiko für kognitive Störungen, Stürze,
Krankenhausaufenthalte, und sie mindern die Lebensqualität
(4-8). Die gleichzeitige Behandlung mit AChEH und Wirkstoffen mit ACB
bei PDD erscheint pharmakologisch widersinnig und kann das Risiko
oben genannter UAW erhöhen (9). Daher wird dies auch von vielen
Autoren als Medikationsfehler angesehen.
Eine Gruppe aus
Pennsylvania, die sich schon seit mehreren Jahren mit unangemessener
Medikation bei Parkinson-Patienten beschäftigt, hat nun eine
Querschnitts-Studie zur Verschreibungsprävalenz von AChEH und
Medikamenten mit ACB bei älteren Patienten mit M. Parkinson in
den USA durchgeführt (10). Speziell wurde nach einer
zeitgleichen Verschreibung von AChEH und Anticholinergika gesucht.
Die verwendeten Daten wurden aus den Research Identifiable Files
(RIFs) des Medicare Programms extrahiert, in dem etwa 97% der
US-Bevölkerung über 65 Jahre versichert sind. Als
Einschlusskriterium galt eine mindestens 12-monatige Behandlung wegen
M. Parkinson, inklusive Verschreibung eines
Anti-Parkinson-Mittels. Ausgewertet wurden alle
Arzneimittelverordnungen über ein Jahr.
Insgesamt wurden die
Verschreibungsdaten von 268.407 Parkinson-Patienten analysiert, je
zur Hälfte Männer und Frauen. Das Durchschnittsalter lag
bei 79 Jahren. Eine Demenzdiagnose lag bei 111.736 Patienten vor
(41,6%) und bei 73.093 (27,2%) eine Verordnung mindestens eines
Antidementivums (= Studienpopulation). Afroamerikaner und
„Hispanics“ erhielten deutlich häufiger als andere
Ethnien ein Antidementivum und Männer öfter als Frauen, was
auf genetische Unterschiede bei der PDD oder auf einen Diagnose- und
Verschreibungsbias hinweisen könnte.
Abweichend von der
vorliegenden Evidenz aus Studien war das am häufigsten
verschriebene Antidementivum Donepezil (63%), gefolgt von Memantin
(41,8%). Mit Rivastigmin wurden nur 26,4% behandelt. Bei 10-12% lag
ausschließlich eine Einmalverordnung mit einem Antidementivum
vor, bei allen übrigen fanden sich Folgeverordnungen. Bei 19.536
Patienten (26,7%) wurden zeitgleich 2 Antidementiva eingesetzt
(„duale Therapie“, meist Memantin und Donepezil).
Unter den
64.017 Patienten mit einer AChEH-Verordnung fand sich bei 28.495
(44,5%) mindestens einmal eine gleichzeitige Verordnung eines
hochpotenten Anticholinergikums (ACB 3) und bei 48.448 eines
Arzneimittels mit niedriger oder moderater anticholinerger Wirkung
(ACB 1-2). Bei 84% der Patienten mit AChEH wurden wiederholt
Anticholinergika verschrieben. Der gleichzeitige Einsatz eines AChEH
und eines Anticholinergikums zeigte sich am häufigsten bei den
Komorbiditäten Depression, chronisch obstruktive
Lungenerkrankung und Bluthochdruck.
Die Autoren gehen davon
aus, dass eine gemeinsame Einnahme von AChEH und Anticholinergika
sogar noch häufiger ist, da einige Arzneimittel mit ACB
rezeptfrei erhältlich sind (z.B. Diphenhydramin und teilweise
auch Doxylamin). Sie empfehlen, bei Patienten mit M. Parkinson
aus Sicherheitsgründen Medikamente mit hoher ACB zu vermeiden.
Es gäbe in den meisten Fällen eine Behandlungsalternative.
Leider berichten sie nicht über die klinischen Auswirkungen des
von ihnen postulierten Medikationsfehlers. Wichtig zu wissen wäre
beispielsweise, wie häufig eine Behandlung mit einem
Spasmolytikum oder Sedativum tatsächlich Tremor oder kognitive
Störungen verschlechtert oder zu Stürzen führt oder
wie häufig Rivastigmin und die anderen AChEH eine
Dranginkontinenz auslösen, die im Sinne einer
Verschreibungskaskade zu einer Verordnung von anticholinergen
Spasmolytika führt, die wiederum kognitive Störungen
verstärken.
Auch die Kommentatoren
bewerten die gleichzeitige Verordnung eines AChEH und von
Arzneimitteln mit ACB als problematisch (11). Letztlich müsse
jedoch bei jedem einzelnen Patienten der klinische Nutzen und die
Risiken abgewogen werden. So würden beispielsweise bei einer
Parkinson-assoziierten Psychose häufig Arzneimittel wie Clozapin
(Empfehlungsgrad 1) und Quetiapin (Expertenkonsens) eingesetzt,
die jeweils starke anticholinerge Wirkungen haben (ACB 3). Sie
stellen daher auch die ACB-Skala generell in Frage, da diese weder
standardisiert noch validiert sei.
Fazit:
Untersuchungen aus den USA zeigen, dass bei Parkinson-Patienten mit
Demenz überwiegend nicht so behandelt wird, wie es z.B. die
deutsche Leitlinie empfiehlt. Es werden bevorzugt der
Acetylcholinesterase-Hemmer Donepezil und der NDMA-Antagonist
Memantin
(jeweils keine Evidenz) verordnet. Rivastigmin, das Antidementivum
mit dem höchsten Empfehlungsgrad (B), erhält dagegen nur
ein Viertel der Betroffenen. Außerdem ist die gleichzeitige
Verordnung von Arzneimitteln mit anticholinerger Wirkung
(Blasenspasmolytika, bestimmte Antidepressiva oder Schlafmittel) bei
diesen Patienten sehr häufig. Das ist pharmakologisch
widersprüchlich und wird daher als Medikationsfehler angesehen.
Bei der Behandlung von Parkinson-Patienten sollten diese
Interaktionen bekannt sein und berücksichtigt werden.
Literatur
-
S3-Leitlinie
Idiopathisches Parkinson-Syndrom. DGN
2016.
-
Reid,
W.G.J., et al.: J. Neurol. Neurosurg.
Psychiatry 2011, 82,
1033.
-
Emre,
M., et al.: N. Engl. J. Med. 2004, 351,
2509.
-
Campbell,
N.L., et al.: Pharmacotherapy 2016, 36,
1123.
-
Gray,
S.L., et al.: JAMA Intern. Med.
2015, 175,
401.
-
Marcum,
Z.A., et al.: BMC Geriatr. 2016, 16,
76.
-
Sura,
S.D., et al. (MEPS
= Medical
Expenditure
Panel
Surveys):
Drugs Aging 2013, 30,
837.
-
Boustani,
M., et al.: Aging Health 2008, 4,
311.
-
Bohnen, N.I., und Albin,
R.L.: Behav. Brain
Res. 2011, 221,
564.
-
Mantri,
S., et al.: JAMA Neurol. Published
online October 1, 2018.
-
Hess,
C., et al.: JAMA Neurol. Published
online October 1, 2018.
-
Rudolph,
J.L., et al.: Arch. Int. Med. 2008, 168,
508.
-
Pfistermeister, B., et
al.: PLoS
One 2017,
12,
e0171353.
|