Zusammenfassung: Ein Update der US-amerikanischen
Leitlinien zur Behandlung von Vorhofflimmern empfiehlt nun, wie die
europäischen Leitlinien auch, an erster Stelle die direkten
oralen Antikoagulanzien (DOAK) vor den Vitamin-K-Antagonisten, außer
bei Patienten mit moderater bis schwerer Mitralstenose, mechanischen
Herzklappen und terminaler Niereninsuffizienz. Weibliches Geschlecht
wird beim CHA2DS2-VASc-Score
von einem eigenständigen Risikofaktor zu einem Risk-Modifier
herabgestuft. Frauen sollen demnach künftig erst ab einem
Gesamtscore ≥ 3 eine Antikoagulation erhalten. Übergewicht
und Alkoholkonsum werden als bedeutsame Risikofaktoren für
Vorhofflimmern angesehen, die behandelt bzw. reduziert werden
sollten.
Drei amerikanische Fachgesellschaften (American College
of Cardiology = ACC; American Heart Association = AHA; Heart Rhythm
Society = HRS) haben im Januar 2019 ihre 5 Jahre alten
Leitlinien zur Behandlung des Vorhofflimmerns aktualisiert (1). Dies
nehmen wir zum Anlass, einige Neuerungen und im Alltag relevante
Aspekte zum Vofli zu besprechen.
Nicht valvuläres Vorhofflimmern (Vofli):
Die Zulassung der neuen, direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) ist
auf Patienten mit „nicht valvulärem Vofli“
beschränkt. Die Unterscheidung zwischen valvulärem
und nicht valvulärem
Vofli führt bei der Verordnung von DOAK
immer wieder zu Verwirrung, denn es finden sich häufig auch
verschiedenartige Klappendysfunktionen bei Patienten mit Vofli. Der
Begriff „valvuläres Vofli“ wird nun ersetzt durch
„Vofli bei moderater bis schwerer Mitralstenose oder
mechanischer Herzklappe“. Dies war auch stets mit der
Bezeichnung gemeint und sollte künftig mehr Klarheit schaffen.
Es wäre wünschenswert, dass auch die Formulierungen in den
Fachinformationen entsprechend geändert werden. Auch der Begriff
„Antithrombotische Therapie“ im Zusammenhang mit Vofli
wird gestrichen und durch „Antikoagulanzientherapie“
ersetzt. Dies bedeutet – auch wenn nicht explizit erwähnt
– dass die Hemmung der Thrombozytenfunktion keine Option zur
Prävention von Schlaganfällen bei Vofli ist.
Der CHA2DS2-VASc-Score
(vgl. 15): Neu in den US-Leitlinien ist,
dass „weibliches Geschlecht“ beim CHA2DS2-VASc-Score
zur Einschätzung des mit Vofli assoziierten Schlaganfallrisikos
kein eigenständiger Faktor mehr ist. Neuere Studien haben
gezeigt, dass Frauen – wenn andere Risikofaktoren fehlen –
ein nur minimal höheres Schlaganfallrisiko haben als Männer
(2). Das Risiko ist für Frauen nur dann höher, wenn sie
> 65 Jahre alt sind oder wenn zugleich ≥ 2 weitere,
nicht geschlechtsbezogene Risikofaktoren vorliegen. Weibliches
Geschlecht wird daher nur noch als ein „Risk-Modifier“
angesehen. Da die Leitlinienkommission den Score selbst nicht ändern
kann, wird eine orale Antikoagulation (OAK) bei Männern
weiterhin ab einem CHA2DS2-VASc-Score
≥ 2 und bei Frauen erst ab ≥ 3 empfohlen. Bei Frauen
mit einem Score von 1 sei es „vernünftig, auf eine OAK zu
verzichten“ (Empfehlungsgrad IIa, Evidenzlevel B).
Auch die europäischen Vofli-Leitlinien von 2016 empfehlen bei
Frauen eine OAK erst ab einem Score von 3 (Empfehlungsgrad 1,
Evidenzlevel A); bei Frauen mit einem Score von 2 soll eine
Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen (3).
An dieser Stelle sei noch einmal daran erinnert, dass es
keinen Automatismus zur OAK gibt. Alle Entscheidungen rund um diese
einschneidende und oft lebenslange Präventionsmaßnahme
sollen auch nach den europäischen Leitlinien (3) gemeinsam
erfolgen, d.h. nach ausreichender Aufklärung der Patienten über
Nutzen und Risiken und auch unter Einbeziehung der Hausärzte
(Empfehlungsgrad IIa, Evidenzlevel C).
Direkte orale Antikoagulanzien (DOAK):
In den neuen US-Empfehlungen werden nun die DOAK, wie auch in den
europäischen Leitlinien von 2016 (3), an erster Stelle vor den
Vitamin-K-Antagonisten (VKA) empfohlen (Empfehlungsgrad I,
Evidenzlevel A). Ausnahmen sind Patienten mit moderater bis
schwerer Mitralstenose, mechanischen Herzklappen und terminaler
Niereninsuffizienz. Die Gründe für die Bevorzugung der DOAK
gegenüber VKA sind, dass sie hinsichtlich ihres Nutzens nicht
unterlegen sind und – bei richtigem Management (vgl. 9) –
ein niedrigeres Risiko für schwerwiegende Blutungen haben
sollen. Edoxaban wurde auf Grund der ENGAGE-TIMI-48-Studie (vgl. 10)
nun als viertes DOAK in die Empfehlungsliste aufgenommen
(Empfehlungsgrad I, Evidenzlevel B). Wir möchten
nochmals auf den sehr sinnvollen Praxisleitfaden zur Verwendung von
DOAK bei Patienten mit Vorhofflimmern von der Europäischen Heart
Rhythm Association (EHRA) hinweisen. Hier werden Vorschläge zu
den Zuständigkeiten, den erforderlichen Nachsorgeintervallen und
Labortests in verschiedenen klinischen Situationen gemacht (vgl. 9).
Ein einheitlicher DOAK-Ausweis kann mittlerweile von der Webseite der
EHRA heruntergeladen werden (vgl. 16).
Die Auswahl der OAK bei terminaler Niereninsuffizienz
ist immer wieder Anlass zu Diskussionen (vgl. 11). Apixaban ist
nach Bewertung der US-Autoren nun eine mögliche Alternative zu
den VKA (Empfehlungsgrad IIb, Evidenzlevel B-NR = moderate
Evidenz von ≥ 1 nicht randomisierten Studie mit gutem Design
und guter Durchführung, Beobachtungsstudien oder Registern bzw.
Metaanalysen solcher Studien). Dies begründen sie mit den
Ergebnissen einer Beobachtungsstudie bei > 25.000
Dialysepatienten in den USA (4). Hier fand sich unter Apixaban im
Vergleich zu Warfarin eine vergleichbare Schlaganfallrate (Hazard
Ratio = HR: 0,88; p = 0,29) bei signifikant weniger
bedeutsamen Blutungen (HR: 0,72; p < 0,001).
Ergebnisse einer derartigen Beobachtungsstudie sollten nach unserer
Auffassung, trotz der retrospektiv gematchten Kontrollen,
vorsichtiger interpretiert werden und nicht Anlass sein, Leitlinien
zu verändern.
Antagonisierung von DOAK: Im
Falle einer lebensbedrohlichen Blutung oder bei dringenden operativen
Eingriffen wird der Antikörper Idarucizumab auf Grund der nicht
randomisierten RE-VERSE AD-Studie (17) zur Antagonisierung von
Dabigatran empfohlen (Empfehlungsgrad I, Evidenzlevel B-NR,
Definition s.o.). Der Antikörper Andexanet Alfa ist seit Mai
2018 zur Antagonisierung der direkten Faktor Xa-Inhibitoren
Apixaban und Rivaroxaban in den USA zugelassen. Das Committee for
Medicinal Products for Human Use (CHMP) der Europäischen
Arzneimittel-Agentur (EMA) hat in einer Pressemitteilung am 1.3.2019
eine bedingte Zulassung dieses Antidots empfohlen (18). Dies aber
nicht, weil die Studienlage überzeugend ist (vgl. 19),
sondern weil ein „unmet medical need“ gesehen wird. Das
sehr teure Andexanet Alfa (Therapiekosten 29.000 bis 50.000 US$
pro Behandlung) wurde in den US-Leitlinien mit dem
Empfehlungsgrad IIa (Evidenzlevel B-NR, Definition s.o.)
versehen.
Es sei nochmals daran erinnert, dass bei einer Blutung
die Aufhebung der gerinnungshemmenden Wirkung nicht mit einem Stopp
der Blutung gleichzusetzen ist. Trotz effektiver Antagonisierung kann
es beispielsweise bei Gefäßrupturen weiter bluten. Der
von der Werbung suggerierte „Ausschalter“ bezieht sich
daher in erster Linie auf die Ergebnisse der Gerinnungstests
(vgl. 20).
Bridging: Das Bridging von
OAK mit unfraktioniertem oder niedermolekularem Heparin bei
operativen Eingriffen ist eine immer wiederkehrende Frage im
klinischen Alltag. Nach der BRIDGE-Studie hat das Absetzen der OAK
und Überbrücken mit Heparinen in den meisten Fällen
eine ungünstige Nutzen-Risiko-Relation (vgl. 12). Das
Bridging wird nun auch in den US-Leitlinien nur noch bei Patienten
mit sehr hohem thromboembolischem Risiko, z.B. bei mechanischer
Herzklappe oder kurz zurückliegender Lungenembolie, als
notwendig angesehen (Empfehlunggrad I, Evidenzlevel C;
vgl. 13). In allen anderen Fällen soll das Schlaganfall-
und das Blutungsrisiko gegeneinander abgewogen und die Dauer der
Unterbrechung einer Antikoagulanzientherapie festgelegt werden
(Empfehlunggrad I, Evidenzlevel B-R = Evidenz von
qualitativ moderaten ≥ 1 RCT oder Metaanalysen von RCT
mit moderater Qualität).
Verschluss des linken Vorhofohrs:
Der Verschluss des linken Vorhofohrs ist eine Option bei Patienten
mit Kontraindikationen gegen eine Langzeitbehandlung mit OAK oder bei
Patienten, die als „schlechte Kandidaten“ hierfür
eingeschätzt werden. Die Empfehlungen zum interventionellen
Verschluss des Vorhofohrs sind aber sowohl in den europäischen
als auch in den US-Leitlinien sehr zurückhaltend
(Empfehlungsgrad IIb, Evidenzlevel B-NR, Definition s.o.).
Eine Metaanalyse von Studien mit einem bestimmten Vorhof-Okkluder
(Watchman-Device) hat gezeigt, dass es im Vergleich zur OAK über
eine 2,7 Jahre lange Nachbeobachtungszeit zu signifikant weniger
hämorrhagischen Schlaganfällen kommt (0,15 vs. 0,96
Ereignisse pro 100 Patientenjahre), zugleich aber auch vermehrt zu
ischämischen Schlaganfällen (1,6 vs. 0,9 Ereignisse
pro 100 Patientenjahre; 5). Ein routinemäßiges Zunähen
des Vorhofohrs im Rahmen einer Herzoperation erhält ebenfalls
nur eine zurückhaltende Empfehlung (Empfehlungsgrad IIb,
Evidenzlevel B-NR, Definition s.o.). Wenn, dann sollte dieser
Eingriff nur im Rahmen einer vorausgehenden „Heart-Team“-Entscheidung
erfolgen. Darüber hinaus soll die OAK bei erhöhtem
Thromboembolierisiko auch nach einer Resektion des Vorhofsohrs
weitergeführt werden (Empfehlungsgrad I, Evidenzlevel B).
Übergewicht: Übergewicht
wird in den Leitlinien nun als wichtiger modifizierbarer Risikofaktor
für „elektro-strukturelle Veränderungen“ im
Herzen und das Entstehen von Vofli angesehen. Ein kleineres RCT hat
gezeigt, dass ein strukturiertes Gewichtsmanagement bei einem BMI
> 27 die Häufigkeit von Vofli-Attacken und die
Symptomlast nach 6-15 Monaten deutlich reduziert (6). Daher wird
bei diesen Patienten nun eine Gewichtsreduktion empfohlen
(Empfehlungsgrad I, Evidenzlevel B-R) in Kombination mit
der Modifikation von weiteren Vofli-begünstigenden Störungen.
Ausdrücklich genannt werden die Behandlung von Schlafapnoe,
Bluthochdruck sowie eine Reduktion des Alkohol- und Tabakkonsums.
In diesem Zusammenhang ist auch eine kleine Studie
interessant, in der 75 Patienten nach einem
elektrophysiologischen Eingriff in 3 Gruppen eingeteilt wurden:
25 Nicht-Alkoholtrinker, 25 Gelegenheits-Trinker (im Mittel
4-5 Drinks/Woche) und 25 regelmäßige Alkoholtrinker
(im Mittel 14 Drinks/Woche). Letztere hatten im Vergleich zu den
ersten beiden Gruppen nicht nur größere Vorhöfe,
sondern auch eine ungünstigere elektrische
Leitungscharakteristik (u.a. geringere und vermehrt komplexe atriale
Potenziale; 7). Dies deckt sich mit der klinischen Beobachtung,
dass die Prävention von Vofli bei anhaltendem Alkoholkonsum nur
sehr schwer möglich ist.
Schilddrüsenfunktion:
Auch die Schilddrüsenfunktion rückt beim Management von
Vofli neuerdings wieder mehr in den Fokus. Eine molekularbiologische
Untersuchung legt nahe, dass bestimmte genetische Varianten der
Schilddrüsenfunktion (sog. Thyrotropin Polygenic Predictor), die
mit TSH-Spiegeln im unteren Normbereich assoziiert sind, das
Auftreten von Vofli begünstigen (8). Die Bedeutung dieses
Befunds ist noch unklar. Die Studienautoren spekulieren, dass auch
subklinische Störungen der Schilddrüsenfunktion künftig
ein therapeutischer Ansatzpunkt sein könnten. Diese Hinweise
sollten daran erinnern, die Thyroxin-Einnahme bei asymptomatischer
TSH-Erhöhung und gleichzeitig normalem fT4 zu beenden (vgl. 14).
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